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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

29. 4. 2012 - 01:06

Mit Herz und Seele

Seelenwanderung im Nebel, Eier im Schnee: Tag Eins am Donaufestival.

Donaufestival 2012

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Rauch und Nebel beim Eintreten in die Kirche: So kann man sich das Jenseits vorstellen oder das Jüngste Gericht. Aber nicht von christlichen Vorstellungen, sondern von ganz persönlichen Zwischenwelten und Seelenwanderung handelt "Soul Life", die Oper von Sierra Casady, die hier in der Minoritenkirche gleich ihre Weltpremiere feiern wird. Angespanntes Warten, verschwitztes Drängeln zwischen den tragenden Säulen des Kirchenschiffs. Die Musiker kommen nacheinander auf die Bühne, manchmal auch neben die Bühne, später ganz selten auch Richtung Publikum: Klavier, Klarinette, Doppel-Bass, Cello. Die Sonne versucht verzweifelt, von draußen durch die Fenster zu strahlen, aber den Weg durch die dicken Vorhänge schafft sie nicht. Heiß ist es trotzdem. Meine Nase ist auf der Höhe der Achseln meines Vordermanns.

Sierra Casady und Klarinette

Florian Schulte

Sierra Casady schickt ihre Stimme vor und lässt sie durch den Saal hallen, bevor sie selbst auf der Tribüne erscheint. Ihre Haare: eine riesige Perücke in blau, ihre Augen: weiß geschminkt mit Glitzerwimpern, ihr Körper: gehüllt in Müllsäcke, blau. "Alu Fix" prangt vorne auf ihrem Reifrock, die meterlange Schleppe trägt das Zeichen der Raiffeisenbank. Sie sieht majestätisch aus und ist es auch, wie sie barfuß über die Stufen steigt, wie sie durchs Publikum schreitet und die Harfe zupft.

Minoritenkirche

Florian Schulte

Sierra, die Operngesang studiert hat, ist eine gute Sängerin, eine tatsächlich so gute, dass sie ihre Stimme nicht durch Vibrato zu verschleiern braucht. Vorsichtig lässt sie die Töne anschwellen, gibt ihnen Raum im Körper und in der Kirche, reicht sie weiter an ihre vier Begleitinstrumente, die die Melodiebögen nacheinander übernehmen. Nur von der Seelenwanderung bekomme ich nicht viel mit. Die Staatsoper hat nicht umsonst kleine blaue Bildschirme an den Sitzen angebracht, auf denen man den Text mitlesen kann. Es ist tatsächlich schwierig, die Handlung zu begreifen, wenn man den Text nicht versteht und die einzelnen Lieder ohne szenische Darstellung eine Geschichte erzählen wollen. Es geht um ein Mädchen und die einzelnen Stationen ihrer Reinkarnation, glaube ich. Die Musik ist sehr schön, Sierras Strahlen beim Applaus noch mehr.

Sierra Casady

Florian Schulte

Harmless Monster

Das Thema des autonom aufwachsenden Kindes, das zum Außenseiter der Gesellschaft wird, das als "Monster" gebrandmarkt wird, obwohl es niemandem etwas tut, durchzieht in gewisser Weise ja alle CocoRosie-Projekte des Wochenendes. Wie viel über dieses Konzept bekannt war, als der Stummfilmwettbewerb "Harmless Monster" ausgerufen wurde, weiß ich nicht, das Thema wurde in den verschiedenen Einsendungen jedenfalls sehr unterschiedlich interpretiert. CocoRosie machen dann gemeinsam mit einem Ensemble (genaue Instrumente hierbei: unbekannt) den Soundtrack dazu, live und improvisiert. Das klingt so, wie improvisierte Musik eben klingt. Mehrere Stop-Motion-Zeichnungen, eine alte, leicht verwuschte Frau in ihrer Wohnung, ein endloser Ritt durch eine virtuelle Schlauchlandschaft: Bianca Cassady hat auch heute Nachmittag im Interview vermutet, dass nicht alle Einsendungen dezidiert für den Wettbewerb produziert worden sind, warum auch, warum auch nicht. Dementsprechend divers gibt sich auch die Klanguntermalung, deren Urheber sich dezent am Leinwandrand verstecken. Am meisten bei sich scheinen die Schwestern und ihr Ensemble bei dem vorletzten der elf Beiträge zu sein, einem Film über eine Art schamanisches Ritual mit Eiern. Im Schnee. Das Cello spielt dazu eine eindringliche Ostinato-Melodie, Sierra Cassady summt Fantasiemotive: Eier auf Haaren, Eier im Schnee.

Florian Schulte

Über die ungewöhnlichen Hochzeiten ungewöhnlicher Künstler wissen Herr L´Heritier und Frau Ondrusova heute besser Bescheid als ich, darum: Bühne frei, Philipp.

Sissy Nobby und Antony

Susi Ondrusova kommt nun wieder hier zu Wort. Sissy Nobby und Antony sind schließlich ihr Spezialgebiet.

Sissy Nobby

Florian Schulte

"Die Improvisationsmusiken mal bei Seite, der Höhepunkt des Abends hört auf den Namen Sissy Nobby. „Sissy like faggot“, meint der gute Mann mit seinem Südstaaten-Akzent zu mir und wirft noch ein „Like homosexual“ dazu. Ja meine Fragen sind sehr rudimentär an dem Nachmittag. Und was ist also nun dieses bounce? „It´s a retarded version of techno music. It´s basically feel-good-music. Bootypopping, breakingyourback-dancing and stuff like that!”

Es ist Sissy Nobbys erste Reise nach Europa. Coco Rosie lieben ihn und Antony hat vor Jahren einen Link zu seinen Videos zugeschickt bekommen und sich ebenfalls sofort in diese Stimme verliebt: „I´m really a vocalist person so I´m just crazy about that expression of passion and Nobby has that in such an extreme degree I just think it´s hot. It’s infused with intense rhythm and intense emotionality and intense passion!”

Antony

Florian Schulte

Beim Konzert wird die Bühne zum Dancefloor erklärt, Sissy bounct, Antony bounct (am Rand mit), Coco Rosie stürmen die Bühne, das Publikum wird eingeladen auf der Bühne mitzutanzen gemeinsam mit Tez dem Beatboxer oder Naomi der Vorzeige-Bouncerin im Team Sissy. Es ist alles ausgelassen, freizügig und stürmisch. Beim letzten Song stimmt Antony „I Will Survive“ von Gloria Gaynor an und spätestens dann ist klar: Von der Unbeschwertheit und Leichtigkeit dieser Performance könnten sich einige der heute aufgetretenen Künstlerinnen eine Scheibe abschneiden!

Tanz auf der Bühne

Florian Schulte