Erstellt am: 28. 7. 2012 - 14:37 Uhr
Hipster-Olympiade
Endlich ist es Sommer in Berlin und schon tut sich das dazugehörige Sommerloch auf. Alle sind in Urlaub, nix passiert. Es ist die Zeit der Krokodile im Rhein, der entfleuchten Riesenpythons, der Problembären und uneinfangbaren Kühe - Sauregurkenzeit.
Geschichten von der Lo-Fi Boheme aus der deutschen Hauptstadt Berlin. Jeden Samstag in FM4 Connected
1870 kam die Sauregurkenzeit angeblich in Berlin als Bezeichnung für den Hochsommer auf, die Zeit in der Gurken eingelegt und nicht viele Geschäfte getätigt wurden. Später wurde die Sauregurkenzeit auf die Medienberichte in den an politischen Themen armen Sommermonaten übertragen.
Auch die Politiker leiden an dieser ereignisarmen Zeit, kommen ins Grübeln und denken sich neue Verbote aus: Jugendliche unter 18 sollen ab 20 Uhr nur in Begleitung Erwachsener an Orte gehen dürfen, an denen es Alkohol gibt. Die Promillegrenze für Fahrradfahrer soll herabgesetzt werden. Ein Ministerpräsident gab zu Protokoll, dass der Europameistertitel aufgrund des Nichtmitsingens bei der Nationalhymne nicht gewonnen wurde.
Christiane Rösinger
In Berlin läuft nur das normalen Open-Air-Sommergeschäft. Wohl wegen dieser ereignisarmen Zeit sorgte die Hipster-Olympiade am letzten Wochenende für großes Aufsehen.
Schon beim Aufkommen des Wortes vor einigen Jahren hatte ich geschworen, es nie zu benutzen und versuchte die ganze Hipster-Diskussion im Vorfeld abzuwürgen: Deppen mit seltsamen Brillen hat es schließlich zu jeder Zeit gegeben. Als ich aber so um 2011 mit einer U30-Freundin, die ins trendy Neukölln gezogen war, dort in einem veganen Café saß, klärte sie mich auf, dass an den anderen Tischen lauter Hipster saßen, Leute mit Turnschuhen und Jutebeuteln.
Betreten schaute ich an mir herunter, ich trug dieselben Turnschuhe und hatte aufgrund einer seit frühester Jugend akuten Handtaschenallergie einen Jutebeutel mit dem Aufdruck einer Buchhandlung bei mir. Dabei war ich doch aus dem Hipster-Alter doppelt und dreifach heraus! Das "H"-Wort wurde aber immer öfter benutzt, und dann gab es bei Suhrkamp schon die erste Sekundärliteratur zum Thema.
Und nun wurde über die Hipster-Olymiade in Berlin so ausführlich berichtet, als handle es sich um ein Kulturereignis von Weltrang. Die stereotyp trendig-individualistischen Einwohner Berlins konnten sich dort in Disziplinen wie "Jutebeutel-Sackhüpfen", "Hornbrillen-Weitwurf" und "Röhrenjeans-Tauziehen" messen. Die Veranstalter wollten nach eigener Aussage mit der Hipster-Olympiade dieser Jugendszenefigur den Spiegel vorhalten.
Christiane Rösinger
Auch ein "Hipster-Manifest" wurde verlesen und Forderungen an die Stadt Berlin gerichtet : Mehr iPhone-Ladestationen in der U-Bahn, ein Club-Mate-Springbrunnen am Rosenthaler Platz, im Club Berghain sollen mehr Jutebeutel-Garderobenhaken angeschraubt werden.
Trotz dieser nur mäßig witzigen Hipster-Olympiade ist es nun aber an der Zeit, die Einstellung zum Hipster zu überprüfen - gehört dieser Menschenschlag doch inzwischen der am meist gehassten Subkultur an.
Der Hipster gilt als individualismusgeiles Konsumopfer und Gentrifizierungs-Beschleuniger. Partyreihen wie "Kill all Hipsters" zeigen, woher der Wind weht: Hipster-Bashing ist hip geworden. Inzwischen gibt es sogar Hipster-Selbsthilfegruppen. Die Gruppe "Hipster Antifa Neukölln" dokumentiert Angriffe auf Touristen und Zugezogene. Man will gemeinsam gegen gefährliche hipsterfeindliche Tendenzen in den Bezirken und gegen die linke Kritik an Studenten, Hipster und Touristen vorgehen.