Erstellt am: 17. 1. 2012 - 12:25 Uhr
Klickokratie vs. Revolution 2.0
Beim Stichwort Direkte Demokratie denkt man automatisch an Volksbegehren und Volksabstimmung. Aber gerade das Internet bietet viele Möglichkeiten basisdemokratischer Partizipation, die von manchen gehypt, von anderen eher skeptisch betrachtet werden.
FU Berlin
Prof. Dr. Martin Emmer
Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer von der Freien Universität Berlin zur Wechselwirkung von Demokratie und Internet.
Rainer Springenschmid: Man liest unterschiedliche Dinge über den Einfluss des Internets auf die Politik: Die arabischen Revolutionen, so hört man von der einen Seite, wären ohne das Internet nicht möglich gewesen, andere sagen wieder, dass der Einfluss des Internets überschätzt werde. Was ist denn Ihre Position dazu?
Martin Emmer: Es ist in der Tat so, dass für politische Aktivität oft andere Sachen viel maßgeblicher sind als die Medienumgebung. Die Tatsache, dass Menschen das Internet als neuen Kommunikationsweg haben, muss noch nicht automatisch bedeuten, dass sie jetzt mehr machen, dass sie plötzlich positiver der Politik gegenüber stehen und so weiter. Wenn es darum geht, Menschen aktiv werden zu lassen, dann spielen Dinge wie die aktuelle Position und das Gefühl, dass man benachteiligt wird, eine sehr viel größere Rolle.
Allerdings hat das Arabische Frühling schon etwas gezeigt: Wenn Menschen der jüngeren Generationen unter 30 einmal aktiv werden, dann machen sie das ganz anders als das noch ihre Elterngeneration gemacht hat. Für diese Generation ist das Internet praktisch das allererste Mittel auf das sie zugreifen, und deswegen sehen so Bewegungen, wenn sie stark von den jüngeren Generationen getragen werden, auch ganz anders aus als wir das noch aus den Siebzigern kennen.
Was können wir in den westlichen Demokratien daraus lernen? Gibt es Möglichkeiten, das Netz bei uns in den demokratischen Prozess einzubinden?
Man muss es sogar einbinden. Sonst drängt man nämlich die Generationen, für die die klassischen, alten Informations- und Kommunikationsmedien keine so große Rolle mehr spielen, sondern das Internet und sozialen Medien, systematisch aus dem Prozess hinaus und nimmt sie überhaupt nicht mehr wahr. Wenn ich mir das deutsche System anschaue, und das ist glaube ich in Österreich nicht wesentlich anders, haben politische Parteien in den letzten Jahren doch erhebliche Probleme, zum Beispiel ihren Mitgliederstand zu halten und jüngere Leute für die Mitarbeit zu begeistern. Das ist nicht so sehr ein Indiz dafür, dass sich junge Leute nicht mehr für Politik interessieren, sondern dafür, dass diese alten überkommenen Wege politisch aktiv zu werden, nicht mehr so attraktiv sind.
Wenn sie sich informieren wollen, wenn sie miteinander über Politik diskutieren wollen, dann machen sie das längst auf ganz anderen Wegen. Und eigentlich ist die Politik aufgefordert, die Leute mit dem, was sie ohnehin schon tun, online einzufangen und einzubinden. Sonst kann es mittelfristig durchaus Probleme geben mit dem Funktionieren der Demokratie.
Ist der Aufstieg der Piratenpartei da ein Anzeichen davon?
Genau, das würde ich als ein ganz zentrales Indiz sehen, dass da Bedürfnisse und Interessen da sind, die in den letzten 10, 15 Jahren systematisch missachtet wurden. Und irgendwann organisieren sich diese Interessen eben. Es hat lange gedauert, aber mittlerweile wird das doch relativ deutlich. Und das sieht jetzt auch so aus, als sei das kein Phänomen, das schnell wieder verschwindet, wie das Protestparteien ja normalerweise machen.
Die etablierten Parteien reagieren darauf mit verzweifelten Versuchen, Internetuser anzusprechen. Kann das auf Dauer funktionieren?
Es ist zwingend nötig dass man über das Netz kommuniziert, das Problem ist, dass die klassischen Parteien, aber auch alte, etablierte Akteure wie Gewerkschaften oder Verbände, versuchen, in ihrem alten Muster zu kommunizieren. Parteien zum Beispiel funktionieren ja sehr hierarchisch, Programme werden eher von oben nach unten kommuniziert. Wenn man so etwas ins Internet stellt, bringt das relativ wenig. Diese Akteure müssten sehr viel stärker versuchen, sich auf diese egalitären Kommunikationswege, dieses auf gleicher Ebene miteinander sprechen, dieses interagieren, aufeinander eingehen, antworten, kommentieren, auf diese ganze Art der Kommunikation einzulassen. Damit haben sie aber doch erhebliche Probleme, weil die ganzen Strukturen von Parteien und großen Organisationen darauf gar nicht ausgelegt sind. Und auch – und das ist ein wichtiger Faktor – weil die Personen, die in solchen Organisationen etwas zu sagen haben, alle nicht im Internet sozialisiert wurden. Sie haben da kein Gefühl dafür und wehren sich, glaube ich, innerlich auch ein wenig dagegen.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Art der Kommunikation übers Netz auch die politischen Strukturen verändert?
Das ist jetzt eine Hypothese, aber meiner Ansicht nach gibt es da kaum eine Alternative. Die repräsentativen politischen Systeme, die wir jetzt haben, sind ja so wie sie sind entstanden, um den Problemen, die Anfang oder Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind, in den Griff zu kriegen. Mit denen wird man die Probleme und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vermutlich nicht lösen.
Das heißt: In irgend einer Weise müssen politische Akteure und auch das politische System sich verändern. Denn ansonsten werden sie verändert, auch dadurch, dass sie überrollt werden von Bewegungen wie den Piraten, die sagen "wir machen da nicht mit, wir haben keinen Bock mehr auf die Art und Weise, wie ihr das Jahrzehnte lang gemacht habt, wir machen's jetzt einfach mal anders." Und dann kann es natürlich sein, dass vielleicht auch klassische Parteien verschwinden, an die wir uns lange gewöhnt haben, und plötzlich ganz neue Akteure auftreten.
In Österreich gibt es derzeit mehrere Initiativen für den Ausbau der direkten Demokratie, teilweise aus dem Volk, teilweise aus den Parteien. Da geht es jeweils um das gute alte Mittel der Volksbefragung oder Volksabstimmung. Würde nicht das Netz ganz andere Möglichkeiten bieten, direkte Demokratie zu leben?
Ja auf alle Fälle. Wenn man an so was denkt, dann kann man das neu denken. Es gibt ja immer schon Debatten darüber, wie das in unseren Massendemokratien mit vielen Millionen Einwohnern funktionieren kann, und gewisse Probleme kann man dadurch, dass man online kommunizieren kann, durchaus in den Griff kriegen. Man kann Menschen sehr viel stärker direkt einbinden, das muss alles nicht mehr so hierarchisch über Massenmedien und politische Organisationen gebündelt werden.
Natürlich werden nicht alle Probleme durch das Netz gelöst. Es wird das Problem bestehen bleiben, dass sich eben nur ein Teil der Menschen für Themen interessiert und man nie alle dazu bringen wird, sich bei so etwas zu beteiligen. Natürlich besteht auch immer die Gefahr, dass populistische Bewegungen solche Abstimmungen kapern, und dass auch nicht immer alles so ideal ablaufen wird. Man darf sich da nicht zu viel erwarten. Aber ich glaube schon, dass die Möglichkeiten des Netzes ein Anlass sind, nochmal neu darüber nachzudenken und zumindest schrittweise Wege zu finden.
Eine Option, die man da nennen kann, ist die Liquid Democracy-Bewegung, die es seit einiger Zeit gibt, und bei der man ganz gezielt versucht, das Netz auf lokaler, kommunaler Ebene einzusetzen, um Menschen ein bisschen stärker mitbestimmen zu lassen.
Wie funktioniert das konkret?
Im Moment wird es bei der öffentlichen Diskussion zur Enquete-Kommission zu Internet und digitalen Medien eingesetzt, die der Deutsche Bundestag seit einiger Zeit betreibt. Da gibt es ein System, mit dem man die Möglichkeit hat, eigene Beiträge in eine Debatte einzufügen, es gibt die Möglichkeit sowas zu bewerten, man kann Abstimmungsprozesse starten. Das kann man je nach Bedarf einrichten wie man es braucht. Man kann Leuten mehrere Stimmen geben und dann sagen, die könnt ihr im Lauf eines Jahres auf verschiedene Vorschläge verteilen. Das sind alles Sachen, bei denen man je nach Bedarf, je nach Möglichkeit die Verfahren anpassen kann. Das geht online natürlich sehr viel einfacher, als wenn man das bei klassischen Abstimmungsverfahren versuchen würde.
Es gibt ja auf Facebook auch eine ganze Menge von politischen Gruppen und Protesten. Denen sagt man oft nach, dass es leichter ist, sich mit einem Klick zu einem Anliegen zu bekennen, als dafür dann auch wirklich einzustehen. Oft kündigen ja viele Leute an, auf gewisse Demonstrationen oder ähnliches zu gehen, und in Wirklichkeit sind dann nur wenige da. Zeigt das nicht, dass die Leute, die sich im Netz mit so etwas beschäftigen, dann doch nur halbherzig dabei sind?
Ich glaube, das ist ein Missverständnis. Das einzige, was sich im Netz ändert, ist, dass diese oberflächlichen Meinungen, die man sich so schnell nebenbei bildet – und die man im Netz eben mit so einem Klick auf einen "Gefällt mir" Button öffentlich macht – plötzlich öffentlich sichtbar werden.
Tatsächlich wissen wir seit langem aus der kommunikationswissenschaftlichen und psychologischen Forschung, dass es im Prinzip zwei verschiedene Wege gibt, über die man sich Meinungen bilden kann. Das eine ist bei Themen für die man sich nicht so interessiert, wo man nicht viel weiß, wo man eben schnell nebenbei eine Meinung annimmt, die sich aber dann auch ändern kann. Und es gibt Themen, die für Personen ganz wichtig sind, die sie persönlich betreffen, wo man relativ viel investiert hat, um sich eine Meinung zu bilden. Die ist dann auch sehr stabil, und für die würde man dann auch eintreten. Und im Netz wird diese erstere, die beiläufige Meinungsbildung auch sichtbar. In der Tat ist das natürlich ein bisschen die Gefahr, dass da so schnelle Meinungswellen durch die Republik ziehen. Die sind allerdings nicht so stabil und haben deswegen vermutlich auch wenig nachhaltigen Einfluss auf die politische Meinungsbildung.
Das Interview in Langversion zum Anhören:
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