Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Filme, die die Welt dringend braucht (Teil 1)"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

6. 1. 2012 - 17:27

Filme, die die Welt dringend braucht (Teil 1)

Trio Infernal: Drei Filmbesessene steigern sich in Vorfreude-Deluxe auf das Kinojahr 2012.

Da sitzen wir rund um den virtuellen Kamin und schwärmen. Drei Filmbesessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, sehen sich gemeinsam Trailer an, blättern durch Magazine, überfliegen diverse Blogs. Und fiebern dem extrem vielversprechenden heurigen Kinojahr entgegen...

The Avengers

Marvel

CHRISTOPH PRENNER ist als Schreiber, Partymacher und Partymusikmacher tätig. Schaut daneben aber auch immer wieder mal Filme und Serien.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und da durchfährt ihn schon immer wieder mal ein fiebriges, vorfreudiges Zittern, öffnet sich mit unnachahmlich charmanten Motorensummen der Vorhang und es fällt (endlich) erneut buntes Licht auf die Leinwand.

CHRISTIAN FUCHS ist FM4-Redakteur und Musiker und betrachtet das Kino noch immer als kindlich verklärten Sehnsuchtsort und Therapiestation gleichzeitig.

Christoph Prenner: Nachdem das Comic-Superhelden-Filmjahr 2011 dann doch ein eher sehr bescheidenes war, kann es 2012 an sich nur besser werden. Wird es auch. Statt der grünen Laterne und der grünen Hornisse gibt’s dann nämlich wieder den grantigen grünen Kraftlackl auf der Leinwand zu sehen – und nicht nur den: TV-Bessermacher Joss Whedon ("Buffy", "Firefly") versammelt in "The Avengers" die legendäre Marvel-Equipe der Rächer erstmalig auf der großen Leinwand. Neben dem erwähnten Hulk (gespielt vom dritten Darsteller in zehn Jahren) und dem bereits bestens etablierten Iron-Man dürften sich damit auch die vergangenes Jahr mittels eilig eingeschobener Set-up-Filme eingeführten Captain America und Thor hier erstmalig richtig entfalten können. Meint: Nach dem standesgemäßen sich gegenseitig Verkloppen der diversen Egomanen geht’s für S.H.I.E.L.D. dann zusammen gegen gleich eine ganze Armada von Aliens. Sollte wohl der Streifen sein, der dem dunklen Ritter am ehesten die Superhelden-Show stehlen wird können.

Christian Fuchs: Ganz deiner Meinung. Robert Downey steht bei mir auf einem Podest, erst recht als Rock'n'Roll-Ikone Iron-Man, Joss Whedon bete ich seit "Firefly" an. Aber weil du den dunklen Ritter erwähnst: Meine hohe Erwartungshaltung an "The Dark Knight Rises" kann weder der vorhersehbare Christopher-Nolan-Backlash dämpfen, noch der eher wenig euphorisierende Trailer. Dazu fasziniert mich Christian Bale viel zu sehr als verkrampfter, seine Gefühle einkerkernder Bruce Wayne, die nicht minder reizvolle Antithese zum lustvollen Tony Stark. Ich klammere mich bei der Batman-Saga ja an die Hauptfigur und weniger die Bösewichte. Obwohl natürlich Tom Hardy die beste Bösewicht-Wahl überhaupt derzeit ist. Du freust dich aber auf einen gänzlich anderen Superhelden, Sebastian?

The Dark Knight Rises

Warner Bros

Sebastian Selig: Auf Tom Hardy freue ich mich natürlich auch, während mir diese "Rächer" (sind das nicht eher Soldaten?) aus dem Hause Marvel ehrlich gesagt gehörig gestohlen bleiben können. Marvel steht für mich inzwischen einfach zu sehr für ein am Konferenztisch der Marketing-Abteilung entworfenes Brav-Kino ohne Eier. Wenn Sommerfilme, dann doch bitte wieder wie 2009, als die G.I. Joes aus den Frühstücksflocken marschiert kamen, um auf das ideenreich bunteste die Leinwände zu stürmen. Voller Liebe und mit Ninjas. Fuck, alleine der Paris-Teil... unter den schmerzfrei am Rechner entworfenen Bombast-Szenen des Blockbuster-Kinos der Nullerjahre für mich bis heute immer noch ungetoppt. Nun endlich die heiß ersehnte Fortsetzung, und die verspricht nicht nur gut, sondern womöglich sogar noch großartiger zu werden.

Christian: Ich glaube, ich habe damals einen ganz anderen Film gesehen und auch schon wieder vergessen. Aber so wie du jetzt schwärmst, muss ich beinahe nochmal hineinschauen. Worum geht es im Sequel?

Sebastian: Über dem Weißen Haus wird die Ninja-Flagge gehisst und der Cholesterin-Spiegel steigt. Als wäre mehr nicht genug, thronen auf diesem formschönen BananaSplit-Becher nun noch zwei zusätzliche Cocktail-Kirschen in der Form von The Rock und Bruce Willis. Unverrückbares Kernstück der Süßspeise ist dann aber auch dieses Mal wieder der, stets in Ganzkörper-Latex gekleidete und niemals sprechende Super-Ninja Snake Eyes (Ray Park). Neben dem Driver in "Drive" und natürlich Marcos, Chauffeur in Carlos Reygadas wundervollem "Battle in Heaven", für mich die schillerndste Lieblingsfilmfigur dieses an beeindruckenden Kino-Göttern wahrlich nicht armen Kino-Jahrzehnts.

Noch mehr Vorfreude:

"Prometheus"
Wann hat Ridley Scott das letzte Meisterwerk gedreht? Lassen wie diese Frage und freuen wir uns auf das Comeback des Altmeisters, der zu seinen Wurzeln in outer space zurückkehrt. Michael Fassbender, Noomi Rapace und der Usprung des Alien-Mythos. Nuff said. (CF)

"Wettest County"
Und gleich noch ein Auftritt von Tom Hardy, diesmal in einem düsteren Prohibitions-Drama von John "The Road" Hillcoat, nach einem Drehbuch von Nick Cave. Womöglich der Film, der all das einlöst, was "Boardwalk Empire" bislang eher nur versprochen hat. (CP)

"Bye Bye Baby"
Nach viel zu langer Zeit endlich einmal ein neuer Film Virginie ("Baise-Moi") Despentes. Mit den Göttinnen Béatrice Dalle und Emmanuelle Béart als lesbisches Paar. (SS)

Christian: Ich bin sprachlos, das bringt meinen Kanon jetzt ganz schön durcheinander...

Sebastian: Natürlich auch toll: Regie führt bei "G.I. Joe: Retaliation" kein geringerer als Jon M. Chu, dessen vorangegangener "Step Up 3D" sicher einer der (wohl leider an einer Hand abzählbaren) 3D-Filme von echtem cineastischen Wert darstellt.

Casa De Mi Padre

Gary Sanchez Productions

Christoph: Sprechen wir über "the funniest movie you’ll ever read". So wird der Soap-Opera/Mexploitation-Spoof "Casa De Mi Padre" aus der "Anchorman"-Schmiede verkauft – als Komödie also, deren Humor sich maßgeblich via Untertitel vermittelt, weil eben der O-Ton standesgemäß in Spanisch gehalten ist. Vor allem in den US of A, wo ganze fremdsprachige Filme neu gedreht werden müssen, weil für ihre Kinogänger Subtitles ähnlich verpönt sind wie etwa der real existierende Sozialismus, ist das schon ein nicht ungewagtes Manöver. Andererseits gibt es für eine solche Mission aber wohl keinen besseren Abgesandten als the mighty Will Ferrell, jenen Mann also, der uns auch schon mit Eiskunstlaufen und NASCAR versöhnt hat. Sein von der Drogen- und Damen-Welt gleichsam gebeutelter Ranch-Besitzer Armando Alvarez hat jedenfalls das Potenzial zur genuin lustigsten Ferrell-Figur seit Ron Burgundy.

Christian: Sehr super. Aber weil bei uns OV-Fassungen beim breiten Publikum ebenso verpönt sind wie der real existierende Sozialismus, bin ich punkto Kinostart erstmal skeptisch. Auf dem großen Will Ferrell liegt ja ohnehin diesbezüglich ein Bannfluch, arme Menschen, die nur die öden Synchros seiner Filme kennen, verstehen die Genialität gar nicht.

Christoph: Für Ferrell ist es jedenfalls nach dem Mexiko-Ausflug in der zweiten Staffel der von ihm produzierten Wahnwitz-Comedy "Eastbound & Down" auch gleich der nächste Abstecher south of the border. Und noch ein TV-Konnex: in einer Nebenrolle gibt es den großen Nick Offerman zu sehen – und der ist immerhin für die Entstehung der besten Serienfigur der mindestens letzten fünf Jahre verantwortlich: Ron Fucking Swanson, den libertären Steak- und Schnauz-Papst aus "Parks and Recreation".

Christian: Eine der gefühlten zehntausend Serien, die ich noch nachholen muss, ächz. Aber zurück zum Kino. Sebastian, worauf freust du dich noch ganz besonders?

"One Shot"
Endlich eine Jack Reacher-Verfilmung (von Christopher "The Way Of The Gun" McQuarrie). Auch wenn es schwer wird, Tom Cruise in dieser gewaltigen Rolle zu sehen, so wird doch kein geringerer als Werner Herzog in der Rolle des wahrlich Bösen schon für die nötige Wucht sorgen. Bestimmt. (SS)

"A Glimpse Inside The Mind Of Charles Swan III"
So abenteuerlich wie auch absehbar: die Rehabilitierung des gefallenen Stars via Indie-Credibility-Handstreich. Charlie Sheen dürfte hier eine weitere Variation seines flamboyanten Selbst geben, nur eben mit einem echten Coppola (Roman, Bruder von Sofia und Sohn von Francis Ford) statt einer abgeschmackten Sitcom-Schmiede im Hintergrund. Könnte knallen. (CP)

"The Dictator"
Schimpft ruhig alle im Nachhinein über Borat & Brüno, euch hört keiner zu. Sasha Baron Cohen ist der King of fucked up Comedy. Ob in formidablen Nebenrollen wie in Scorseses "Hugo" oder in seinem neuen Kontroversenstreich als debiler islamistischer Diktator. (CF)

Sebastian: "John Carter" scheint genau die Art von zauberhaft überbudgetiertem Wahnsinnsprojekt zu sein, bei dem entweder alles schief geht oder am Ende die Titanic sinkt. Auf dem Mars blutet man Blau und kann als Mensch gewaltige Sprünge machen. Mars heißt hier, 50er Jahre Pulp-Heftchen-Mars, und weil da dem Studio dann doch etwas Angst und Bange wurde, darf Andrew ("Wall E") Stanton für seinen ersten Realfilm voller CGI-Klimbim das Wunder vollbringen, soviel SF-Nostalgie dann irgendwie noch mit Nullerjahre-Waschbrettbauch-Ästhetik zu kreuzen. Für Letztere ist ein junger Mann mit Namen Taylor Kitsch an Bord, den man in diesem maßlosen 2012 dann auch noch in der gefühlt 200 Mio. Dollar teuren Verfilmung von "Schiffe Versenken" (im Kino: "Battleship") sehen wird. VorfreudeDeluxe.

Christoph: In diversen Fanboy-Foren wird ja schon nur mehr die Höhe des bevorstehenden Box-Office-Flops diskutiert – und der Pixar-Qualitäts-Freibrief gilt seit "Cars 2" ja auch nicht mehr unumschränkt. Bei mir drückt das leider eher die falschen Knöpfe, Stichwort: "10 000 B.C.", ein All-time-Hassfilm.

Sebastian: Ja, wenn die Pixar-Schule heißt: Actionkino mit der Clownsnase auf, wie eben erst in der neuen "Mission: Impossible", bin ich natürlich auch draußen. Und ehrlich gesagt, dieser Taylor Kitsch wirkt auf mich wie aus einem "Scorpion King"-Sequel entsprungen. Aber dennoch. Ich bewundere da alleine schon den Mut, in einen solchen Stoff 250 Mio. Dollar zu buttern. Derlei Wahnsinn gilt es, mit Liebe zu begegnen.

Christian: Ich befürchte, beim Thema Actionkino, für mich als früherer Fan ja immer mehr ein rotes Tuch, kommen wir auf wenige gemeinsame Nenner. Wobei, einer fällt mir ein, dem wir alle entgegenfiebern - und zwar Steven Soderberghs "Haywire".

Haywire

Concorde

Sebastian: Auf nur ganz wenig freue ich mich in diesem Jahr so sehr, wie auf diese Frau: Gina Carano. Real-life-Mixed-Martial-Arts-Champion, darauf aus, sämtlichen männlichen Arthouse-Stars der vergangenen zwei Jahre die Nasenbeine zu brechen. Michael Fassbender, mit stetem Beide-Fäuste-ins-Gesicht-Rhythmus drischt sie ihm sein Gesicht in den cremefarbenen Teppichboden beider Honeymoon-Suites. Ewan McGregor, im Dunkeln natürlich ohne Chance. Antonio Banderas, da gefriert das Lachen trotz tropischer Temperaturen, weil gleich ist es aus. Und wenn sie schon dabei ist, bekommen Michael Douglas und Channing Tatum auch noch was ab. Unter der Regie von Steven Soderbergh (Drehbuch: Lem "The Limey" Dobbs!) verspreche ich mir da nicht viel weniger als den diesjährigen "Hanna" und mit viel Glück, vielleicht sogar, nach "Drive", jetzt schon die zweite große Verbeugung vor dem Schönsten, was die 80er zu bieten haben.

Christoph: Dem Trailer nach zu urteilen definitiv eher "Hanna" denn, hust, "Salt". Aus dem wahrlich polymorphen Output des Viel- und Verschiedenfilmers Soderbergh würd ich mir eigentlich immer "The Limey" als Favourite herauspicken. Große Vorfreude auch hier.

"Stoker"
Sein "Oldboy" bekommt demnächst ein US-Remake (von Spike Lee), aber auch Chan-wook Park selbst ist in Tinseltown angekommen. Das vom "Prison Break"-Hauptdarsteller (!) verfasste Script dieses Mashups aus Familiendrama und Horror gilt jedenfalls als eines der am heißesten gehandelten Hollywoods – eine gute Voraussetzung also, um Korea’s finest ein John-Woo-Schicksal zu ersparen. (CP)

"Wanderlust"
Jetzt mal nicht über Jennifer Aniston maulen, die hier die weibliche Hauptrolle spielt. Denn diese zotenreiche RomCom über ein beziehungsmüdes Paar, das in eine Hippiekommune zieht, featured auch den wunderbaren Paul Rudd als Kontrapart. Und wurde von Jeff "Rolemodels" Wain gedreht. Die derbe Apatow-Produktion des Frühjahrs. (CF)

"Into The Abyss"
Nochmal Werner Herzog. Der Meister. Und wir folgen ihm dieses Mal direkt in des Todeszellentrakt, während durch den alles ins Rollen gebrachte Wagen, längst ein Baum seine Äste treibt. (SS)

Christian: Ich schließe mich bei "The Limey" als zentrales Soderbergh-Werk unbedingt an, was für ein Film. Überhaupt hat der Mann ein Händchen dafür, sich zu Tode getrampeltem Genreterrain unverkrampft und leichtfüßig neu zu nähern. Nähern wir uns jetzt aber langsam dem Ende des ersten Teil unserer Vorschau-Festspiele. Reden wir doch über zwei möglichst unterschiedliche Streifen, einen besonders aufbauenden Gute-Laune-Film und filmisches Gift, das wie eine fiese Droge wirkt. Für letzteres sind sie zuständig, Herr Prenner, wir müssen über Kevin sprechen.

We Need To Talk About Kevin

BBC Films

Christoph: Man muss wohl langsam von einer New Wave of British Cinema sprechen, so wie uns britische Filmemacher derzeit im Monatstakt so essentielle wie fundamental verstörende Großtaten um die Ohren hauen: In einer Liga mit Nerven- und Gemütsaufreibern wie "Shame" oder "Kill List" spielt auch "We Need To Talk About Kevin" der schottischen Filmemacherin Lynne Ramsay. Der Titel ist dabei als eigenwillige Irreführung zu lesen: gesprochen (geschweige denn gehandelt) wird hier nämlich weder vor noch nach jener Wahnsinnstat, die der nämliche passiv-aggressive Wonneproppen eines Wohlstandsgewinner-Ehepaars (Tilda Swinton, John C. Reilly) zu verantworten hat. In verwegen arrangierten und betont farbmotivierten Flashbacks werden mit aller gebotenen Vehemenz Verhaltensmuster seziert, die die Katastrophe eingeläutet haben könnten. Womöglich. Ist alles bloß das Ergebnis einer komplett verkorksten Mutter-Kind-Beziehung? Oder ist Kevin einfach ein wahrhaft böses Kind? Es ist beinahe so, als hätte man Damien Thorn durch ein Mike-Leigh-Szenario gejagt: Ein Film, nach dem einem der Kiefer erst einmal ein paar Tage lang ein, zwei Etagen tiefer hängt.

Christian: Klingt zum Fürchten und unbedingt sehenswert zugleich. Wer sich von Lynne Ramsay von seinem Kinderwunsch nicht abschrecken lässt oder auch schon liebe Kleine im kinotauglichen Alter zu Hause hat, bekommt jetzt von mir noch einen Pflichttipp. Martin Scorsese, eine Ikone, auf die wir uns wohl alle einigen können, hat nämlich seinen ersten Kinderfilm gedreht. Keine Amokläufer, Mafiosi, kaputten Cops oder Auftragskiller tauchen in der Literaturverfilmung "Hugo" auf. Dafür verpackt der einzigartige Marty seine Leidenschaft für das Kino und seinen diesbezüglich pädagogischen Vermittlungswillen in ein Wunderwerk von einem 3D-Abenteuer. Die Frühzeiten der Cinematographie in Paris als rührendes Märchen erzählt, bei dem ich auch feuchte Augen bekam. Die meisten Kritikerkollegen hassten den Film bei der Vorführung aber, muss ich hinzufügen.

Sebastian: Hass hat im Kino nichts zu suchen. Lasst uns ganz im Gegenteil am Sonntag lieber weiter ganz fruit-loop-bunt die Vorfreude auf dieses aus allen Nähten platzende Kinojahr abfeiern. Wir sehen uns im Kaminzimmer, Fortsetzung folgt!