Erstellt am: 22. 8. 2012 - 11:32 Uhr
Gewonnen hat der Mob
Eine FM4-Spezialstunde zum Thema "Die junge Rechte". Zu hören heute Nachmittag in FM4 Connected (15-19)
20 Jahre nach den ausländerfeindlich-motivierten Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen (Deutschland) werfen wir einen Blick auf den Status Quo der jungen rechten Szene im deutschsprachigen Raum.
Was ist in den letzten 20 Jahren geschehen, was ist versäumt worden? Und warum sind junge Menschen für rechtsextreme Politik so anfällig?
Hunderte Menschen, die Molotow-Cocktails und Steine auf ein Asylantenheim werfen. Tausende Menschen, die sie mit "Ausländer Raus!" und "Heil Hitler!" anfeuern. Rundherum Imbissstände, die den Mob mit Essen und vor allem Alkohol versorgen. Eine völlig hilflose Polizei, die tagelang zusieht und so unglaubliche Fehler macht, dass am Ende beinahe 115 Vietnamesen in den Flammen sterben. Kamerateams, die den Tatort Nacht für Tag perfekt ausleuchten und so möglicherweise Anreiz für weitere Gewalt bieten.
Die Ereignisse in Rostock Lichtenhagen vor genau 20 Jahren waren eine Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Übergriffe wirkten wie der Ausbruch einer eigentlich aufgearbeiteten und gleichzeitig tabuisierten Geisteshaltung. Wir, die Deutschen gegen die, die anderen. Ein Riot mitten in einem vor kurzem in Frieden wiedervereinigten Land. Angeheizt von skrupellosen Politikern, denen für die von ihnen gewünschte Verschärfung des Asylrechts alles recht war. Sogar der Tod von Menschen.
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Steigende Spannungen, keine Reaktion der Politik
240 000 Menschen lebten damals in Rostock, davon 1688 Ausländer. Die Situation im Asylantenheim war aber mehr als dramatisch. Bei einer Kapazität von 250-300 Betten lebten zeitweise 650 Menschen in dem Plattenbau mit der Sonnenblume an der Außenfassade. Für viele Sinti und Roma war gar kein Platz im Haus. Sie kampierten in den umliegenden Grünanlagen. Weil die Verantwortlichen diesen Zustand aber nicht legalisieren wollten, wehrten sie sich gegen mobile Sanitäranlagen. Die hygienischen Zustände waren so schlimm, dass sogar die UNO protestierte. Die Warnungen vor Krankheitsepidemien blieben aber ungehört.
Dieser Artikel basiert im Wesentlichen auf folgendem Text der Wikipedia:
Die Unruhen von Rostock-Lichtenhagen
Das erschreckende Bildmaterial ist gut auf youtube dokumentiert. Empfehlenswert ist eine ganz kommentarlose Bild-Collage von Spiegel TV.
Die ohnehin angespannte Stimmung der deutschen Nachbarn kochte im Sommer immer mehr über. Tage vor den Unruhen druckten mehrere Zeitungen Aufrufe ab, am 22. August würde es eine "heiße Nacht" geben. Kommentarlos.
Politik und Polizei war das aber auch egal. In den neuen Bundesländern hatten so kurz nach der Wende vor allem westdeutsche Beamte das Sagen. Und die verbrachten ihr Wochenende lieber daheim in Bremen oder Hamburg.
Die erste Nacht
Samstag, 22. August 1992. 2000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt und versammelten sich vor dem Asylheim. Am Beginn waren 30 Polizisten vor Ort. Die waren aber damit beschäftigt, selbst nicht Opfer der Meute zu werden. Verstärkung kam erst viel später. Neun Menschen wurden festgenommen, am nächsten Tag aber wieder freigelassen.
Die zweite Nacht
Zur Mittagszeit waren wieder die ersten "Ausländer raus"-Rufe zu hören. Wieder flogen Steine. Der in der Vornacht noch führerlose Mob hatte logistische Unterstützung bekommen. Rechtsextremisten aus ganz Deutschland waren vor Ort, darunter führende Mitglieder der rechten Szene. Der Kampf hieß wieder Demonstranten gegen Polizei, das Verhältnis war zirka ausgeglichen. Von den 130 festgenommenen waren 60 linke Gegendemonstranten.
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Die dritte Nacht
Erst jetzt wurde das Heim evakuiert. Dass im Nebenhaus noch 115 vietnamesische "Vertragsarbeiter" lebten, war den Verantwortlichen egal. Wünsche nach mehr Polizeieinheiten wurden abgelehnt. Der Zorn der Menge richtete sich nun gegen die Vietnamesen. Selbst, als die ersten Stockwerke in Flammen standen, griff die Feuerwehr nicht ein. Auf aufgenommenen Notfunk-Aufnahmen ist zu hören, dass die Feuerwehr nicht zum Haus durchdringen konnte, die Polizei mit dem Mob beschäftigt war. In letzter Sekunde konnten sich die Bewohner über das Dach in ein Nachbarhaus retten. Von unten schrie die Menge: "Wir kriegen euch alle!" Die Situation beruhigte sich erst in der nächsten Nacht. Die Hausbewohner wurden in zwei Busse gesetzt, die von der Polizei kaum geschützt stundenlang umherirrten und von Autos verfolgt wurden. Am Ende landeten sie ohne Verpflegung in einer Turnhalle.
Die Folgen
Die Stimmung gegen Ausländer war zu dieser Zeit das bestimmende Thema in Medien und Politik. In Umfragen zu den Problemen von Deutschland führte die Asyldebatte weit vor Wiedervereinigung und Arbeitslosigkeit. Schon Mitte der 80er griffen CDU und CSU das Thema auf und machten Stimmung gegen "Asylbetrüger" und "Wirtschaftsflüchtlinge". Die Unionsparteien forderten eine Verschärfung des Asylrechts, SPD, FDP und die Grünen waren dagegen.
Nach den Unruhen von Rostock sollten diese Meinungen weichen, möchte man meinen. Dem war aber gar nicht so. So meinte Bernd Seite, CDU-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, kurz nach den Vorfällen: "Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird". Justizminister Herbert Helmrich (CDU) schoss Tage später nach: "Wir brauchen eine neue Mauer, was uns überschwemmen wird, geht bis in die Türkei".
DAPD
Obwohl "Sieg Heil!" ein eher leicht zu lesender Code ist, war für die Politik lange nicht ganz klar, auf welcher Seite die Unruhestifter standen. In Einklang mit der Bild-Zeitung gab der damalige Kanzler Helmut Kohl vor allem linken Extremisten und Resten der Stasi die Schuld. Kurz nach den Ereignissen kamen aber auch erste Vorwürfe an die Politik, die Situation nicht nur völlig falsch eingeschätzt, sondern auch bewusst zugelassen zu haben. Mehrere Polizisten beklagten, dass sie während des Einsatzes völlig führungslos waren und sich komplett auf sich alleine gestellt gefühlt hatten. Die Logistik der Einsatzkräfte war so dermaßen schlecht, dass schlichte Unfähigkeit fast nicht mehr als Argumentation herhalten konnte. So wurden etwa die dringend nötigen Wasserwerfer jeden Abend extra aus Schwerin hergebracht und nach dem Einsatz wieder abtransportiert. Einer der Einsatzleiter war am Höhepunkt der Unruhen mal ein paar Stunden daheim und hat geschlafen. Ihr Fett bekamen auch die Medien ab, die den Menschen eine wie schon gesagt perfekt ausgeleuchtete Bühne boten. Die BBC soll einem Demonstranten sogar 50 Mark bezahlt haben, damit er den Hitlergruß macht.
Schärfere Gesetze, weniger Hass
Die CDU brachte ihre Änderungswünsche durch, das Asylrecht wurde verschärft. Trotzdem sank in der Folgezeit die Ausländerfeindlichkeit in ganz Deutschland. Bei Lichterketten gegen rechts gingen an einem einzigen Tag 800000 Menschen auf die Straße. Perfekt abgeschirmt von der Polizei übrigens.
Im Kollektivgedächtnis wird von Rostock Lichtenhagen aber vor allem ein ikonisches Bild übrig bleiben, das ganz eng mit der seit damals geläufigen Phrase der hässliche Deutsche verbunden ist. Ein offensichtlich besoffener Mann im Deutschland-Dress, die Hand zum Hitlergruß erhoben, die Jogginghose vollgepisst.
Die "junge Rechte"
Hier gibt es die heutige FM4 Spezialstunde zum Thema zum Anhören:
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