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Pia Reiser

Filmflimmern

5. 11. 2012 - 10:46

Vlog#11 Hausgemachtes

Begehren, Neid und der Sog einer guten Geschichte: Im Viennale Überraschungsfilm "In Ihrem Haus" variiert Francois Ozon leichtfüßig Satire, Komödie und Thriller.

"The House by the River" läuft nochmal am 8. November um 18:30 im Österreichischen Filmmuseum

Ich wünsch mir ja länger schon eine Filmreihe, die sich Häusern in Film widmet. Das fällt mir am ersten Viennale-Tag ein, als ich gebannt in Fritz Langs "House by the River" sitze. Da ist das Haus (und seine Lichtsituationen) nicht nur Spiegel der Charaktere, am Ende scheint das Haus sich tatsächlich zu einer Aktivität aufzuraffen. Hitchcocks "Rebecca" ist auch so ein Film, wo das Anwesen Manderlay eine wichtige Rolle einnimmt, zahllose Varianten von Spukhäusern lassen sich finden, die isolierte Burg aus Glas und Beton aus "The Ghost Writer" fällt mir ein, die Simpsons Halloween-Episode, in der sich das vollautomatische Haus (gesprochen von Pierce Brosnan) in Marge verliebt.

Haus in Hitchcocks "Rebecca"

anchor bay

Manderley in "Rebecca"

Zu dem Gedanken an die Haus-Filmreihe kehre ich zurück, als der Titel in Tintenkrakelschrift nun endlich einem fast ausverkauften Gartenbaukino verrät, was der Überraschungsfilm der Viennale ist. "Dans sa maison" von Francois Ozon. Ozon, natürlich! Hier steckt ein Haus ja bereits im Titel, aber auch "Sitcom" und "8 Frauen" erforschten in ihrer Einheit des Ortes ein Gebäude beinahe ebenso wie die darin sich aufhaltenden Figuren.

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Euphorie statt Müdigkeit

Die tiefe Müdigkeit und Erschöpfung, die sich in mir breit gemacht hat, schwindet. Ich lehne mich zurück und Euphorie durchflirrt mich. "In Ihrem Haus" beginnt am ersten Schultag nach den Ferien an einer Pariser Schule, der Direktor gibt als Neuerung durch, dass von nun an Schuluniformen getragen werden. Germain (Fabrice Luchini), der Französischlehrer, der auch eine ganz gute Woody-Allen-Figur abgegeben hätte, klatscht nicht Beifall, sondern beißt in sein Croissant.

Der Mann mit der runden Brille und den etwas ausgebeulten Cordhosen trägt leichten Kulturpessimismus auf den Schultern. "Mein Wochenende" war der Titel der Hausübung für seine Klasse und was kommt zurück? Zweizeiler voller Fehler über Handys und Pizza. Sind also alle so gleich, wie die Schuluniform es einen glauben macht? Mais non. Ganze zwei Seiten hat ein gewisser Claude verfasst. Ein Text mit Sogwirkung darüber, wie er schon lange plant, endlich mal ins Haus seines Klassenkollegen Rapha eingeladen zu werden. Sie würde riechen, wie Mittelklassefrauen eben riechen würden, schreibt er über Raphas Mutter. Germain ist begeistert. Endlich ein Schüler mit Talent.

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Lehrer und Schüler

Die Bedenken seiner Frau Jeanne (Kristin Scott Thomas) über den höchst verächtlichen und voyeuristischen Unterton wischt er beiseite. Und so beginnt Germain, Claude zu ermutigen, weiterzuschreiben. Borgt ihm Flaubert, Dickens, Hugo und erläutert ihm Gundregeln des Erzählens. Fortsetzung folgt, schreibt Claude unter seine Aufsätze und für Germain wird die Geschichte um Raphas Familie wie die beste und spannendste Gute-Nacht-Geschichte bzw. wie eine Serie. Wenn eine Episode endet, kann man die nächste kaum erwarten.

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Satire, Thriller, Komödie

Claudes Blick auf die Familie ist eine Mischung aus Verachtung, Spott, Neid und Begehren. Ozons Film mischt schwarzen Humor mit Thrillerelementen und Sozialsatire. Ozon variiert Themen aus seinem eigenen Oevre mit zahlreichen Anspielungen, manchmal versteckt, manchmal ausformuliert, von seinen Figuren. Ob das jetzt Pasolini sei, fragt Germain genervt Claude, als seine Geschichte düsterer wird. Stets predigt er Flaubert und dessen Brillianz in Sachen Form und Inhalt.

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"In Ihrem Haus" startet am 30. November in Österreich.

Als Kontrapunkt zu Germaines Begeisterung für klassische Literatur - jeden Abend sehen wir ihn mit einem anderen Werk lesend im Bett liegen - fungiert Jeanne. Für die Werke in ihrer Galerie hat Germaine bloß Verachtung über. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, macht sich Francois Ozon nicht über den Kunstbetrieb lustig, sondern über die Leute, die sich über den Kunstbetrieb lustig machen. Wenn Germaine mit hängenden Schultern und spöttischem Kommentar zwischen aufblasbaren Sexpuppen mit den Gesichtern von Diktatoren steht, dann ist er der Witz.

Ozon erzählt von der Macht der Geschichte, er verwischt die Grenze zwischen Realität und Fiktion und variiert die Geschichte vom manipulativen Eindringling neu. Am Schluss zieht Ozon einen herrlich überstilisierten Hut vor "Rear Window" und da haben wir schon wieder einen Film für die Haus-Filmreihe.

Und sonst so?

Die Viennale begibt sich in den Endspurt. Euphorisches wird mir bis jetzt hauptsächlich über "Searching for Sugarman" erzählt, den hab ich versäumt. War jemand bei Patti Smith im Metrokino gestern Abend?