Erstellt am: 22. 8. 2012 - 12:16 Uhr
Drei von uns
FM4-Spezialstunde "Die junge Rechte": Zu hören heute Nachmittag in FM4 Connected (15-19)
20 Jahre nach den ausländerfeindlich-motivierten Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen (Deutschland) werfen wir einen Blick auf den Status Quo der jungen rechten Szene im deutschsprachigen Raum. (Details hier).
Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe morden jahrelang, ohne aufzufliegen. Christian Fuchs und John Goetz zeichnen ihre Geschichte in "Die Zelle" nach. (Details hier).
Was ist in den letzten 20 Jahren geschehen, was ist versäumt worden? Und warum sind junge Menschen für rechtsextreme Politik so anfällig?
Als zwei Polizisten am 4. November 2011 in der thüringischen Stadt Eisenach nach einem Banküberfall ein Wohnmobil überprüfen wollen, fallen darin zwei Schüsse, kurz darauf geht das Fahrzeug in Flammen auf. Die Polizei findet die Leichen der untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Beute des eben verübten Bankraubs und die Tatwaffe zu einer Serie von Morden, die in der Presse herablassend als Döner-Morde bezeichnet werden. Kurz nach dem Selbstmord der beiden Neonazis sprengt ihre Komplizin die konspirative Wohnung in Zwickau in die Luft. Drei Tage später stellt sie sich der Polizei.
In den Jahren 2000 bis 2007 hatten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe neun Männer türkischer und griechischer Herkunft erschossen, dazu eine Polizistin, deren Kollege hat nur knapp überlebt. Außerdem haben sie zwei Bombenanschläge verübt, bei denen dutzende Menschen großteils schwer verletzt wurden.
Keine Wahrheiten vom Boulevard
Rowohlt Verlag
Ich bin kein Fan von Schnellschussbüchern, die kurz nach einem medial gehypten oder sonstwie Aufsehen erregenden Ereignis reißerisch "Die Wahrheit über..." versprechen. Meist sind es Boulevard-gestählte JournalistInnen, deren Gespür für eine gut zu verkaufende Story die Lust an der genauen Recherche übersteigt. Die Autoren von Die Zelle, die Journalisten John Goetz und Christian Fuchs, kommen jedoch nicht vom Boulevard. Sie arbeiten für die ARD, für die Zeit, den Spiegel und die Süddeutsche und sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Rechtsextremismus. Ihr Buch "Die Zelle" ist das Ergebnis von Recherchen zu Beiträgen für das ARD-Magazin Panorama und Dokumentarfilmen für die ARD und den NDR. Es verspricht nicht die Wahrheit, sondern verbindet die verfügbaren Fakten rund um die Mordserie der NSU mit eigenen Recherchen und bereitet sie erzählerisch auf.
Der Terror der Normalität
Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kommen aus der Mitte der Gesellschaft, und ihr Lebensweg und Lebensstil unterscheidet sich wenig von dem vieler ihrer AltersgenossInnen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie in den Untergrund abtauchen. Und auch die Reaktionen der Behörden, die Behäbigkeit, das Kompetenzgerangel und die Sympathien Einzelner für die ganz normalen jungen Männer und die freundliche junge Frau – das alles ist, für sich gesehen, ganz normal. Und trotzdem liegen neun wehrlose Menschen erschossen in ihrem Blut, deren einzige Schuld es war, Ausländer zu sein.
Als die Terrorzelle aufflog, war die Aufregung groß. "Wie konnte das passieren?" war die Frage, und mit das war gemeint, dass es der Polizei nicht gelungen war, die Mordserie aufzuklären, ja dass sie sich die eigentlich logische Schlussfolgerung einer rechtsterroristischen Serie selbst verbat und stattdessen hartnäckig der Theorie von Schutzgelderpressungen im Ausländermilieu anhang – und dass auch der Verfassungsschutz nichts davon mitbekam, dass in dem Land, dessen Verfassung er schützen sollte, gerade eine rechtsterroristische Zelle ihr Unwesen trieb.
Bis heute hat niemand, kein Politiker und kein relevantes Medium die Frage, wie das passieren konnte zufriedenstellend beantwortet, was weniger daran liegt, dass Ermittlungsbehörden und Untersuchungsausschüsse immer neue, nennen wir es mal: Schlampigkeiten im Umgang mit der rechten Szene zu Tage fördern. Es liegt auch nicht daran, dass es die Antwort etwa nicht gäbe, nein, in Wirklichkeit liegt sie auf der Hand, sie wird nur nicht ausgesprochen, nicht von zuständigen PolitikerInnen, nicht vom breiten Mainstream der Öffentlichkeit. Bizarrerweise ist genau dieses Tabu, das Offensichtliche auszusprechen, auch eine Ursache dafür gewesen, dass die drei Neonazis, die sich NSU nannten, jahrelang morden konnten, ohne aufzufliegen.
Interviews mit Eltern, Nachbarn, Urlaubsbekanntschaften
Auch John Goetz und Christian Fuchs sprechen das Offensichtliche nicht aus, ihr Buch ist keine Anklage, sondern eine Faktensammlung. Sie schildern die DDR-Kindheit der drei TerroristInnen, die Jugend in einem zerbrechenden Staat und das politische Umfeld im frisch wiedervereinigten Deutschland der Neunziger Jahre. Sie berichten, wie die drei in die militante Neonaziszene hineinwachsen, und wie diese Szene relativ unbehelligt im Osten Deutschlands agieren kann. Sie berichten von den Versuchen der Eltern der beiden Uwes, ihre Söhne zu einem Ausstieg aus der Szene zu überreden und vom Netzwerk der Helfer, das ihnen ermöglicht, im Untergrund zu überleben.
Goetz und Fuchs behaupten nicht, dabei gewesen zu sein, sie lassen vielmehr Zeugen sprechen, die sie interviewt haben: Die Morde schildern sie aus Sicht der Opfer, nach dem Stand der Ermittlungen. Und durch Eltern, Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften erzählen die Autoren, was sie vom konspirativen Leben der Mörder in Erfahrung bringen konnten. Den dreien gelang es, nach außen hin völlig unauffällig zu erscheinen. Normal eben: Ostseeurlaube im Wohnmobil, spielen mit den Nachbarskindern, grillen im Hof, essen beim Vietnamesen.
Rassistische Pogrome als "Volkszorn"
Journalisten zählen seit der deutschen Wiedervereinigung über 150 Todesopfer rechter Gewalt, offizielle Stellen nur ein Drittel davon. Selbst das ist ein Vielfaches der Blutspur, die die RAF und andere linke Terrorgruppen der 70er bis 90er Jahre hinterlassen haben. Trotzdem hat der Terror der RAF weit mehr staatliche Gegenreaktionen hervorgerufen als die rechten Gewalttaten.
Fuchs und Goetz beschreiben auch das politische Umfeld der Taten und zeichnen damit ein Gesamtbild vom fahrlässigen Umgang mit der extremen Rechten im Deutschland nach der Wiedervereinigung.
Anfang der Neunziger Jahre, zu der Zeit, als die drei sich kennen lernen, werden in Rostock und Hoyerswerda tagelang Flüchtlingsheime belagert und in Brand gesteckt, ohne dass die Behörden das verhindern können. Teile der lokalen Bevölkerung stimmen den Angriffen klammheimlich oder offen zu, und die Regierung Kohl – anstatt rassistischen Gewalttaten etwas entgegenzusetzen – äußert Verständnis und verschärft das Asylrecht. Das konnten die rechtsgerichteten Jugendlichen nur als Legitimation ihrer Gesinnung verstehen.
Auch dass die Behörden auf ihre Taten äußerst behäbig reagieren und sich weigern, die Möglichkeit rassistischer Motive überhaupt nur anzudenken (lieber unterstellte man den Opfern pauschal Verbindungen zu einer organisierten Kriminalität, auf die es nicht den leisesten Hinweis gab), auch das konnten die drei Neonazis als klammheimliche Zustimmung verstehen.
Aus den Fakten, die John Goetz und Christian Fuchs sammeln, wird schnell klar, dass es nicht nur Unfähigkeit und Chaos in den Behörden war, was der Zelle ermöglicht hat, jahrelang unentdeckt zu bleiben, sondern auch ein gesellschaftliches Klima, in dem man über Runentattoos aus der Jugendzeit stolpern kann, wenn man aus einer wilden Subkultur kommt, in dem der alltägliche Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft aber verdrängt und verleugnet wird – selbst, wenn er Todesopfer fordert.
Die "junge Rechte"
Hier gibt es die heutige FM4 Spezialstunde zum Thema zum Anhören:
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