Erstellt am: 26. 8. 2012 - 22:50 Uhr
Die wundervolle Schwere des Seins
Zum Nachhören und -sehen
In der Homebase (19-22) vom Donnerstag, 30. August wurde die FM4 Radiosession mit Get Well Soon ausgestrahlt. Danach gibt es das Konzert hier für eine Woche als Videostream.
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"Roland I Feel You" von Get Well Soon. Die gesamte FM4 Radio Session gibt es ab Donnerstag für eine Woche als Videostream.
Der Rahmen ist perfekt. Das große Sendestudio des Funkhauses, in dem fast alle FM4 Radiosesssions stattfinden, bildet das richtige Ambiente für die schwermütigen und wild aufbrausenden Songs von Get Well Soon. Die Musik von Konstantin Gropper, dem studierten Kopf und Songschreiber der Band, hatte ja schon immer den Hang zur groß angelegten Tragödie, die auf einer ebenso großen Bühne uns dargeboten werden sollte. Noch dazu hat das neue Album "The Scarlet Beast O‘Seven Heads - La Bestia Scarlatta Con Sette Teste" von dem Get Well Soon uns ganz exklusiv einige Songs in achtköpfigem Bandformat präsentieren, einen ausgeprägten Cinemascope-Sound. Schließlich sind die neuen Lieder eine Hommage an die Filmmusikkünstler Groppers Jugendzeit, an Erinnerungsstücke italienischer Mafiafilme, an Easy-Listening der sechziger Jahre, an Zeichentrickmomente seiner Kindheit und opulente Untermalung berühmter Cowboystreifen.
Gropper's Silence
Christian Stipkovits
Get Well Soon live:
ORPHEUM - Graz 5.11.
ARENA - Wien 6.11.
ROCKHOUSE - Salzburg 7.11.
Das Konzert mit "Prologue", der ersten Nummer des neuen Werks zu beginnen, lag wohl auf der Hand. Als die zarten Saiten der akustischen Gitarre im dunklen Saal erklingen und sanft der Chor der anderen Bandmitglieder einsetzt, ist man schon in der Welt von Get Well Soon gefangen. Die tiefe Bassstimme, in weiterer Folge unterstützt von Violine und Bläser verzaubert und berührt, sodass nach rund vier Minuten, als der letzte Ton im Raum verklingt, einige Sekunden Stille herrscht. Bis schließlich der Applaus losbricht. Stille ist ein gutes Stichwort, als der dumpfe donnernde Beat von "I Sold My Hands For Food So Please Feed Me" einsetzt. Was die Musik von Get Well Soon nämlich so zwingend und berauschend macht, ist der Raum zwischen den Tönen.Vor allem bei diesem Song baut sich eine unglaubliche Spannung auf. Immer wieder kehrt die Band zu den Grundschlägen zurück, lässt Platz für Groppers Stimme, bis sich die dadurch angestaute Energie in einem breiten Finale entlädt. Zu Posaune, Trompete und Leslie-Orgelsound erhebt sich der Gesang des knabenhaften Masterminds in hohe Tonsphären, um den vermeintlichen Triumpf der Melancholie über all den Schmerz zu feiern.
Christian Stipkovits
Vor allem die Songs von "Vexations" funkeln und strahlen geheimnisvoll in diesem Sessionsoundgewand. "Seneca's Silence" lässt mit der engelsgleichen Stimme der Backgroundsängerin sofort die Gänsehaut den Rücken runterjagen. Sofort ist die Erinnerung wieder da, als dieser betörende Gesang gegen die klirrende Kälte beim Open Air FM4 Geburtstagsfest ankämpfte. Und auch nach dieser sich kontinuierlich steigernden Performance herrschte in den ersten Momenten stoische Ruhe im Saal, mit der Seneca seine große Freude gehabt hätte. Denn jene Angst vor der "ehrfurchtsvolle Halle", wie Konstantin Gropper meinte, scheint sich auch ein wenig auf das sitzende Publikum ausgeweitet zu haben.
Römische Truppen und der Pate
Christian Stipkovits
Doch für Geschichten, Witze und Plaudereien lässt sich der Erolzheimer sowieso nie hinreißen. Und schon beginnt die von Handklatschen begleitete, leicht hektisch wirkende Mandolinenmelodie von "The Last Days Of Rome". Ein recht experimentell angelegter Popsong mit einem treibenden Rhythmus, der sich zu einer laut dahinstampfenden Armee entwickelt, die in den Kampf zieht. Dazu passt gut das darauffolgende "A Voice In The Louvre", das wie ein schwerer Dreimaster durch die aufbrausenden Soundwogen zu schlingern beginnt, bis nach dem Sturm lediglich das leise knarren Groppers Akustikgitarre übrigbleibt. Doch die Stille nach diesem Sturm währt nicht lange. Schon zitiert der Bläsersatz Pergolesis "Stabat Mater", das umwerfende Intro zu "5 Steps / 7 Swords". Es ist erstaunlich, wie Konstantin Gropper und seine Band den Song komplett in seine Einzelteile zerfallen lassen, nur um kurz darauf mit einem furiosen Schlussteil über unsere Köpfe hinwegzurollen.
Christian Stipkovits
Die erwähnten Filmreminiszenzen der neuen Get Well Soon Platte werden vor allem bei der ersten Single "Roland, I Feel You" sofort hörbar. Zu dem kecken mit Cembalo-Sound unterlegten, cool swingenden Stück muss dem wohl düstersten und hart gesottensten Mafiaboss ein verschmitztes Lächeln auskommen. Ganz andere Töne schlägt "Courage, Tiger!" an, das mit einer flächigen Vocoder-Stimme und einem fast schon Dance-artigen Beat Groppers Bassstimme unterstützt. Hier hat man wohl eher den Trockeneisnebel einer Disco vor Augen.
Der Musikfilm im Kopf
Christian Stipkovits
Bei all den coolen Gesten, dem geschmeidigem Hüft-Tanz zum Rhythmus der Musik, der hingebungsvollen Konzentration und dem in sich gekehrten Momenten bescheren uns Get Well Soon ein hochemotionales berührendes Konzerterlebnis, das unzählige Bilder im Kopf entstehen lässt. Sei es die rasante Cabriofahrt entlang einer italienischen Küste oder das tragisch blutige Ende eines Gangsterfilms, die staubige High-Noon-Sequenz eines Spagetti Westerns oder die Odyssee im stürmischen Meer. Konstantin Groppers Musikuniversum versetzt in einen Trancezustand, bei dem man völlig klar und eine erhöhte Aufmerksamkeit besitzt. Durchbrochen wird dieses Gefühl nur von einem kleinen, witzigen Moment, als Gropper sein burschikoses Outfit anspricht. Denn mit dem schwarzen Schilee, der farblich dazu passenden Kravatte und dem weißen Hemd könne er ja - wenn seine Karriere wirklich den Bach runter gehen sollte - in Wien zumindest ein Kaffeehaus eröffnen. Eine grandiose Überleitung zu dem filigranen Stück "A Burial At Sea" das ganz klar zeigt, dass jedes Mitglied der Band ausschließlich dem Klang und der Dynamik des Songs dient.
Christian Stipkovits
Der absolute Höhepunkt des Konzertabends ist "You Cannot Cast Out The Demons (You Might As Well Dance)", dem ultimativen Glanzstück des neuen Get Well Soon Albums. Gitarrenlinien flirren durch den Raum, ein dezenter und doch vorantreibender Beat wird von einem drückenden Bass und schwermütiger Violinenmelodie begleitet. Bis schließlich das ganze Ensemble die Leinen locker lässt und sich inklusive Bläser zu einem rockigen, epischen Schlussteil hinreißen lässt. Auch wenn Konstantin Groppers Liedgut von tief melancholischen und tragischen Geschichten durchzogen ist, beschwört seine Musik eine mächtige Kraft, alles im Leben aushalten zu können. An diesem Abend war diese Kraft hautnah zu spüren und somit ein Geschenk, dass noch lange nachwirken wird.
Christian Stipkovits