Erstellt am: 3. 11. 2012 - 11:13 Uhr
Vlog #9 Ride a dark horse
"Dark Horse" von Todd Solondz reitet auf der Viennale ein und ich befürchte Schlimmstes. Was ich an Solondz mag, ist, dass er eine Eigenheit hat, was Figuren, Themen und Erzählweise betrifft, die ihn von allen anderen Regisseuren unterscheidet. Solondz ist unverwechselbar.
- Viennale-Tagebuch fm4.orf.at/viennale
- viennale.orf.at
Ich liebe seine Filme nicht. Beeindruckt, was "Happiness" damals mit mir angestellt hat, bin ich aber trotzdem. Und genau sowas wünsche ich mir im Moment. Lieber ein Magenwehmoment im Kino, lieber ein Krümmen im Sessel als das schulterzuckende Hmpf, mit dem mich so viele Filme zurücklassen. Klingt wie die Vorstufe zur Fight Club Gründung, ich weiß. I am Jack's cold sweat.
double hope pictures
Fast noch besser als ein filmischer Schlag in die Magengegend und der Wunsch im Boden zu versinken ist es aber, wenn man überrascht wird. Mit "Dark Horse" nimmt sich Todd Solondz einer Ausgangslage an, die sich im letzten Jahrzehnt in der amerikanischen Komödie stark manifestiert hat. Entwicklungshemmung nennen es die einen, Peter-Pan-Männer, die anderen. Männliche Figuren, die das Erwachsen-Werden verneinen und sich in Popkultur verkriechen. Die in ihrem ehemaligen Kinderzimmer wohnen und irgendwie beleidigt sind, dass die Welt ihnen nicht das gegeben hat, was sie ihnen in goldenen Kindheitstagen zu versprechen schien. In den Filmen von Judd Apatow sind das liebenswerte Figuren, im Fall von Todd Solondz eher nicht.
double hope pictures
Abe (Jordan Gelber) ist ein großer, dicker, latent schlecht gelaunter Kerl. In seinem Zimmer stapeln sich Simpsons-Merchandise und Gremlins-Figuren, an der Wand hängen Absolut-Wodka-Werbungen aus Magazinen. Er arbeitet in der Immobilienkanzlei seines Vaters, verbringt die meiste Zeit aber auf ebay, um weitere Memorabilia zu ersteigern. Sein dottergelber Hummer (Auto nicht Tier) ist das schreiende Symbol seiner Lächerlichkeit (und wirft einen farblichen Schatten auf das Ende des Films voraus, aber das müsst ihr selber rausfinden).
double hope pictures
Gleich zu Beginn lernt Abe auf einer Hochzeit Miranda (Selma Blair) kennen und bittet um ihre Telefonnummer. Miranda lebt ebenfalls bei ihren Eltern und schluckt zuviel Medikamente, eine gescheiterte Existenz als Schriftstellerin liegt hinter ihr. Was nach quirk klingt, hat bei Solondz immer einen Stachel.
Über Abe und Miranda liegt eine Traurigkeit, die das Unangenehme, das seine Filme sonst bestimmt, beinahe unmöglich macht. Was visuell beginnt wie eine Mainstream-Komödie begibt sich bald in Grauzonen-Gefilde, in die Twilight Zone von Abes Träumen oder Fantasien. Die Grenzen des Unangenehmen lotet Solondz hier nicht neu aus. Er formuliert einen Grundgedanken, von dem ausgehend Magazine wie das NEON ihr halbes Programm bestreiten: Wenn einem stets vermittelt wird, dass einem alle Möglichkeiten offen gestanden sind, dann überprüft man sich stets auf Unzulänglichkeiten. Bei Abe äußert sich das auch in maßlosem Hass auf den eigenen, schlanken, erfolgreichen Bruder (ich muss an Adam Scott in "Step Brothers" denken) und in ständig fordernder Erwartungshaltung an die Welt. Als pars pro toto Beispiel lässt Solondz Abe in ein menschenleeres, riesiges Spielwarengeschäft gehen und versuchen, etwas zurückzugeben, weil es einen Kratzer hat. "But I have a receit", echauffiert sich Abe. "Everyone has a receipt and it never adds up", wird ihm erklärt.
double hope pictures
Den Feelgood-Sticker wird man "Dark Horse" wohl auch nicht verpassen, doch in der eigenwilligen Reise ins Innenleben von Abe steckt ein Appell für Mitmenschlichkeit und Mitgefühl. Zeigefinger oder Zaunpfähle braucht Solondz dafür keine, er ändert, wie man Abe wahrnimmt. Das "Dark Horse" ist kein one-trick-pony.
P.S. Wie konnte es mir übrigens nicht früher auffallen, dass Solondz auch in die Liste der Regisseure gehört, die aussehen, als wären sie aus dem eigenen Oevre gefallen?
double hope pictures
Außerdem
"Dark Horse" war also ein Erwartungshaltungs-Überraschungsfilm, morgen steht dann der echte Überraschungsfilm am Programm.