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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

10. 1. 2012 - 16:58

Heimliches Berlin

Franz Hessel, Vater von Stéphane Hessel, und sein verträumter zarter Berlin-Roman von 1924.

Den erhitzten Gemütern um die Berlin-Hassbücher, von denen Christiane Rösinger vor wenigen Tagen geschrieben hat, sei zur Kühlung ein feines Bändchen gereicht: "Heimliches Berlin".

Es zeigt ein Berlin von 1924 voller Träume und Sehnsüchte, ein Berlin der Verführung und Verheißung und ein Berlin, in dem arme Menschen einem reichen Leben nacheifern.

buchcover heimliches berlin

lilienfeld verlag

Franz Hessel: Heimliches Berlin. Mit einem Nachwort von Manfred Flügge. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2011

"Zeitgemäß erzählt du gerade nicht", sagte Hanah, "sondern mehr wie zur Zeit der Zeit, die noch Zeit hatte."

Die Geschichte beginnt an einem Abend und endet an dem darauf folgenden Abend. In dieser Zeitspanne wollen ein von allen geliebter junger Mann, dessen Beruf es ist, schön zu sein, und eine Frau gemeinsam die Stadt verlassen. Sie verlässt noch dazu ihren kleinen Sohn und ihren Mann. Sie macht Bekanntschaft mit einer Sängerin, er trifft auf eine alte "Eroberung" und schmust doch spontan mit einer anderen, obwohl er doch eigentlich ...

Kurzum: Berlin ist alles andere als ein langweiliges Dorf. Im heimlichen Berlin und den vielen Nachtclubs, Bars und Theatern scheint alles möglich und Träume und Verliebtheit im Überfluss vorhanden zu sein. "Ein Märchenbuch der Großstadt" schwärmt das 8-Uhr-Abendblatt von 1927.

Franz Hessel

Geschrieben hat diese Geschichte ein Mann, dessen Leben wohl ähnlich ereignisreich und verhängnisvoll war wie die Stadt: Franz Hessel.
Er war Autor und Übersetzer - u.a. übersetzte er gemeinsam mit seinem Freund Walter Benjamin Bücher von Marcel Proust.

Vor dem ersten Weltkrieg lebte Franz Hessel in Paris, wo er die Modejournalistin Helen Grund heiratete. Die beiden hatten eine Dreiecksbeziehung mit Henri-Pierre Roché, die Roché später in dem Roman "Jules und Jim" verewigte. (Er war Jim, Franz Hessel war Jules und Helen Grund war Catherine). François Truffaut verfilmte diesen Roman 1962 mit dem großartigen Oskar Werner in der Rolle des Jules.

Helen Grund und Franz Hessel hatten zwei gemeinsame Söhne: Ulrich und Stéphane Hessel, der Dipomat und Widerstandskämpfer, der 2011 mit den Pamphleten "Empört Euch!" und "Engagiert Euch!" populär geworden ist.

Franz Hessel zog wieder nach Berlin, flüchtete mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten nach Südfrankreich. Dort kam er in das Lager Les Milles, in dem beispielsweise auch Bert Brecht, Stefan Zweig, Thomas Mann, Joseph Roth, Franz Werfel und Max Ernst inhaftiert waren. Franz Hessel erlitt in dem Lager einen Schlaganfall und starb kurz nach der Entlassung 1941.

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Siebzig Jahre nach seinem Tot sind nun die Rechte zu seinen Werken frei. Der Lilienfeld Verlag hat den Roman "Heimliches Berlin" herausgegeben - in Absprache mit Stéphane Hessel, der sich sehr darüber freut, dass sein Vater wieder veröffentlicht wird. Im März soll der Roman "Der Kramladen des Glücks" folgen.