Erstellt am: 8. 2. 2012 - 13:33 Uhr
Die Grenzen des Patriotismus
Ich komme ungern zu meinen alten Texten zurück. Wenn ich eine Kolumne geschrieben habe, hake ich das Thema ab und schaue nach vorne. Ich hatte auch nie das Bedürfnis, meine Artikel zu kommentieren oder zu erklären. Deshalb entschuldige ich mich bei den werten Lesern, dass ich diese Woche noch mal zum Thema aus dem letzten Mal zurückkomme. Der Grund dafür ist, dass mein Text "Oh du Tiger, hast du denn Geld" über das popkulturelle Phänomen "Tschalga" für heftige Diskussionen bei der bulgarischen Community in Österreich gesorgt hat.
Ich wurde beschuldigt, dass ich aus merkantilistischen Gründen dem ohnehin schlechten "Image" Bulgariens in Österreich weiter schade, indem ich die Bulgaren als hirnlose "Tschalga"-Verehrer darstelle. Ich würde keine Rücksicht auf bulgarischen Künstler außerhalb der "Tschalga"-Welt nehmen, die sich jeden Tag darum bemühen, dem Namen Bulgariens eine Ehre zu machen.
Ivana
Ich sage dazu nur das: Es ist nicht meine Aufgabe, Bulgarien in der Welt zu vertreten und für dessen gutes "Image" zu sorgen. Es gibt öffentliche Institutionen, die dafür die Verantwortung tragen. Ich bin kein bulgarischer Diplomat, sondern österreichischer Journalist. Meine Arbeit ist, die Welt, die ich beobachte, durch meine Geschichten widerzuspiegeln, egal ob "gut" oder "schlecht". Ich arbeite in einem Radiosender und nicht in eine Propagandamaschine. Ich versuche, es stets mit einem Lächeln zu tun, in dem ich weder die soziale Realität noch mich selber wirklich ernst nehme. Denn nach meiner Erfahrung ist, sich ernst zu nehmen, die erste Voraussetzung, um sich lächerlich zu machen.
Nur wer blind ist, kann sagen, dass die „Tschalga“, egal ob in der Musik, im Lifestyle oder in der Politik in Bulgarien nicht allgegenwärtig ist. Manchmal kommt es mir vor, dass das Leben der meisten Bulgaren der letzten zwanzig Jahren einem "Tschalga"-Song ähnelt. Das heißt natürlich gar nicht, dass es nicht Leute gibt, die außerhalb dieser dominierenden Popkultur leben und kreativ sind, und ich habe nie so etwas behauptet. Meine eigene Familie ist seit Jahren im Kunstbereich außerhalb der "Tschalga" in Bulgarien tätig und ich würde sagen auch: mit Erfolg.
Der Patriotismus ist ein Gefühl, das mir fremd ist. Ich glaube, dass man nicht auf den Ort, wo man geboren wurde, stolz sein kann, da man diese Entscheidung nicht selber getroffen hat. Aus dem gleichen Grund darf man sich auch nicht für seine Herkunft schämen. Es ist mir unerklärlich, wieso es Leute gibt, die ihr Land auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, um sich dann im Ausland gegen die Brust zu prahlen und zu behaupten, dass ihr Heimat das Paradies auf Erden ist.
Der produktive Weg aus dem Matsch, in dem wir uns befinden, ist die Zusammenarbeit und nicht das Eigenlob zu singen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht leicht ist, im Ausland zu leben. Ich weiß aber auch, dass alle die nach Österreich gekommen sind, es getan haben, weil sie hier auf eine bessere Zukunft als in ihren Geburtsorten hoffen. Wir haben ein kleines bisschen von unserer Heimat mitgenommen, aber wir machen alles, um uns an der neuen Umgebung anzupassen. Jedes mal wenn ich Sofia verlasse, suche ich in den Blumentöpfen meiner Mutter diese Pflanze, die wir "Gesundheitsbringer" nennen. Und so bin ich sicher, dass in Wien auch gesund bleibe. Bleiben Sie auch gesund!