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Christian Holzmann

Snap your fingers, snap your neck.

14. 11. 2012 - 12:41

Eine Vorahnung von Liebe

Hiermit erlaube ich mir einen huldigenden Kniefall vor "Koi No Yokan", dem neuen Epos der Deftones.

Bevor ich aber meine Kniescheiben weiter wund scheuere, sei erst einmal "ein wenig" in die Vergangenheit abgeschweift. Zurück also ins Jahr 2000, als die Deftones nach den vielversprechenden Alben "Adrenaline" und "Around The Fur" mit ihrem dritten Album "White Pony" eines der wichtigsten Rockalben produziert hatten, das bei an kerniger Gitarrenmusik interessierten Damen und Herren bis heute als Meilenstein gilt. Ich höre das Album heute noch ab und zu, wenn auch vielleicht nicht ganz so oft wie vor zwölf Jahren am Tag nach dem Release, als es während einer Autofahrt von Wien nach Paderborn durchgehend aus meinen Autolautsprechern donnerte und sich während der fast neun Stunden dauernden Autofahrt nicht im Geringsten abnutzte.

Ein Luxusproblem

Cover des Deftones Albums "White Pony".

Deftones

Nach "White Pony" hatten die Deftones eigentlich ein Problem, oder besser gesagt ein Luxusproblem, denn was will man nach einem solch epischen Werk eigentlich noch draufsetzen? Erschwerend kam hinzu, dass ihnen immer wieder eine Nähe zu Nu Metal nachgesagt wurde. Sie selbst wurden nicht müde, sich bei jeder bietenden Gelegenheit davon zu distanzieren. "White Pony" war ein ganz klares Statement der Deftones, nämlich sich nicht in irgendwelche von Marketingstrateginnen und -strategen erfundene Schubladen stecken lassen zu wollen. Schon gar nicht in die des Nu Metal, der eine regelrechte Inflation an Reißbrett-Bands hervorbrachte, nach denen heute zu Recht kein Hahn mehr kräht.

"Back to School was released because I was an idiot."

Die Damen und Herren aus der Marketingabteilung von Madonnas Label Maverick Records sahen das aber anders und wurden daher nicht müde, den Erfolg der Deftones heftigst anzukurbeln. Okay, das ist natürlich deren Job. Ein wenig übertrieben war dann aber doch die Forderung nach einer weiteren Single, welche die Deftones in Form von "Back To School (Mini Maggit), einer schnelleren Version des Albumtracks "Pink Maggit", dann auch lieferten.

Sänger Chino Moreno meinte dazu später folgendes:
„Back to School was a mistake. A calculated song, that had been built up with only one aim in mind: It should be a single. … Back to School was released because I was an idiot. I wanted to prove something [to the record company]. Months later, after White Pony was released, they wanted us to do a new version of Pink Maggit. They said we lost our heaviness, and there were no more singles on the album. First, I wanted to stick this idea up my ass, but then I thought: ,I'm gonna show those fuckers how easy it is to create a hit-single.‘ And so I rapped a hip hop part on that song, we shortened it and half an hour later, the hit-single was ready to roll on.“
(Quelle: Wikipedia)

Deftones

Warner

v.l.n.r.: Stephen Carpenter (Git.), Sergio Vega (Bass), Chino Moreno (Voc.), Frank Delgado (Turntables, Keyboards), Abe Cunningham (Drums)

Vermeidung von Songs für die ganze Limp Bizkit Familie

Den Deftones wurde für ihre Nachfolgealben "Deftones" (2003) und "Saturday Night Wrist" (2006) teils gar Einfallslosigkeit unterstellt (auch ich war einer dieser Lauser), nach dem Vermarktungstheater um "White Pony" und Morenos Statement dazu verwundert es aber andererseits nicht, dass die Band um jeden Preis ein "White Pony 2" inkl. Hitsingles für die ganze Limp Bizkit Familie vermeiden wollte. Reminiszenzen an Helden der 80er wie The Cure oder den großartigen Japan gab es zwar immer noch, aber nicht mehr ganz so bewegend und mitreißend wie auf "White Pony", das immer noch wie ein Monument über allem stand.

Bassist Chi Cheng of Deftones performing at the Hultsfred Festival in Sweden.

Daniel Jordahl

Chi Cheng - Seit seinem furchtbaren Autounfall 2008 ist der Bassist der Deftones zwar nicht in der Band aktiv, er ist aber immer noch Mitglied der Band.

2008 war dann sicher eines der härtesten Jahre der Band, als Bassist Chi Cheng bei einem Autounfall so schwer verletzt wurde, dass er bis heute mit den Folgen zu kämpfen hat nicht in der Band aktiv sein kann. Für ihn sprang der ehemalige Quicksand Bassist Sergio Vega ein und die Deftones überraschten 2010 um so mehr mit ihrem Album "Diamond Eyes", wo sie sich wieder alter Qualitäten besannen und man gar live auf dem Nova Rock 2010 wieder eine so frisch auftretende Band erleben durfte, wie man sie schon lange davor nicht mehr gesehen hatte.

Keine Liebe auf den ersten Blick, aber eine Vorahnung

Ach ja, das neue Deftones Album. Man möge mir den etwas ausgedehnten Ausflug in die Geschichte der Band seit White Pony verzeihen, aber "Koi No Yokan" (aus dem japanischen übersetzt sinngemäß "Vorahnung von Liebe") ist jenes Album, das schon vor 10 Jahren der definitive Nachfolger von "White Pony" hätte sein können. Ja, ich weiß, hätti, wari...

Und nein, "Koi No Yokan" ist kein "White Pony 2", es hat aber eben wieder genau jene einlullende Wirkung, die mir persönlich bei den Deftones schon lange fehlte. Man will nicht mehr von dem Album lassen. Einlegen, ersten Song "Swerve" hören, dazu gleich wohlmeinend und mit geschlossenen Augen flott mit dem Kopf nicken, am Ende des Songs am liebsten wieder zurück zum Anfang, sich aber bei den ersten Takten von "Romantic Dreams" Gänsehautschauer über den Rücken jagen lassen, am Ende sofort wieder den gleichen Song hören wollen, nur um nach dem ersten Elektronikgeschwurbel von Soundmeister Frank Delgado bei "Leathers" wieder eingeladen zu werden, doch bitte einfach weiter zuzuhören.

Cover des Deftones Album "Koi No Yokan".

Deftones

"Koi No Yokan" ist zwar keine schwer verdauliche Kost und oberflächlich gehört ist das Album sowieso schon großartig, zu voller Blüte entfaltet es sich aber nach mehrmaligem Durchhören und gewinnt dabei immer wieder neue Facetten. Sich darauf einzulassen lohnt sich und um so schöner ist es, wenn sich einem dabei immer wieder neue Details erschließen und Einflüsse von Bands wie The Cure, Duran Duran und sogar Musikerinnen wie Sade wieder mehr als deutlich zu hören sind.

Balladen-Firlefanz findet sich nicht, obwohl sich bei "Koi No Yokan" alles um Liebe mit all ihren schönen und auch negativen Seiten dreht. Um das zu wissen, muss man nicht einmal nach dem Albumtitel googeln oder sich eingehender mit den Lyrics beschäftigen, das spürt man auch so. Und gleichzeitig ist das alles mehr Metal, als ihn so manche Jeanskuttenträger mit vom Headbangen wallendem Haar fabrizieren.

Und immer wieder von Vorne

Solch kurzweilige 52 Minuten Musik hört man selten, und mit Vergnügen hört man sich das Album immer wieder aufs Neue an, weil es einen vom ersten bis zum letzten Ton einfach gefangen nimmt. Man freut sich wieder auf "Poltergeist" mit diesem erst so absurd anmutenden und dann doch wieder völlig logischem Klatschrhythmus, das hymnische "Tempest" oder "Rosemary", einer der vermutlich wunderschönsten Liebeserklärungen in Form eines Metal-Songs, die je aus Lautsprechern dröhnte.

Soundgarden die Show gestohlen

Das hier ist das erste Album der Deftones seit 12 Jahren, das den "9 Stunden Wien-Paderborn Test" ohne Zweifel bestehen würde. Eigentlich müsste ich den Deftones so böse sein wie meine Nachbarn auf mich, denn im Moment gibt es neben dem wunderschönen und großen "Koi No Yokan" keinen Platz. Nicht einmal eine Band wie Soundgarden kann sich da im Moment noch rein schummeln, selbst wenn die jetzt nach 16 Jahren endlich mal mit einem neuen Album daherkommen.

Nach den zwar respektablen, aber nicht unbedingt überragenden Alben seit "White Pony" mochte man meinen, das könnte es nun in absehbarer Zeit wohl gewesen sein mit den Deftones. Weit gefehlt, den nun sieht es wieder so aus, als ginge es erst wieder so richtig los. Da nehme ich sogar meine geschundenen Kniescheiben in Kauf. Was früher der "White Pony Effekt" war, ist jetzt eben das "Koi No Yokan Syndrom" und um das zu wissen, muss man nicht einmal nach Paderborn fahren.

Eine Vorahnung von Liebe auch im House of Pain

Christian Fuchs und Dr. Nachtstrom werden am Mittwoch, den 14.11. ab 22 Uhr im House of Pain Ihres Vertrauens unter anderem dem Gesamtwerk der Deftones mit Schwerpunkt auf "Koi No Yokan" liebevoll huldigen. Und das alles gibt es dann wie immer einen Tag später für sieben Tage zum Nachhören.