Erstellt am: 16. 1. 2012 - 16:45 Uhr
Der Haken an der direkten Demokratie
Wegen der "Schuldenbremse" wird in Österreich wieder über direkte Demokratie diskutiert. Der Grund: Die FPÖ will der Schuldenbremse zustimmen, wenn die Regierung im Gegenzug die FPÖ-Forderung nach mehr direkter Demokratie unterstützt. Die ÖVP gibt sich gesprächsbereit und arbeitet nun an einem eigenen Konzept. Konkret dreht sich die Diskussion um die Volksabstimmung. Die BefürworterInnen wollen, dass das Volk ein Gesetz erzwingen kann.
Volksabstimmungen erzwingen
Nach dem Vorschlag der FPÖ soll es ab 250.000 Unterschriften für ein Volksbegehren eine zwingende Volksabstimmung geben. Somit könnte ein Gesetz auch gegen den Willen des Parlaments durchgebracht werden. Das ist derzeit nicht möglich. Dieser Idee schließen sich auch andere Parteien wie zum Beispiel die Grünen und einige NGOs an. Direkte Demokratie ist für sie ein Mittel gegen Politikverdrossenheit und politisches Desinteresse. Die BürgerInnen sollten wieder das Gefühl haben, dass sie etwas bewegen können, argumentieren die BefürworterInnen.
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"Gesetze gegen den Willen der Bevölkerung"
Für Erwin Mayer vom Verein "Mehr Demokratie" sollten schon 100.000 Unterschriften reichen, um eine Volksabstimmung zu erzwingen. Für ihn ist das repräsentative politische System in der Krise. "Viele Entscheidungen werden derzeit gegen den Willen der Bevölkerung getroffen. Das muss sich ändern", sagt Mayer. Denn schließlich sei ein demokratisches System dazu da, dass Gesetze im Sinne der Bevölkerung beschlossen werden.
Genau das geschehe aber immer seltener. "Die Bürger wollen endlich die Verantwortung übernehmen", sagt Mayer. Denn schließlich sei das Volk ja die höchste Instanz in einem demokratischen Staat. "Wer soll gescheiter sein als das Volk selbst", fragen die BefürworterInnen von mehr direkter Demokratie.
Direkte Demokratie als Gefahr für die Demokratie?
Doch an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Hat das Volk wirklich immer Recht? Liegt nicht auch eine Gefahr in den verlockenden Versprechungen der direkten Demokratie? Wolfgang Müller-Funk, Kulturwissenschaftler an der Uni Wien, beantwortet diese Frage mit einem Ja.
Wenn das Volk ein Gesetz am Parlament vorbei erzwingen kann, dann würden Massenmedien und billiger Populismus mächtiger werden, erklärt Müller-Funk. Ein Beispiel dafür finden viele GegnerInnen im direktdemokratischen Musterland Schweiz. Dort hat eine Volksabstimmung über ein Bauverbot von Minaretten weltweit für Proteste gesorgt. Monatelang hatte die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) für ein Verbot getrommelt. Auf den SVP-Plakaten war eine Burka-Trägerin zu sehen – dahinter die Flagge der Schweiz, aus der Minarette wie Raketen in die Höhe ragten. 57,5 Prozent der SchweizerInnen stimmten schließlich für das Bauverbot von Minaretten.
"Politiker stehlen sich aus Verantwortung"
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Die Volksabstimmung über ein Bauverbot von Minaretten in der Schweiz hat weltweit Proteste ausgelöst.
Eine Mehrheit der SchweizerInnen hat also über die Rechte einer religiösen Minderheit entschieden. Und das sei ein großes Problem und nur schwer in Einklang mit einem modernen Rechtsstaat zu bringen, so Kulturwissenschaftler Müller-Funk: "Solche Abstimmungen würde es dann auch in Österreich geben. Und davon träumt ja Heinz Christian Strache."
Außerdem untergrabe die Forderung nach einer erzwungenen Volksabstimmung die Regeln einer parlamentarischen Demokratie. Denn für ein Gesetz, das vom Volk beschlossen wird, sei letztendlich niemand verantwortlich. Gewählte PolitikerInnen könnten Verantwortung abschieben und sich auf Volksentscheide ausreden. "Wenn das Volk zum Beispiel ein Gesetz durchbringt, das sich ökonomisch und politisch als vollkommen unsinnig herausstellt, dann ist niemand dafür verantwortlich. Zugespitzt gesagt: Die direkte Demokratie beinhaltet das Moment der Selbstauslöschung der Demokratie", sagt Müller-Funk.
Massenmedien würden mächtiger werden
Sollte Österreich tatsächlich eine neue Form der direkten Demokratie bekommen, bräuchte es wohl mehr Änderungen, als nur die Möglichkeit eine Volksabstimmung zu erzwingen. Gerade die Massenmedien würden spürbar mächtiger werden, wenn die Bevölkerung plötzlich regelmäßig über bestimmte Sachthemen abstimmt. Damit nicht bloß die schrillsten und lautesten Stimmen im Medien-Dickicht gehört werden, müsste überlegt werden, wie mehr Qualitäts-Journalismus ausgebaut und finanziert werden kann.
Abstimmung über direkte Demokratie
Doch schlussendlich stellt sich auch die Frage, ob das Volk die Verantwortung überhaupt tragen will. Denn beim Ausbau der direkten Demokratie würde ein bereits existierendes direktdemokratisches Instrument zum Einsatz kommen, sagen viele VerfassungsjuristInnen. Die Möglichkeit eine Volksabstimmung zu erzwingen, wäre vermutlich eine grundlegende Änderung der Verfassung – und somit müsste eine Volksabstimmung darüber durchgeführt werden. Ob das Volk mehr direkte Macht bekommt, entscheidet das Volk also letztendlich selbst.