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Pia Reiser

Filmflimmern

1. 11. 2012 - 08:35

Vlog #7 Scream Team

Das Ärgste überhaupt, ich schlafe im Kino ein, bei einem der besten Filme der Viennale bis jetzt. In "Berberian Sound Studio" vermischen sich in einem Soundstudio die Grenzen zwischen Giallo-Film und Realität.

Das Metrokino ist ein bisschen wie Atlantis, auf das man unterm Jahr viel zu oft und schrecklicherweise vergisst und dann hebt es sich zur Viennale empor. Ich weiß nicht, ob derartige Gedanken bei der Programmierung eine Rolle spielen, aber "Berberian Sound Studio" passt wie angegossen in den wunderschönen kleinen Kinosaal mit roten Samtvorhängen, einem Kronleuchter und nur schwach beleuchteten Logen. Hier könnte überall ein kopfloser Reiter, eine Hexe oder ein Kobold drin sitzen - wie sie im Film erwähnt werden - und man würde es zunächst nicht bemerken.

Plakat zu "Berberian Sound Studio"

atrificial eye

Bestes Plakat, so far viennaletechnisch

Hallo Giallo

"Berberian Sound Studio" ist ausverkauft, die Warteliste, die längste, die ich bei der heurigen Viennale zu Gesicht bekommen habe. Freudige Erwartung auf den Thriller, der im Soundstudio einer italienischen Filmproduktionsfirma in den 1970er Jahren angesiedelt ist. Ein Brite mit dem schönen und beinah märchenhaften Namen Gidleroy (Toby Jones) landet als Sound-Experte wie ein Fremdkörper in der Welt der Italiener, die ihm viel zu viel Körperkontakt schon bei der Begrüßung abverlangen und der Welt der Giallo-Filme.

Ausgerechnet er, der sonst an kleinen Naturdokus übers englische Landidyll arbeitet. Dass man der Giallo-Welt aus knallrotem Blut, dunkelhaarigen Frauen, blitzenden Messern mit langer Klinge, Paranoia, Sex, Gewalt und Verstörung eine filmische Homage widmen will, wäre nachvolziehbar, bei diesen flirrenden visuellen Welten. (Hat man mit "Giallo" 2009 versucht, ist ordentlich daneben gegangen).

Toby Jones

peter strickland

Hexen, Kobolde, Priester

Regisseur Peter Strickland, der auch das Drehbuch geschrieben hat, widmet sich dem Sound, den Tönen, Geräuschen und Schreien (nicht nur) dieser Filme. Den Film, für den er angeheuert wurde, bekommen wir nie zu sehen. In den nachsynchronisierten Tonsequenzen ist von Hexen, denen die Haare vom Kopf abgezogen werden, die Rede, von einem sexuell erregten Kobold, von Priestern, die auf Hexen einstechen. Strickland spielt mit Regeln der alten Horrorschule, dass einen das, was man nicht sieht, mehr ängstigt als das, was man sieht. Aber er spielt mit soviel mehr.

Der Horror im Kopf

In den beinah kafkaesken Räumlichkeiten des Studios, in denen man die Orientierung verliert und niemals zwischen Tag und Nacht unterscheiden kann, schärft einem "Berberian Sound Studio" die Ohren. Zeigt, dass man zu einer Wassermelone, die zermantscht wird, zunächst keine weiteren Assoziationen hat. Wenn jemand aber erklärt, dass hier Schädel zertrümmert werden, dann fängt der eigene Kopf freudig an bei Stricklands Manipulationen mitzuspielen.

Das "Ratsch" der abgerissenen Radieschen-Stengel sind nun die schrecklichen Geräusche einer Skalpierung, eine weiche Zucchini, die man auf den Boden schmeißt, ein Körper, der nach langem Fall landet. Der Horror findet im Kopf statt, flüstert "Berberian Sound Studio" einem zu. Schön auch, wie immer wieder Tröge von bereits verwendetem Gemüse gezeigt werden, das vor sich hin rottet. Die Fäulnis, das Verderben macht sich im Soundstudio breit.

Frau, die schreit, Szenenbild ais "Berberian SOund Studio"

peter strickland

Surrende Spulen

"Berberian Sound Studio" ist atmosphärisch und vor allem schnitt- und rhythmustechnisch ein Meisterstück. Francis Ford Coppolas "The Conversation" und Brian de Palmas "Blow Out" fallen einem ein, aber Strickland selbst meint, gar keine filmischen Vorbilder zu haben, all seine Referenzen kommen aus der Musik.

In dieser Welt aus Revox-Bandmaschinen, Reglern, Kopfhörern, Oszilloskopen, Mikrophonen und Pegel-Beobachtungen entwirft Strickland eine schaurige Atmosphäre, die sich gleichzeitig auch den technischen Aspekten des Filmmachens widmet. Immer wieder sehen wir Hände, die in Lederhandschuhen stecken, den Projektor anwerfen, Filmmaterial surrt von einer Spule zur anderen.

Toby Jones telefonierend, SZenenbild aus "Berberian Sound Studio"

peter strickland

Silenzio!

Nicht nur "The Equestrian Vortex", der Film an dem hier gearbeitet wird (und dessen fantastischer Trailer in "Berberian Sound Studio" eingeflochten ist) fährt mit Grausamkeiten auf, auch die Stimmung im Studio ist unangenehm. Der Regisseur ein eitler Playboy, der Produzent ein unsympathischer Kerl, die Sekretärin zwar wunderschön, aber abweisend und unfreundlich. Immer wieder leuchtet ein riesiges "Silenzio"-Schild auf, Strickland löst die Regeln der Logik auf und die Grenzen von Realität, Fiktion, Traum und Film gleich dazu.

Und dann passiert das unglaubliche angesichtst dieses betörend-spannenden Films: Mir fallen gegen Ende die Augen zu. Das hat nichts mit "Berberian Sound Studio" zu tun, sondern mit meinem Körper, der, wenn er grad Schlaf braucht, sich den holt, ohne das mit mir abzustimmen. Aber selbst das passt zum Film, ich kann heute nämlich nicht mehr genau zwischen meinen Kurzträumen und dem Film unterscheiden. Gab es eine Szene mit einer riesigen, weißen Maske, ich weiß es nicht.

peter strickland

Nicht von dieser Welt

Schön ist das, wie Filme aufs echte Leben abfärben, gerade telefoniere ich mit H. und versuche ein Geräusch dafür zu finden, wie es ist, wenn man in einem Schreibfluss steckt. Stille am anderen Ende der Leitung, dann ein "Hallo?". Ob ich noch da sei, fragt H. da war grad ein Geräusch zu hören, das war nicht von dieser Welt.

Und sonst so?

Morgen dann die Doku über Tony Curtis und himmel, der neue Bond läuft ja auch schon an. Eventuell eine Viennale-Pause für "Skyfall" nutzen.