Erstellt am: 20. 8. 2012 - 17:50 Uhr
Stars and Strips
Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an einen Werbespot für ein Geschirrspülmittel, in dem Dame 1 die Finger von Dame 2 in grüne Geschirrspülmittelflüssigkeit taucht. Geschirrspülmittel, fragte irritiert Dame 2 und zieht die Finger raus. Palmolive, meinte Dame1 und drückt die Finger wieder rein.
So wie Dame 1 fühlte ich mich letzte Woche. Ein Stripperfilm? fragten alle gelangweilt angesichts von "Magic Mike"? Ein Soderbergh, sagte ich und schleppte sie ins Kino. Regisseur sticht immer Genre. Und wenn sich der amerikanische Auteur einbildet, eine Geschichte über männliche Stripper zu erzählen, dann bitte. Strippen finde ich zwar ähnlich reizlos wie Wrestling, Aronofskys "The Wrestler" hab ich aber ja auch angeschaut. Wie gesagt: Regisseur sticht Genre.
Alle, die dem "Magic Mike"-Trailer auf den Lügenleim gehen und zu Rihanna wippend auf ein Testosteron-geschwängertes "Coyote Ugly" hoffen, werden enttäuscht sein. "Magic Mike" ist nicht der Chippendale-Traum einer damenspitzigen Polterabendrunde. Für die wird Soderberghs Tragikomödie zu einem wahrscheinlich langweiligen sixpack of lies.
constantin
Vom Slacker zum Stripper
Zunächst erzählt Soderbergh so klassisch, dass man beinahe misstrauisch wird. Wir lernen Mike (Channing Tatum) kennen, der tagsüber am Bau und nachts im Xquisite arbeitet, da stellt er das "Magic" vor seinen Namen und verwandelt als Stripper die Hausfrauen und Sorority Girls von Tampa, Florida in kreischende Hyänen. Mike selbst beschreibt sich aber als Unternehmer, eigentlich möchte er Möbel bauen. (Ich warte den ganzen Film auf einen Möbelbauer Chippendale-Witz. Vergeblich.)
Der zerwuschelte Adam hingegen weiß so gar nicht, was er will, das können wir schon an seinem Bart ablesen. Der Slacker lernt den Checker Mike am Bau kennen, taumelt ansonsten durch den Tag und eines Tages, nach einem Rempler von Mike, auf die Bühne des Xquisite.
Wie er sich wie ein patscherter Schlaftrunkener zu "Like A Virgin" auszieht, hat so gar nichts von der eingeölten Perfektion vom Rest der Truppe, doch irgendetwas sehen Mike und Clubbetreiber Dallas (Matthew McConaughey) in ihm. Der Slacker wird zum Stripper.
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Durch Adams Augen wirft man auch als Zuseher die ersten Blicke auf den Stripclub und seine Protagonisten. Dieser neugierige und leicht befremdete Blick zeigt uns Backstage eine schnatternde Runde, die sich aufwärmt, an der Nähmaschine sitzt, sich im Spiegel betrachtet, einschmiert und Musik hört. Ein fast schon zum Klischee erstarrtes Filmszenario, wenn es um die Vorgänge hinter den Vorhängen sämtlicher Showbusiness-Nischen geht. Nur, normalerweise sind dann diese Figuren weiblich. Ein Clou von "Magic Mike" liegt in der Umdrehung. Wie sehr die Umkehr von Gender-Stereotypen die Art, eine Geschichte zu erzählen beeinflusst, bemerkt man, wenn man versucht, sich den Film als Komödie über strippende Frauen vorzustellen.
Nackte Frauen sind nicht lustig
Und schon steht man an, das geht nämlich eigentlich gar nicht. Mit weiblichen Stripperinnen im Film arbeitet man sich an Themen wie Ausbeutung und Demütigung ab. Man hat entweder eine mehr als nur harte Kindheit hinter sich ("Showgirls") oder ist eine Undercover-FBI-Agentin ("Striptease"). Für Humor ist da kein Platz zwischen Polestange und Polyestertanga. Das liegt auch an dem seltsamen Umstand, dass männliche Nacktheit im Film als komisch konnotiert werden kann, ohne dass sonst noch pointen-technisch was passieren muss. Frauen sind nackt nur dann eventuell für einen Witz gut, wenn sie alt, dick, hässlich oder alles auf einmal sind.
Die Gleichheit, die angeblich mit Nacktheit einhergehe, gibt es auf der Leinwand nicht, noch nicht mal der Blick, der im (Mainstream-)Kino auf weibliche und männliche Körper geworfen wird, ist auch nur annähernd der gleiche. Die MPAA (Motion Picture Association of America) hat anlässlich von "Brüno" zusätzlich zum Kategorisierungsstempel "Nudity" auch noch "male nudity" eingeführt. Eine Penis-Warnung, die einem Film schnell mal ein "NC17"-Rating einbringen kann. Männliche Nacktheit ist also Grund für ausgeschilderte Warnungen. Sobald aber ein Feigenblatt Schutz bietet, funktioniert der nackte "normale" Männerkörper in Stripperkluft genauso als Witz, wie der trainierte.
Liegt es an der Tatsache, dass hier Männer etwas traditionell Weibliches machen (das allein genügt Komödien manchmal als Pointe)? Liegt es am Wahnwitz der männlichen Stripperarbeitskleidung? Ich weiß es nicht, ich hab aber ja auch im Kino nicht gelacht, wenn getanzt wurde.
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Der Blick auf den Männerkörper
Die Männerkörper in "Magic Mike" haben mit den untrainierten, bleichen Stahlarbeiterkörpern aus "The Full Monty" natürlich rein gar nichts gemeinsam, trotzdem wird auch die strippende Muskelbande als lustig empfunden. Das zeigt der Trailer und das hab ich auch im Kinosaal bemerkt. Versucht man nochmal das Umkehrexeriment, also eine weibliche, attraktive Stripperinnengruppe, die die Bühne betritt, dann fällt auf, dass das keinen Lebensraum für Witz bietet.
Das liegt auch am Publikum, das Filme in Stripclubs verorten. Während Männer meistens über Geschäfte reden und an dicken Zigarren ziehen, sind die Stripperinnen Hintergrundräkelei. Die Frauen in "Magic Mike", die das Xquisite besuchen, die kreischen aber schon, wenn sie vor dem Club anstehen. Sie reißen die Augen und Münder auf und sitzhoppeln auf den zebramusterbezogenen Sesseln. Schreien, lachen, kreischen, Hysterie. Und zu der sind - wortstammtechnisch ja nur Frauen fähig. Ha! Aber ausgerechnet Hysterie verortet Gendertheoretiker Richard Dyer in der Inszenierung männlicher Pin-Ups. "Daher kommt das übertriebene, fast Hysterische, das so vielen Bildern vom Mann zu eigen ist. Die geballten Fäuste, die hervortretenden Muskeln, die markigen Backenknochen, die ganze Inflation phallischer Symbole - all das strebt nach etwas, das sich kaum jemals erfüllen lässt: der Verkörperung des phallischen Mysteriums. (...)"
Dyer erklärt weiter - und hier landen wir wieder auf der Bühne des Stripclubs, dass schon alleine die Muskeln abgebildeter Männer auf eine vorangegangene Aktivität verweisen und dass das unbedingte Vermeiden von Passivität den medialen Blick auf Männer ausmache. Die Stripchoreografien, die Channing Tatum und Alex Pettyfer in "Magic Mike" durchexerzieren, haben nichts von der räkelnden Verführungskunst des weiblichen Striptease. Mit forscher Aggresivität wird hier der Bühnenboden (in echt) und der Beckenboden des Publikums (imaginiert) erobert. Die Stripper haben sogar eine Verkleidung, die auf aktives, ja sogar heldenhaftes Verhalten hinweist, wie der Polizist, Abenteurer oder der Feuerwehrmann.
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Soderbergh geht noch einen Schritt in Richtung Überhöhung weiter. Am 4. Juli lässt er die muskulöse Rasselbande in Army-Kleidung auftreten. Angeführt von Matthew McConaughey als Uncle Sam, mit großem Zylinder und einer "Stars and Stripes"-Flagge um die Hüften geschwungen. Aus dem über den Bodenrobben wird mit stakkatoartigem Beckenbewegungen eine Beischlaf-Choreografie. Dem Publikum werden Knie weich, was sonst. Die Army of Lovers steht auf, greift in Richtung Leibesmitte und ballert pantomimisch ins Publikum, der Penis als Waffe. Mit Boxershorts voller Dollarnoten marschieren sie von der Bühne ab. Wer einen Hang zur Überinterpretation und eine Liebe zur Metapher hat, dem explodiert angesichts des Zusammentreffens von Sex, Krieg, Macht und Geld hier der Kopf.
Möbel Mike
Überhaupt: Geld darf natürlich nicht auf keinen Fall fehlen in einem Film, in dem Sexfantasien gegen Dollar getauscht werden. Die zerknüllten Scheine, die die Tänzer sich abends aus der Unterhose zupfen, glättet Mike und sammelt sie in ordentlichen Bündeln. Dallas sitzt Abend für Abend im Bademantel da und schlichtet Geld. Die Finanzlage definiert die Beziehungen der Menschen zueinander, die Eigendefinition passiert über den Beruf: Men like to define themselves by what they do, so Soderbergh. Mike definiert sich hauptsächlich darüber, was er machen möchte, wenn er den Lendenschurz an den Nagel gehängt hat: Möbel bauen. Bis dahin ist er für alle aber nur eben Magic Mike.
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Zwei Frauen löst Soderbergh aus der Kreischmasse raus und setzt sie zu Mike in Beziehung. Für Olivia Munn ist Mike der fleischgewordene Booty Call und für Adams Schwester Brooke bloß der tanzende Kerl, der ihren Bruder zum Stripper gemacht hab. Dass die Identitätskrise, der "Augen-auf-bei-der-Berufswahl"-Zweifel nicht zur szenischen Plattitüde und zur Phrasendrescher-Arie wird, liegt an Soderbergh. Und auch an Channing Tatum. Denn er kann nicht nur tanzen - was heißt tanzen, sein so schwer wirkender Körper schaltet in Bewegung die Gesetze der Schwerkraft aus -, nein, er kann auch spielen. Das zeigt sich vor allem in schnippischen Hick-Hack-Flirtszenen mit Cody Horn.
Das gelbe Licht
Soderbergh taucht "Magic Mike" in dieses gelbe Licht, an dem er einen Narren gefressen hat und lässt die Mainstream-Kinokörper von Tatum und Horn am Strand spazieren und Indie-Film-Dialoge murmeln. Soderbergh beherrscht den Bruch, sonst wär ein Film wie "Magic Mike" auch eine einzige Katastrophe.
"Magic Mike" ist gut und interessant, weil es keine Stripper-Milieustudie und weil es nicht camp ist. Weil Soderbergh eine klassische Geschichte (mit "A Star is born" Ausgangslage) erzählt und Geschlechterstereotypen umdreht. Weil er Schauspieler, die vorher meistens als Pin Up/Tänzer (Tatum) und Surfer Typen (McConaughey) abgekanzelt wurden, deren einziges Kapital ihr Körper ist, in Rollen besetzt, wo wieder der Körper als Kapital funktioniert. Er doppelt also beinah das Dilemma des Channing Tatum, dass ihm niemand etwas anderes zutraut, als in Tanz- oder Actionfilmen nicht unangenehm aufzufallen.
Tatum als Stripper in Lebens- und Finanzkrisen und McConaughey als Rampensau im Ledergilet: Wie Letzerer in breitem Dialekt das Publikum begrüßt oder beinah manisch Alex Pettyfer beim Tanztraining erklärt, dass er auf der Bühne der husband that they never had, (...) the dream boat guy that never came along ist, ist großartig. Ein Wunsch nach einem Film mit McConaughey als wahnsinnigem Straßenprediger taucht in mir auf.
constantin
"Magic Mike" läuft ganz ohne crazy deutschen Verleihtitel seit 16. August in den österreichischen Kinos
Der Naturalismus der Dialoge von Reid Carolin und die manchmal wie in einem Dokumentarfilm agierende Kamera von Steven Soderbergh reiben sich mit den boybandartigen Choreografien zu totgespielten Songs wie "It's raining men", aus den Tanznummern wird oft brutal rausgeschnitten, wohl eine Watschen ins Gesicht von all jenen, deren Augen an den Muskeln hängen.
Die Tanznummern selbst wollte Soderbergh selbst nicht zu gut machen. "It had to be good enough so that if you were there watching it, you wouldn't be annoyed or disappointed, but it couldn't be so good that you just go, "They would never be able to do that." Wo sonst Tanznummern in Filmen als perfekter Körpereinsatz inszeniert werden, streut Soderbergh Makel. Auch das, ein guter Bruch.