Erstellt am: 21. 1. 2012 - 23:04 Uhr
Von drinnen
Der Weg zum FM4 Geburtstagsfest war schon heftig. Auf dem Weg von der U3 zur Arena versuchten Menschen auf der Straße noch an heißbegehrte Tickets zu kommen, manche predigten vom Jüngsten Gericht, das sie nicht verpassen wollten. Das Wetter passt sich an: Draußen stürmt und tobt es. Der Wind ist richtig tobend, die Menschen klammern sich an allem fest, was sich finden lässt. Bevorzugt an anderen. Aber was möchte man sich schon erwarten, vom Weltuntergang?
Christian Stipkovits
Drinnen in der Halle ist uns das alles wurscht: Es ist lauschig warm, manche Menschen können sitzen, gemützlich ein Bier trinken, sich mit anderen unterhalten. Chill-Out-Apokalypse sozusagen.
Das war das FM4 Geburtstagsfest 2012
Und wer könnte diese angenehme Art, in den Untergang zu schlittern, besser musikalisch unterlegen als Lonely Drifter Karen? Sie ist der erste Act der Großen Halle, denn der liebe Kollege Ombudsmann, der eigentlich eine Rede ans Volk halten wollte, steckt im Schnee fest und verpasst die Apokalypse. Dafür sind Blumenau und Haipl da und sprechen andächtige Worte vor Tanja Frinta, der quasi Halb-Schwedin - denn im hohen Norden kennt man sich mit dem Untergang aus.
In zartes Rot gekleidet driftet Frinta auf die Bühne, wie ein Wesen aus einer anderen Welt, sie hat Großes vor, stellt sie doch Teile ihres bald erscheinenden neuen Albums "Poles" vor. Unterstützt von ihrer Band schickt sie gleich zu Beginn elektronische Versatzstücke in die voll gepackte Große Halle, darunter sichte ich Clara Luzia. Wir beide staunen gebannt, denn das filigrane Songwriting von Lonely Drifter Karen ist ein ungewöhnlicher Hörgenuss, Headphone-Music mit Krautrock-Ansatz, dann wieder exotisch und harmonisch zugleich. Man spürt, dass Frinta auch bei ihren neuen Songs, sei es bei "Three Colors Red" oder "Comet", auf harmonischen Gesang setzt, da ist ein Hit dabei, sagt mir ein geschätzter Kollege. Und der muss es wissen.
Christian Stipkovits
Official Secrets Act hießen die Citizens! (mit Rufzeichen, sonst schepperts Klagen) vor einiger Zeit noch. Und auch wenn sie ihren Bandnamen aus taktischen Gründen geändert haben, sind sie trotzdem immer noch der Geheimtipp, auch am FM4 Geburtstagsfest. Ich fühle mich daher wie hin- und hergerissen, denn draußen spielen Kettcar, und zwar so schön, dass mir die Tränen kommen, mit "Money Left To Burn" und "48 Stunden".
Aber schnell reingelaufen zu den Wahl-Manchester-Citizens, denn das fesche Quintett packt Kuhglocken aus, eine extra Trommel am Bühnenrand und eine Menge verzerrter Vocals, um sich endlich auch in Österreich einen Namen zu machen. Ich höre Suede raus, ein bisschen der viel zu schnell vergessenen Sparks: Da freut man sich richtig auf ihr Debütalbum, auf die breite Rezeption ihres kleinen Vorab-Hits "So Tomorrow". Von denen hört man noch. Sonst einfach Bandname No. 3.
Heiß, heißer, Fiva
Also Torte. Wer das nicht gesehen hat, der ist selbst schuld. Blumenau hat mir mein Stück fast aus der Hand gerissen, mir blieben nur die Krümel. Aber dafür hätte mich Lach-Yoga in der großen Halle eigentlich aufheitern sollen, aber das ging dann doch ein bisschen schief. War dann doch nicht so super. Vielleicht waren wir alle aber auch nur einfach zu düster, denn schließlich erwarteten wir alle das Phantom-Orchester.
Um ehrlich zu sein ist der Auftritt von Madame Fiva mit ihrem mysteriösen Phantom-Orchester eines der Highlights in der großen Halle. Die ist inzwischen wieder packevoll, weil draußen schon die Bühne abgerissen wird und die Sintflut einsetzt. Drin ist es bummvoll und es wird heiß, heißer, Fiva. Die hat sich für ihre neue Platte ein ambitioniertes Line-Up ausgesucht: ein Streichquartett, 2/3 der Sportfreunde Stiller an Bass und Schlagzeug und den großartigen DJ Phekt am DJ Pult.
Fivas Webseite heißt ja bekanntlich "Fivasolo" - das hat sich gegessen. Wer die Sportfreunde mit Hip Hop mixt, setzt also Einiges aufs Spiel, aber die neuen Songs des Albums "Die Stadt gehört wieder mir" sind selbst für mich alten Rock-Fuzzi ein Hochgenuss. Und dabei könnte man annehmen, dass das Phantom-Orchester sich durch die neuen, kaum geprobten Stücke durchstolpern muss. Aber Fiva hat ihre Herren fest im Griff, die hübschen Damen alias das Streich-Quartett gehen im wummernden, stampfenden Sound keineswegs unter. Songs wie "Frühling" und "Zeitlupe" gehen hin zu Kontrabass, Streicher-Ensembles und warmen Synthie-Sounds. "Du bist erst fertig, wenn du fertig bist", lautet die prägende Zeile - eine verliebte Gitarrenmelodie schlängelt sich dann auch noch durch. Das ist scheißgut, mit Verlaub.
Die Zukunft passiert jetzt
Es ist 1 Uhr 20. Draußen hat es inzwischen aufgehört zu regnen, es hat 7 Grad, aber die Wetterverhältnisse sind uninteressant geworden, denn in der Halle bleibt es konstant heiß. Und jetzt kommt sogar etwas Nostalgie auf, denn Nada Surf entern die Bühne. Auf ihrem neuen Album "The Stars are Indifferent to Astronomy" lautet der letzte Satz von Sänger Matthew Caws: "I cannot believe the future's happening to me". Und tatsächlich sind sie gealtert, die Herrschaften von Nada Surf. Kaum zu glauben, dass das jetzt zwanzig (!) Jahre her ist, dass sich diese Band gegründet hat, mitten hinein in den Grunge-Wahnsinn der 90er, Flagge schwenkend in der sich daraus entwickelnden Bewegung Power-Pop. Ein Wunder, dass sie überlebt hat und sich nicht wie andere Gruppen dieser Zeit aufgelöst oder zum Nebenprojekt der Solisten verkommen ist. Aber auch an Nada Surf nagt der Zahn der Zeit, auch wenn die Rastazöpfe von Daniel Lorca so festgeschnürt wie eh und je wirken. Die Zukunft hat sie auch erwischt.
Das Altern dieser Band hinterlässt auch seine Spuren auf den neuen Songs, sie erzählen vom ewigen Nachjagen alter Träume, haben eine ungehemmte Sentimentalität in all den gitarrenzentrierten Lärmcollagen. Caws Stimme ist immer noch wie ein Anker in den sicher wirkenden Gitarrenmelodien, vielleicht ist Sicherheit auch der Faktor, der bei Nada Surf diese enorme Emotionalität ihrer Fans auslöst. Wenn schon alles wegbricht, dann bitte nicht meine Band. Natürlich ist es einfach, sich in eine alte Liebe zu verschauen, wie sie da auf ihren Teppichen auf der Bühne steht. "80 Windows" - dann endlich "Waiting for Something". Dann sogar Trompete. Auch 2012 klingt diese Band noch so, als wär ich 17. So wie FM4 heute. Kann ja nicht das Schlechteste sein.
Jung, abgefuckt, kaputt und glücklich
Elektrofikke. Und dann war nur Nebel. Als Frittenbude endlich um 2 Uhr 40 die Bühne betreten, verschwindet diese in wahren Nebellawinen, die drei Wahlmünchner hüllen sich im Grau des Rauches, manche nutzen die Unsichtbarkeit für eine Tschick. Auf die fetten Fritten, dem Electro-Trash-Punk-undwasnichtnochalles-Trio, habe ich wirklich den ganzen Abend, die ganze Nacht gewartet. Endlich mal Mucke zum Abtanzen, zum Augen schließen, dem grellen Scheinwerferlicht ergeben, des Weltunterganges würdig. Und tatsächlich ist der Beginn des Konzertes ein psychedelischer Trip ins Nirvana, man sieht die Hand vor Augen nicht, wird geblendet und die Fotografen verzweifeln. Aber Sicht ist ohnehin überschätzt, weil die Sprechgesang-Parolen der Band für mehr stehen, für Assoziationsfetzen aus der Jugend, für alte Lieben, denen man ein T-Shirt geschenkt hat und als es schon lange aus ist, bleibt nur das Shirt hinter der Couch. "Bilder mit Katze" überall und ein Shirt mit einem Wolf drauf, das ich so nur vom Kollegen L'Heritier kenne.
Es ist lang nach 3 Uhr, wir alle tanzen mit den Wölfen, geben uns der gehobenen Selbstironie und dem kulturellen Anstand hin, irgendwo tanzt auch ein Irrer im Pandabär-Kostüm. "Und täglich grüßt das Murmeltier" wird gespielt, immer wieder Wiederholung, es wird aufgerufen, sich gegen den WKR-Ball kommende Woche zu wehren. Die Slogans knallen, die Realität holt uns spätestens jetzt wieder ein. Nächste Woche muss man also wieder mal die Welt retten. Zach.
Angeblich geht sie ja am 21.12. unter. Wir sehen uns trotzdem bei FM4=18, oder? Wir gehen kaputt, aber wenigstens sind wir glücklich.
Update: FM4 Statement nach dem Festival
Das Wetter hat uns übel mitgespielt - Schneeregen ist so ziemlich das schlimmste Szenario, das man sich für so ein Open Air vorstellen kann. Rechnen muss man damit im Jänner allerdings leider immer. Dass es wesentlich unangenehmer ist, während eines derartigen Sauwetters draußen zu sein als bei trockenem Wetter, ist absolut verständlich, ist aber von uns nicht beeinflussbar; dass das Fest teilweise Open Air stattfindet, war ja immer klar.
Zum Abend:
- wir haben insgesamt 3000 Tickets verkauft bzw. verlost, das ist genau das Fassungsvermögen der Arena; tatsächlich gekommen sind wegen des schlechten Wetters definitiv weniger Menschen.
- sowohl im Dreiraum als auch im Beisl war nach Ende der Open Air-Konzerte Platz; niemand musste draußen im Regen stehen. Lediglich die große Halle war voll, daher konnten wir dort eine Zeit lang niemanden reinlassen. Die Sicherheit der BesucherInnen geht vor, auch wenn es natürlich enttäuschend ist, eine bestimmte Band deswegen nicht sehen zu können. Aber auch auf Sommerfestivals kann man nicht alle Bands sehen, die auf dem Lineup stehen. Zum Konzert von Frittenbude war die große Halle wieder offen.
Wir bitten um Verständnis darum, dass bei einem (teilweise) Open Air-Fest im Jänner gewisse widrige Umständen zum Tragen kommen, die außerhalb unseres Einflusses liegen - wir haben uns bemüht, alle Schwierigkeiten so zügig wie möglich aus dem Weg zu räumen. Lasst uns für 2013 auf trockenes Wetter und +5 ° hoffen!