Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vlog#12 Auf der Flucht"

Pia Reiser

Filmflimmern

6. 11. 2012 - 10:29

Vlog#12 Auf der Flucht

Hitlers Kopf im Fadenkreuz. Aus einem Jäger wird ein Gejagter. Vor Pearl Harbor gab es wenige Filme aus Hollywood, die den Nationalsozialismus thematisierten. Fritz Langs "Man Hunt" ist eine Ausnahme.

Nachdem ich 11 Mal geniest hab, merke ich, dass das Paar Socken, das ich mir anziehen will, das dritte Paar an meinen Füßen wäre. Ich krieg kaum Luft durch die Nase und ich friere. In einer Sheriff-von-Nottingham-artigen Und sagt Weihnachten ab-Manier storniere ich meine Viennale-Karten. Dann eben erschöpfungserkältungsbedingte Retrospektive am Sofa, Fritz Lang im Wohnzimmer. S. klatscht via SMS Beifall, sie meinte ohnehin schon vorgestern, dass jeder "Ja eh"-Film, den ich gehen würde, ein weiteres Verstreichen einer Chance sei, einen Fritz-Lang-Film auf Leinwand zu sehen, worauf ich kurz Panik aufkommen spürte. Retrospektiven-Sehnsucht überkommt mich. Gute Projektion wünsch ich mir also ausnahmsweise selber bei "Man Hunt" aus dem Jahr 1941.

20th century fox

Fritz Lang -Das Gesamtwerk: Noch bis 28.11. im Österreichischen Filmmuseum

Ein paar Fußspuren im Wald, ein Mann mit einem Jagdgewehr und dann plötzlich der Kopf Adolf Hitlers im Fadenkreuz. Was für ein wortloser Auftakt mit Nachdruck, noch dazu, wenn man das Jahr mitdenkt, in dem der Film in die US Kinos kommt: 1941. Der Schütze drückt nicht ab, wird überwältigt und landet bei einem Gestapooffizier (George Sanders). Der erkennt in dem britischen beinahe-Attentäter den Sportschützen Captain Thorndike und vermutet, dass die britische Regierung den Anschlag geplant hat. Thorndike soll ein Papier unterschreiben, in dem er gesteht, dass genau das der Fall ist. Der Plan, Thorndike zu töten und das Ganze als Selbstmord auszugeben, geht schief, und von nun an ist er auf der Flucht.

20th century fox

Der kleine Junge ist ürbigens Roddy McDowall, ja genau, der Roddy McDowall

Gejagt in London

Aus dem Jäger wird der Gejagte. Auch dann, als er wieder britischen Boden unter den Füßen hat. London ist voller Spione und Schattengestalten. Aber da ist auch Jerry (Joan Bennett), die - so wird angedeutet - als Prostituierte arbeitet und Thorndike helfen will. Und sich in ihn verliebt. Inmitten der Hetze durch die Großstadt, durch die Ubahngänge und die Nebelsuppe Londons packt Lang eine gleichermaßen anrührende wie tragische Liebesgeschichte, deren Dialoge Screwball-Komödien-tauglich sind.

20th century fox

Thorndike nennt Jerry a stubborn little monkey und Joan Bennent (die mit Fritz Lang noch drei weitere Filme drehen wird) versucht sich im breitesten Cockney, das die Leinwand vor Michael Caine wohl je gesehen hat. Und um das everything is connected-Thema aus vergangenen Einträgen wieder aufzunehmen, eine Szene in der Londoner U-Bahn erinnert mich an das stärkste Bild in "The Deep Blue Sea". Eine Frau in Großaufnahme, auf deren Gesicht man den Licht- und Schattenwechsel einer vorbeifahrenden U-Bahn sieht.

20th century fox

Das Bedrohliche kennt keine Uniform. Ein Bild wie aus einem Film des deutschen Expressionismus.

Mythos und Wahrheit

Fritz Lang emigriert 1934 in die USA. Die Geschichte, wie er zu Goebbels gerufen wird, ihm die (Eigenzitat) "Führerschaft des deutschen Films" angeboten wird, hat sich zum Mythos verselbstständigt (inklusive Langs überstürzte Flucht noch in dieser Nacht) und hat so wahrscheinlich nie stattgefunden. So belegen zum Beispiel die Stempel in Langs Pass, dass er erst vier Monate nach dem Treffen mit Goebbels in Frankreich eingereist ist. (Nachzulesen auch im "Film Quarterly, Vol. 43")

20th century fox

Stellung beziehen

Unleugbar ist aber, dass Fritz Lang einer der wenigen sein wird, die während des zweiten Weltkriegs - vor Pearl Harbpr - mit Filmen klar Stellung gegen den Nationalsozialismus beziehen. "Man Hunt" ist einer dieser Filme. In einem Monolog gegen Ende des Films wird Thorndike einen Appell für Menschlichkeit schreien. "He stands against humanity, against every decent peaceful person in the world. He is guilty of hatred, intolerance and murder", so Thorndike über Hitler. Das Böse zu ignorieren, heißt es zu dulden, dagegen lehnt sich "Man Hunt" auf.

20th century fox

Ein Anstecker in Pfeilform, den Jerry an ihrer Mütze trägt, wird vom Symbol für die Jagd (romantische Naturen können ihn zusätzlich auch als Amors Pfeil interpretieren), zu einem essentiellen Gegenstand im Showdown und im Epilog wieder als Symbol eingesetzt. Das macht dem ollen, tollen Fritz so schnell keiner nach. Auf in die Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum.

Tickets zu gewinnen!

Wer an der Verlosung von 1x2 Karten für "Man Hunt" am 8. November 2012 um 20:30 im Österreichischen Filmmuseum teilnehmen will, muss nur folgende Frage richtig beantworten: Über welchem Auge trug Fritz Lang sein Monokel?

Die Gewinnerin wurde bereits per Mail verständigt