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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

29. 3. 2012 - 06:00

TransGender Topics

Wenn der angeborene Körper nicht der richtige ist, hilft Austausch und Vernetzung. Das Internet ist dabei nicht mehr wegzudenken.

Liebe im digitalen Zeitalter

FM4

"Stell dir um deinen Körper einen Radius von ca. einem Meter als Teil deines Territoriums vor. Jeder und jede, die hier eindringt, beschwört Schwierigkeiten herauf."

Das schreibt die New Yorker Performance-Künstlerin Diane Torr in ihrer "Anleitung zum Drag King Crossdressing". Eine Maskerade, um Geschlechterklischees zu hinterfragen. Für den perfekten Mann braucht's mehr als Schnauzbart, Krawatte und ausgestopfte Unterhose. Es sind vor allem die Gesten, die die Künstlerin studiert hat:

"Bevor du dich niedersetzt, zieh die Falten deiner Hose am Knie hoch. Dann sink tief in den Sessel, bis dein Arsch den hintersten Teil berührt. Sitz niemals am Rand des Sessels. Das machen Frauen."

Das Drag King Crossdressing macht es deutlich: Gender, das soziale Geschlecht, ist etwas Performatives, ein Rollenspiel, das sich auf kulturelle Konventionen stützt. Gesten, Kleidung, die Art zu Sprechen - das alles sind Codes, die wenig bis gar nichts mit natürlichen Gegebenheiten zu tun haben.

Apropos "natürlich": Auch beim biologischen Geschlecht entfernt sich die Wissenschaft von der strikten Zweiteilung in Mann und Frau. Die körperlichen Voraussetzungen, mit denen wir geboren werden, sind vielfältig und unterschiedlich, und die Art, wie wir uns selbst wahrnehmen und wen wir begehren, ist komplex.

Für den Sexualtherapeuten Johannes Wahala eine positive Entwicklung, die sich auch in rechtlichen Belangen widerspiegelt. Inzwischen kann man sagen, dass das Geschlecht nicht mehr nur über Sexualorgane bestimmt wird, sondern dass es auch im Rechtlichen viel mehr um die innerpsychische und soziale Identität eines Menschen geht. "Das ist der Weg, den Europa eingeschlagen hat", sagt Wahala, "und das ist auch der Weg, den ich als Wissenschaftler befürworte und stärke".

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CC BY 2.0 / www.flickr.com/photos/aeneastudio/

Zwei Pole, und dazwischen: Matteo

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"Ich bin ein Freund der Kinsey-Skala, die männlich und weiblich als zwei Pole definiert. Dazwischen gibt es aber noch viele andere Sachen", sagt Matteo. Er ist einer der Blogger, die am Youtube Channel Transkrauts wöchentlich ihre Videos posten. Transkrauts richtet sich speziell an junge Trans-Männer. Mit ihren Videos wollen sie Bewusstsein schaffen und Menschen in ähnlicher Situation unterstützen. Pro Woche gibt's ein Thema, täglich erzählt einer seine Geschichte. Darüber, dass man gerne ins Fitnesscenter gehen würde, sich aber nicht in die Männerumkleide traut. Dass man sich doch gegen die "OP untenrum" entschieden hat. Oder dass man nicht versteht, warum man sich nicht einfach als Katze, Walfisch oder Alien bezeichnen kann - "Wieso muss man sich definieren, wieso kann man nicht einfach so sein?"

Johannes Wahala kennt die Transkrauts, sind doch einige der Blogger bei den "YoungTrans"-Gruppen dabei, die die Beratungsstelle Courage anbietet. Wahala ist der Leiter von Courage, wo kostenlos und anonym Beratung vor allem für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgenderpersonen und ihre Angehörigen angeboten wird. Es tut sich was – für Johannes Wahala noch nicht genug. Denn: "Noch immer ist die Zahl der Selbstmordversuche bei transident empfindenden Menschen siebenmal höher als bei heterosexuellen. Noch immer sind viele Menschen völlig irritiert, gehen dadurch in Isolation, leiden oft unter dem Empfinden, Liebe im anderen Geschlecht leben zu wollen, leider darunter, die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen zu können, leiden in der Peergruppe, haben oft wenig soziale Unterstützung." Die Folge davon sind Depressionen, Angstzustände, Panikattacken. "Und da ist das Internet für viele eine enorme Befreiung," sagt Wahala.

Mit Normen brechen

"Öffentlichkeit wäre mir früher wichtig gewesen, in dem Sinn, was ich zu sehen bekomme," sagt Chris Oliver Schulz. Es ginge darum, die Heteronormativität aufzubrechen und andere Lebensmodelle kennenzulernen. "In den 90ern war es ja noch sehr stereotyp, entweder A oder B, was anderes gibt's nicht. Dass es auch anders geht, habe ich lange nicht gesehen und nicht gesagt bekommen von Therapeuten und Selbsthilfegruppen. Das kam dann erst Mitte 2005." Chris findet es gut, dass es heute übers Netz möglich ist, Aufklärung und Information zu vermitteln. Deshalb hat auch er einige Zeit bei den Transkrauts mitgebloggt.

Auch Johannes Wahala nennt das Internet "eine Fundgrube", wenn es um die verschiedenen Wege geht, die bei der Transidentität möglich sind. "Es steht viel drin, was nicht professionell ist und wo man den Informationsgehalt in Frage stellen kann. Aber durch die Möglichkeit der Vernetzung korrigieren sich die transident Empfindenden eh selber und sagen: Das ist gut, das ist Blödsinn, schau dir das mal an."

Some clothes don't fit

Und nicht nur Foren und Blogs werden genutzt. Anna Anthropy beispielsweise programmiert Online Games, um ihre Erfahrungen mit der Hormontherapie aufzuzeigen. Um ins nächste Level zu gelangen, muss man sich bei Dys4ia in Mädchenkleidung zwängen, die nicht passt, oder den Gang zur Damentoilette schaffen, ohne von anderen Frauen aufgehalten zu werden.

Während Anna Anthropy vor allem die Hürden in ihrer Umgebung beschreibt, hatte Chris-Oliver seine größten Schwierigkeiten mit sich selbst. "Was das Umfeld betrifft, Bekannte, Verwandte, Arbeitgeber etc., hatte ich nie Konflikte. Kampf oder Schwierigkeiten gab's insofern definitiv mit mir selbst. Fühl ich mich tatsächlich als Mann? Was bedeutet Mann? Was bedeutet es für mich? Wie trete ich nach außen? Das war ziemlich lang ziemlich schwer für mich."

Das Programm der Themenwoche "Liebe im digitalen Zeitalter" im Überblick

"Sucht professionelle Beratung!", rät Johannes Wahala, der bereits viele junge Menschen begleitet hat, von psychologischer Unterstützung bis hin zu geschlechtsangleichenden Operationen. Und Chris Oliver Schulz fügt hinzu: "Ich würde grundsätzlich einen Nachdenkprozess vorschlagen. Welche anderen Schubladen gibt es denn so? Welche Vielfalt herrscht in diesen Laden? Welche Spielarten? Man muss sich ja nicht für eines entscheiden. Es kann ja auch sein, dass man sich in der Mitte von zwei Sachen findet."