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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

6. 10. 2012 - 13:21

Ein neues Dorf für Berlin

Warum die Stadt doch nicht den Bach runter geht.

In den deutschen Zeitungen erscheint ja zur Zeit mindestens einmal wöchentlich ein Artikel über Berlin. Darüber, wie die Stadt den Bach runtergeht, wie das einst so lockere Leben hier jetzt endgültig vorbei ist, wie die Idee der mulitkulturellen Gesellschaft böse scheitern musste, wie das wilde alternative Berlin nach und nach verschwindet, wie die Touristen jedes Flair kaputt machen, wie die ersten prekären Künstler in Rente beziehungsweise in Grundrente auf Hartz 4 Niveau gehen, wie man daran sehen kann, dass sich das Lotterleben eben am Ende eben doch rächt, wie Berlin jetzt endlich so teuer und normal wird wie alle anderen deutschen Städte.

Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme
Geschichten aus Berlin von Christiane Rösinger

In diesen Texten schwingt immer ein bisschen Häme mit - das haben sie jetzt davon, die Künstler und Verweiger und Party-Berliner!

Aber so funktionieren eben Medienhypes: Erst wird ein Thema hochgejazzt, ein Hype kreiert, und dann das Ende ausgerufen und kräftig drauf eingedroschen. Zum Glück hat das alles nicht so viel mit dem Leben in der Stadt zu tun. Denn wenn auch einiges im Argen liegt und Berlin sich tatsächlich an vielen Stellen in eine ungute Richtung entwickelt, die allzu willfährige Bedienung der Tourismus-Ströme die Stadt vulgarisiert - die Berliner wissen genau, dass es hier trotz aller negativen Entwicklungen immer noch viel viel besser ist, als in jeder anderen deutschen Stadt. Und dass hier Dinge entstehen und durchgesetzt werden, von denen man in anderen Städten nur träumen kann.

Menschen vor der geschlossenen Bar 25

Christiane Rösinger

2009 : Das letzte After-Hour-Wochenende in der Bar 25

Dazu passt die Nachricht der Woche: Das Holzmarktdorf an der Spree auf dem alten Gelände der Bar 25 kann gebaut werden! Die Betreiber der früheren Bar 25 und des heutigen Kater Holzig haben eine Genossenschaft gegründet, den Zuschlag erhalten und das 18.000 Quadratmeter große Grundstück an der Spree tatsächlich gekauft. Dort soll nun so etwas wie ein alternatives Kreativdorf mitten in der Stadt entstehen. Mit einem Dorfplatz, Werkstätten, einem Club, einem Hotel, einem öffentlichen Park mit Urban Gardening-Bereich, einem Hochhaus mit Studentenwohnheim, einem Gründerzentrum für IT-Startups, einer 24-Stunden-Kita, einem Yoga-Zentrum und und und.

Wochenlang war vorher debattiert worden, was mit dem Grundstück passieren soll, schließlich hatte es mehrere Interessenten gegeben und man hatte befürchtet, dass auch dieses freie Uferstück an den Höchstbietenden verkauft wird, der dann alles mit Hochhäusern und Bürotürmen verbaut.
Aber es scheint tatsächlich so etwas wie ein Umdenkprozess in der Berliner Politik stattgefunden zu haben. Man sieht wohl endlich ein, dass die Clubszene, der Wildwuchs und die Alternativkultur für Berlin wichtiger sind, als die übliche Investorenarchitektur.

Es gibt den Sinneswandel in der Berliner Politik, es soll sogar ein Gesetz verabschieden werden, das besagt, dass in Zukunft landeseigene Grundstücke nicht mehr an den Höchstbietenden verkauft werden, sondern der echte Nutzen für die Stadt im Vordergrund steht. Bei all der Freude gibt es natürlich auch kritische Stimmen zu dem Grundstücksdeal.

Modell des Kreativdorfs

Christiane Rösinger

Modell des neuen Kreativdorfs an der Spree

Die Kneipiers wären ja nichts anderes als Investoren, heißt es, und das ganze Kreativdorf würde nur als weiterer Anziehungspunkt für Touristen vermarktet werden. Dem Kapitalismus ein Schnippchen geschlagen hat man mit der Transaktion wahrlich nicht, schließlich mussten die Holzig Leute angeblich zehn Millionen für das Gelände bezahlen. Das Geld kommt von der deutschen Tochtergesellschaft der Schweizer Stiftung Abendrot, einer Pensionskasse, die ihr Vermögen vor allem in Immobilien investiert und dabei nach eigenen Angaben eine "Anlagepolitik auf der Basis von Gesundheit, Umwelt und Gerechtigkeit" verfolgt.

Der "Kater Holzig" hat auch nicht nur Freunde in Berlin. Zu kommerziell sei es da, heißt es, inzwischen ein reiner Touri-Laden und die berüchtigte Türsteherin ist wohl eine der am meisten gehassten Frauen in Berlin.

Das neue Holzmarkt-Dorf wird aber mehr sein als ein Amüsierbetrieb und es wird besser aussehen und interessanter sein, als sämtliche Neubauten an der Spree. Und es ist ein Hoffnungsschimmer, ein Anzeichen dafür, dass doch nicht alles den Bach runter geht in Berlin.