Erstellt am: 27. 12. 2011 - 12:40 Uhr
Von sterbenden Gletschern und toten Pinguinen
Ilija Trojanow, der Autor, der auf allen Kontinenten zuhause ist, und sich in seinen Büchern stets Themen zuwendet, die den Nerv der Zeit treffen, stellt das erste Buch unserer Literaturserie "Neuschnee - Bücher wärmstens zu empfehlen".
"EisTau" schildert eine Expedition in die Antarktis und den fortschreitenden Klimawandel aus der Sicht eines Misanthropen mit eiszapfenspitzer Zunge.
Darum geht’s:
Glaziologe Zeno Hintermaier hat sein Leben der Erforschung von Eis verschrieben. Jahr für Jahr muss er dabei zusehen, wie der Alpengletscher schmilzt, den er im Laufe seiner Professorenkarriere wahrhaft lieben gelernt hat. Nachdem eines Sommers endgültig nichts mehr zu retten ist, heuert er als Expeditionsleiter auf einem Kreuzfahrtschiff an, um Touristen die Wunder der Antarktis zu erklären. Doch die Bequemlichkeit der Menschen und ihre Ignoranz gegenüber der Natur lassen ihn verzweifeln. Als er auch noch einem mediengeilen Fotokünstler dabei helfen soll, mitten im ewigen Eis ein SOS-Zeichen aus 300 Menschen zu formen, beschließt er, etwas zu unternehmen.
Der Schnee fällt in:
Es schneit und stürmt während der Fahrt auf dem Kreuzfahrtschiff über dem antarktischen Meer und auf den eisigen Stränden seiner Inseln. In Rückblicken liegt Schnee auch noch in den Bergen von Zenos Kindheit, als das Weiß am Gletscher selbst noch im Hochsommer üppig strahlte, und nicht matschig-grün war wie heute.
Schneesorte:
Packeis, Altschnee und Tauwasser. Die blitzblauen Eisberge im antarktischen Meer trösten den Wissenschaftler über das Schwinden seines Forschungsgegenstands in den Alpen hinweg. In zahlreichen Szenen wird seine fast schon fetischistische Liebe zu Eis und Schnee geschildert. Zum Auftakt seiner Forschungssaison benetzt er jedesmal mit schneenassen Händen sein Gesicht, Gletscherwasser füllt er in Flaschen ab, um im Sommer daran zu nippen, und in seinen schlimmsten Albträumen rinnt ihm das Eis als Tauwasser durch die Hände.
Der erste Satz mit Schnee:
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Hanser Verlag
fällt auf Seite 31. Zeno lässt sich mit Fotos eines Kollegen von der Arbeit als Touristenguide in der Antarktis überzeugen:
Wohin ich blickte - eisglättender Schnee, im Sonnenlicht glänzende Rillen und Rippen, kristalline Wogen -Vertrautes, und doch blickte ich auf eine unbekannte Welt, wo Gletscher nicht ins Tal sondern ins Meer kalben, die Fotos fügten sich zu einem aus der Zeit gedrechselten Segen, ich wischte mir die Hände an der Hose ab, jedes Wort, das mir das antarktische Wasser zuflüsterte, war ein gefrorenes, ich berührte zaghaft den Eisberg und hinterließ einen Fingerabdruck.
Ewiges Eis oder Tauwetter?
Beides. Das ewige Eis der noch weitgehend unberührten Antarktis wird zum letzten Rückzugsort für den Wissenschaftler, die globale Erwärmung sein größter Feind. Zeno macht für die unaufhaltsame Schneeschmelze seine Mitmenschen verantwortlich, und verliert dabei immer wieder die Fassung. Er prügelt einen Soldaten, der seine Zigarette in den Schnee schnippt, und lässt herrlich sarkastische Spitzen gegen Delegierte beim Weltklimagipfel oder zivilisationsverwahrloste Krone-Leser los. Überhaupt lockert Trojanow das ernste Thema seines Romans mit vielen witzigen Szenen auf. Etwa wenn der Glaziologe einer naiven Journalistin seine Theorie der Wärme-Idiotie erläutert, oder eine Touristin einer Raubmöwe ein erbeutetes Pinguinei entreißt.
So liest sich das:
Mrs. Morgenthau fühlte sich dazu auserkoren, ein Unrecht ungeschehen zu machen, das Ei mit dem zukünftigen Leben unbeschadet dem brütenden Tier zurückzugeben, eine Absicht, die ebenso nobel wie missverständlich war, denn der Pinguin, dem Angriff eines roten Ungetüms ausgesetzt, öffnete aus Instinkt den Schnabel und biss in die linke Hand der entsetzt aufschreienden Mrs. Morgenthau, die das Ei fallen ließ. (...) Ich ergriff ihren Arm, um mir die Wunde anzusehen, sie riss sich los, um vor dem bissigen Pinguin zu fliehen, rutschte aus und plumpste hin, auf einen anderen Zügelpinguin (...) Mrs. Morgenthaus massiger Oberkörper begrub den hilflosen Vogel unter sich.
Und das lernen wir daraus:
Wo die Pinguine wohnen, haben wir Menschen nichts verloren.
Neuschnee - Bücher wärmstens zu empfehlen
Ist wärmstens zu empfehlen für:
All jene, die der Klimawandel zur Weißglut treibt, und die sich an ein paar pathetischen Phrasen dazu nicht stören. Wer sich auf Zenos tief empfundene Sorge um die Natur einlässt, wird belohnt mit einer spannenden Geschichte, die eines der größten Probleme der Menschheit klug und mit viel Witz vor Augen führt.