Erstellt am: 27. 10. 2012 - 16:28 Uhr
Der Winter kommt
Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme
Geschichten aus Berlin von Christiane Rösinger
Die Novemberdepression steht in den Startlöchern, aber irgendwie hat doch jeder Schrecken auch sein Gutes. Gut, dass der Unbeliebteste in den Top 12 der Monate jetzt endlich kommt.
Schon seit Mitte August, bei der ersten Ahnung, der Sommer könnte nun so langsam dem Ende zu gehen, hatte man ihn schon mit Grauen vor sich gesehen, den grauen kalten Berliner Herbst und Winter. Jetzt ist er endlich da, es hilft kein Jammern mehr, man muss sich darauf einstellen.
Zum Glück ist auch das Herbstgerede vorbei, der Erntedank-Kitsch, das zu Tode zitierte Rilkegedicht vom Sommer, der groß war, vom Haus, das sich keiner mehr bauen wird und von demjenigen, der jetzt alleine ist und es lange bleiben wird.
Der Sommer war nicht besonders groß, auch wer im Frühling schon allein war, kann es unter Umständen lange bleiben, und der Hausbau war noch nie eine Option.
Christiane Rösinger
Wie jedes Jahr muss man sich aber in dieser Jahreszeit besonders gut zureden: Der goldene Oktober ist zwar vorbei, aber kann man nicht auf den Klimawandel hoffen? War es nicht manche Jahre noch im November bis zu 20 Grad warm? Und hat die Stadt im Herbst nicht auch schöne Seiten, wenn man wieder öfters ins Kino geht, weil bessere Filme kommen, weil Genres wie "leichte Sommerkomödie" keine Chance haben? Läuft nicht am 1. November der neue James Bond mit Daniel Craig an? Und beginnt nicht die Konzertsaison? Ist es nicht auch ein Segen, dass nun Schluss ist, mit dem oberflächlichen Summer-Feel-Good-Getue, mit der Festival-Hurra-Berichterstattung und den Outdoor-Aktivitäten, dem ewigen draußen sitzen müssen und dem Sommerloch?
Es wird alles seinen Gang nehmen, die Zeit wird kommen, in der es, wenn man endlich aufsteht und rausgeht schon wieder dunkel ist. Die ersten Frostnächte wurden angekündigt, in den nächsten Tagen sollte man die empfindlichen Balkonpflanzen, die Palmen, den Oleander reinholen. Der angeblich winterharte Rest, Lavendel und Hortensien werden draußen gelassen und wegen der zu kleinen Töpfe auch dieses Jahr den Winter wahrscheinlich nicht überleben. Bald kommt der Weihnachsmarkt-Irrsinn, dann werden die Kräne an den vielen Baustellen mit Christbäumen und Lichterketten geziert.
Auch im November werden draußen vor den Cafés die Idioten im kalten Sonnenlicht in Wintermänteln vor den Kaffeetassen sitzen und so tun, als frierten sie nicht.
Christiane Rösinger
Aber man darf sich so einer nahenden Novemberdepression nicht wehrlos ergeben. Positiv Denken!
Stehen uns in Herbst und Winter nicht auch Monate der Muse und Geselligkeit bevor, kommt es nicht auf uns selbst an, was wir draus machen? Parties feiern, Tatort-Sonntagstreffen, Kinogruppe. Spaziergänge durch das regennasse Herbstlaub, ins Theater gehen, russische Romane lesen, neue Serien schauen, Innerlichkeit anhäufen, Wohnung verschönern, stricken? Traurige Novembersongs schreiben?
Und wenn der feige Nieselregen
Auf mich fällt
Und der gemeine Ostwind weht
Wenn die alten, kalten Nebel zu uns ziehen,
Dann weiß ich, was ich an dir hab
Berlin.