Erstellt am: 26. 10. 2012 - 12:27 Uhr
Vlog#1 (Af)fleckerlteppich
Vlog
Pia Reisers Viennale-Tagebuch
Bevor die Viennale abends offiziell eröffnet wird, eröffne ich sie für mich und husche nachmittags ins Filmmuseum zu "The House by the River" von Fritz Lang. Beim Saaleinlass wird hinter mir gemurmelt, dass man noch dringend einen französischen Film fürs eigene Viennaleprogramm brauchen würde, man sei doch bis jetzt noch jedes Jahr in einen französischen Film gegangen. Im Saal dann sitze ich vor zwei Frauen, die im Viennaleprogramm blättern und das Programm zum Michael Caine Tribute studieren. Sie freuen sich, schließlich haben sie "Get Carter" immer gemeinsam im Fernsehen angeschaut. Es ist also Viennale.
Düsternis und Verbrechen
"Irgendwelche Nachrichten an Michael Douglas?" les ich am Handy-Display und schreib zurück an R., der im Urlaub weilt, dass ich generell Fan bin und seine deutsche Synchronstimme mir manchmal weiche Knie macht. Warum R. das wissen will, darüber denk ich gar nicht mehr länger nach, ich versinke schon im düsteren Erzählfluss von "House by the River". Ein Film Noir im Kostümfilmmantel, eine gothic crime story, die wohl Hitchcock sicher auch gefallen hat. Und Slavoj Zizek könnte sicher nächtelang über die Szene plaudern, in der der Autor Stephen Byrne zum erleuchteten Fenster seines Hauses raufsieht, in dem sich grad das Hausmädchen Emily ein Bad gönnt. Begehren und (nicht) unterdrücktes Verlangen äußern sich nur in diesem Blick und einem schief gezogenen Lächeln im Gesicht von Louis Hayward.
filmmuseum
Byrne wird schon bald zum Mörder und entledigt sich der Leiche mit Hilfe seines Bruders im großen Fluss, sein Haus ist - wie ich - nah am Wasser gebaut. Vorher noch verhängt sich für einen Moment ein Band des Kleides des Opfers an Byrnes Hand und hält ihn fest. Lang liebte Symbole, setzte sie aber in seinen amerikanischen Filmen weit seltener und dezenter ein. Dieses hier sitzt perfekt. Von der generellen Ahnung, dass so eine Leiche, so ein Verbrechen nicht einfach vom Fluss weggespült wird, sondern sich an einen krallt, bis zum Showdown, wo dieses Motiv wieder aufgegriffen wird.
viennale
Wie so oft geht es bei Lang um Schuld und um unschuldig Verdächtigte und um das Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Der Staatsanwalt hier ist eine Karikatur. Ein fast kahler Geck mit gestutztem Bart und grotesk ausgestopfter Wampe, lächerlich und bedrohlich zugleich. Die oft leere Phrase vom Spiel mit Licht und Schatten wird hier wieder mit Bedeutung aufgeladen. Im von Kerzenlicht erleuchtetem Haus treten die Figuren immer nur kurz ins Licht, um dann wieder im Dunklen zu verschwinden, das von unten angeleuchtete Gesicht Byrnes verleiht ihm diabolisches Grinsen, da sucht man den Jeykill-Teil seiner Persönlichkeit bereits vergebens. Das Dunkle ist aber nicht automatisch das Böse, im schummrigen Licht sehen wir auch nackte Frauenbeine die Treppe runterschreiten oder aber eine beinahe Zuneigungserklärung, die zwischen einer verheirateten Frau und einem Mann im viktorianischen Zeitalter nicht mehr möglich ist, als die Hausdame in Funktion als Anstandsdame eine Lampe und somit Helligkeit bringt und den Moment zerstört.
filmmuseum
Nach zehn Tagen ohne Film hat mich das Kino wieder und ich stolpere filmberauscht freudig ins Foyer, treffe S. und P., sage im Gespräch "Star Trek" statt "Star Wars", ernte Gelächter der unverschämt jungen Menschen und weiß nun, wie sich wohl Omas manchmal fühlen. Hinzu kommt noch eine S., die Viennale-Tasche umgehängt, die das Muster von Fritz Langs Anzug in "Le Mepris" echot, eine wasserfeste Nadelstreiftasche also und mit dem dezenten Muster somit der Zyklop unter den bisherigen blinden Viennale-Taschenauswüchsen.
Der Sir im Gartenbaukino
Fritz Lang und Ben Affleck liegen nur eine Ring-Kurve voneinander entfernt, auch das ist die Viennale. Afflecks dritte Regiearbeit "Argo" eröffnet das Festival. Zuvor natürlich Reden dreierlei Art, eine kurze von Andreas Mailath-Pokorny ("ohne öffentliche Gelder würds keine Kinos wie das Gartenbau geben"), Hans Hurch, der auf seine eigentlich verzichtet und nur ein wunderschönes Filmfest wünscht und Eric Pleskow. Der Viennale-Präsident verteilt gewohnt pointiert Seitenhiebe auf Maria Fekter, Mitt Romney, den Untersuchungsausschuss und Burschenschafter "in ihren vertrottelten Uniformen". Er würde, auch wenn er in den USA sei, immer im Blick haben, was hier so passieren würde. Im Blick haben alle heimlich linsend und fotografierend immer noch den Herrn, der unter viel Applaus in der fußfreien Reihe Platz genommen hat, da sitzt der Sir, der Ehrengast, da sitzt Alfie, Carter und Harry Palmer, da sitzt Alfred, Wilbur Larch, da sitzt Michael Caine. Die Taktik (war es Tatktik oder war es nur einfach keine Zeit, mich vorzubereiten), mich dieses Jahr von der Viennale überraschen zu lassen, funktioniert, weder wusste ich, dass Caine bei der Eröffnung anwesend sein würde, noch habe ich zuviel über "Argo" gelesen.
warner
Ben Afflecks Argonauten
Seitenscheitel, Voll- und Schnurrbärte, Trenchcoats und ein hoher Polyesteranteil in sämtlichen Oberbekleidungen: In körnigen Bildern erzählt Ben Afflecks Thriller die wahre Geschichte einer unglaublichen Rückholaktion. 1979 wird die amerikanische Botschaft in Teheran gestürmt und 52 Menschen als Geiseln genommen. Sechs Mitarbeiter der Botschaft flüchten ins Haus des kanadischen Botschafters. Diese sechs sollen nun so schnell wie möglich zurückgeholt werden. Tony Mendez (Affleck), der CIA-Experte für derartige Aktionen, entwickelt einen hanebüchenen Plan. Er will die sechs als Filmcrew ausgeben, die auf Locationsuche im Iran war, nur dazu braucht er Hilfe aus Hollywood, schließlich soll das Ganze glaubhaft aussehen. Und so macht sich Tony auf in den Iran, mit einem Drehbuch und ersten Szenenbildern zum Science-Fiction Film "Argo".
So wie "House by the River" zwischen Licht und Schatten flaniert, so beherrscht "Argo" den Wechsel von "based on a true story" Erzählkonventionen zum Thriller und mittendrin zu einem satirischen Seitenhieb auf Hollywoods Arbeitsweisen - mit einem unglaublichen Gespür für Rhythmus und Stimmungen. Was viele andere Filme zu einem unausgegorenen Flickenmonster machen würde, sitzt bei "Argo" so gut wie die Trenchcoats der Herren.
Warren Beattys Haare
Als Vorbilder nennt Affleck die politischen Thriller der 1970er Jahre, in denen Robert Redford und Warren Beatty die Feschaks waren und Verschwörungen aufdeckten. Von Beatty in "The Parallax View" hat sich Affleck auch ein wenig die Frisur ausgeborgt. Aber abgesehen von massivem Vollbart und dichtem Haar, spielt er zurückhaltend, setzt auf das kleine Minenspiel und lässt die anderen Mitspieler seines unglaublichen Casts die größeren Gesten und Sätze übrig. Von Alan Arkin und John Goodman, die als Regisseur und Maskenbildner dem CIA beratend zur Seite stehen, wünscht man sich gleich einen eigenen Film, Goodman bekommt Dialogzeilen, die es in die Zitatesammlung des kollektiven Gedächtnisses schaffen können.
warner
"Argo" startet am 9. November in den österreichischen Kinos
I love the smell of Oscars in the morning
Das exzellente Drehbuch strickt aus Szenen der sechs Botschaftsmitarbeiter und deren langsamen Lagerkoller im Haus des Botschafters, Tonys Vorbereitungsarbeit in Hollywood und dem bürokratischen Teil der CIA-Arbeit, der aus Sitzungen, Genehmigungen und Telefonaten besteht, einen fantastischen Spannungsbogen. "Argo" wirft auch einen Blick auf den Beginn der problematischen Beziehung zwischen dem Iran und den USA und kann sich gegen Ende dem Patriotismus nicht entziehen. Das unterscheidet den Film von seinen Vorbildern aus den 1970er Jahren. Dass fast als Ausgleich zur amerikanischen Flagge, die bei den Protesten im Iran zu Beginn des Fillms verbrannt wird, gegen Ende eine US-Fahne an einem weißen Lattenzaun wehen muss, ist beinah zu dick aufgetragen. Oscars, ich hör euch trapsen. (Drehbuch-Oscar, ich trau mich wetten).
Stars in Serie
Als Eröffnungsfilm ist "Argo", der so leicht und in den Bann ziehend den Brückenschlag zwischen wahrer Geschichte, Witz und Spannung schafft und noch dazu von einem fiktiven Film erzählt, ein spitzen Affleckerlteppich im besten aller Sinne. Und hoffentlich in Sachen Vielseitigkeit und Überraschungen stellvertretend für das restliche Viennale-Programm. Weil schon allein die Tatsache, dass ein Film von Ben Affleck die Viennale eröffnet, der Mann, der noch vor acht Jahren hauptsächlich spöttelnd belächelt wurde, auch zeigt, dass die Filmgeschichte Wendungen und "Phönix aus der Asche"-Anwandlungen liebt. Auf und abseits der Leinwand. Die Besetzung wiederum verdeutlicht, wie sich Serien seit Jahren zu etwas entwickelt haben, was ernst genommen wird. In den 1990er Jahren oder wohl auch den 00er Jahren hätte wohl kaum ein Film soviele Rollen mit Schauspielern besetzt, "die man aus dem Fernsehen kennt". Hier geben sich Tate Donovan ("Damages", "The O.C."), Rory Cochrane ("CSI: Miam"), Richard Kind ("Spin City", "Curb your Enthusiasm"), Kyle Chandler ("Friday Night Lights"), Chris Messina ("Damages"), Clea DuVall ("Heroes", "Carnivale") und Zeljko Ivanek ("Damages") die Klinke in die Hand.
warner
Draußen an der frischen Luft blicke ich aufs Handy-Display und da sind neue Nachrichten von R. Er habe ein Schreiben in Michael Douglas Briefkasten geworfen, das unter anderem meine E-Mail Adresse enthält. Und das war erst Tag Eins der Viennale.
Und sonst so?
Heute gehts zu "Ihr werdet euch noch wundern", "Pearblossom hwy" und "Beasts of the Southern Wild". Habt ihr all eure Karten bekommen, wie war die Party im Viennale Zentrum? Bin ich zu gehässig zur Viennale-Tasche und gefällt irgendjemandem auch nur ein bisschen das diesjährige Viennale-Plakat?
Bonustrack
Mein Lieblingsdialog aus "Argo", ein Gespräch über einen Film.
The target audience is gonna hate it.
- Who is the target audience?
People with eyes.