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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

7. 12. 2011 - 19:20

Der Klang der Freiheit

Die Musik des ägyptischen Frühlings.

"Normalerweise, sobald du einen Fuß auf die Bühne setzt, fühlst du dich eine Stufe höher als dein Publikum. Denn die Menschen da unten sind gekommen, um dir zuzuhören. Sie denken, du wärst was Besonderes. Aber diesmal wars das Gegenteil. Wir standen auf der Bühne, sahen runter aufs Publikum und es war wie ein Wunder für uns. Sie haben das Wunder für uns vollbracht mit ihrem Protest. Also sind wir auf der Bühne gestanden und wollten eigentlich ihnen zuhören, anstatt zu singen."
(Hany Adel, 2011)

Der Klang der Freiheit

Von hunderttausenden jubelnden Menschen empfangen zu werden, mit wehenden Fahnen und ohrenbetäubendem Jubel. Kein alltäglicher Gig. Hany Adel kommt von der Bandprobe und hat eine Gitarre dabei. Mohamed El Din nimmt sich einen Stuhl als Percussioninstrument. Dann spielen sie einen Song auf einer Bühne mitten am Tahrir-Platz. Der Song heißt "Der Klang der Freiheit". Die Band von Hany und Mohamed heißt Wust El-Balad.

Musik am Tahrir-Platz

Vergangene Woche war ich in München beim on3-Festival, das hab ich aber eh schon erzählt. Dort haben neben den aktuellsten Hipsterneuentdeckungen auch zwei Acts aus Ägypten gespielt. Die Jazzrockband Wust El-Balad und der HipHopper Deeb. Acts, die sich mit Protestsongs am Tahrir-Platz ins kollektive Gedächtnis Ägyptens eingebrannt haben.

Ausgerechnet am Vorabend der ersten freien Parlamentswahl in Ägypten habe ich mit den Künstlern gesprochen. Und die waren hin- und hergerissen. Einerseits hatte man sie zu einem Auslandsgig gebucht, was nicht alle Tage vorkommt. Andererseits waren am Tahrir-Platz gerade neue Proteste entflammt. Diesmal gehts gegen die Übergangsregierung des Militärs.

Die Bilder von den Protesten am Tahrir Platz sind um die Welt gegangen. Bis zu eine Million Menschen haben dort gegen den unbeliebten Staatschef Hosni Mubarak protestiert.

Ägypten Proteste Tahrir Platz

dpa

Musik fürs Volk?

Am Tag nach dem Auftritt von Wust El-Balad tritt Mubarak unter dem Druck der Straße zurück. Die Musik von Wust El-Balad hat den Menschen Kraft gegeben, weiter an die Revolution zu glauben. Oder ihnen Trost gespendet, wenn vielleicht ein Angehöriger von der Staatspolizei zu Tode geprügelt wurde.

Musik in Ägypten 2011 unterscheidet sich doch deutlich von der Musik in unserem Kosmos. Hier gehts nicht darum, den passenden Code für die gerade neu geschaffene Subkultur zu finden. Hany Adel erzählt, er will Musik fürs ganze ägyptische Volk machen. Egal, welche Religion - egal, welches Alter - egal, auf was für Musik die Menschen sonst so stehen.

Musik für die Einigkeit und für den Stolz eines ganzen Volks. Klingt etwas pathetisch? Der Rapper Deeb versucht zu erklären:

"Was den Menschen gefehlt hat, war die Würde. Die politische Klasse hat die Menschen nicht ernst genommen, sie hatten kein Geld, keine Aufstiegschance und nichts, worauf sie Stolz sein konnten. So etwas wie Einigkeit und füreinander-da-sein, das gabs in Ägypten einfach jahrzehntelang nicht. Wir haben es vermisst."

Deeb ist 26, in Dubai aufgewachsen und ein Aushängeschild des ägyptischen Underground-HipHop. Deeb ist kein Künstlername. Mohammed El-Deeb heißt wirklich so. Wie oft er am Tahrir-Platz war, kann er nicht mehr abzählen. Oft war er da, hat mitprotestiert und ist das eine oder andere Mal auch auf einer der Bühnen aufgetreten. Für die meisten Ägypter, die dort protestiert haben, war sein Sound neu. HipHop steckt in Ägypten noch in den Kinderschuhen, erklärt Deeb. "Es gibt mehr Rapper als HipHop-Hörer", meint er im Scherz.

Die Feder als Waffe

Ganz so ist es natürlich nicht. Mit den Arabian Knightz (die hauptsächlich aus Exil-Ägyptern in den USA bestehen) gibts sogar eine Crew, die regelmäßig international auftritt. Den Underground HipHop in Kairo oder Alexandria macht ein Hang zu Old School Beats und Sounds aus. Zufall?

"So, wie in afroamerikanischen Communitys HipHop begonnen hat - Menschen, die für ihre Rechte eingetreten sind, Menschen, die gegen Rassismus aufgetreten sind - wir versuchen das auf den Nahen Osten umzulegen."

Politische Songs

"Ich halte meine Schreibfeder hoch, meine Schreibfeder ist mein Schwert", sagt Deeb in einem seiner Songs.

In Zeiten wie diesen engagieren sich auch vordergründig unpolitische Künstler für einen Neuanfang in Ägypten.

Wust El-Balad etwa sind keine politische Band im traditionellen Sinn. Sie machen seit 13 Jahren Songs zu unterschiedlichen Themen. Obwohl sie mit "Der Klang der Freiheit" die Musik zur Revolution geschrieben haben, wollen sie mehr sein als bloß die Vorlage für Demo-Sprechchöre, erzählt Hany Adel: "Wir wollen eine Band der Menschen sein, eine humanistische Band vielleicht. Wir singen über das, was das tägliche Leben der Menschen bewegt."

In der Vergangenheit waren das zwar auch immer wieder gesellschaftlich brisante Themen, wie im Song "Magnoun", wo es um die tragische Liebesgeschichte zwischen einem Moslem und einer Christin geht. Im Ägypten 2011 ist das, was die Menschen bewegt, eben die Politik. Die Proteste gegen Mubarak, gegen das Militär, mitunter auch gegen die Wahlen.

In Zeiten des Protests haben die Menschen am Tahrir-Platz einen Song von Wust El-Balad umgedeutet. "Hela Hop" heißt auf Arabisch "Hau Ruck". Im Demokontext ist der gleichnamige Song zum Sprechchor geworden.

Stolz

Hat sich mit der politischen Situation in den vergangenen Monaten auch das Leben als Musiker geändert? Ja, meint Hany Adel. Denn mit dem System Mubarak ist auch das Zensursystem gefallen. Früher hat der Sänger immer wieder Anrufe von der Geheimpolizei bekommen. Höflich, aber bestimmt haben die Männer darauf hingewiesen, dass manche Lyrics ungeeignet wären. Wenn Songs über die Probleme Ägyptens auch im Ausland gehört würden, wäre das schlecht für Image und Tourismus. Wie Hany als Künstler diese Anrufe verkraftet hat?

"Ich war stolz", erklärt er, "denn offensichtlich hatte da jemand Angst vor mir. Ich war Stolz auf meine Fähigkeit, die Worte so zu wählen, dass jemand Angst hatte. Ich war stärker als der mächtige Apparat."

Gerade für junge Bands könnte der arabische Frühling eine Chance sein. Ohne Zensur, mit einer enthusiastischen Öffentlichkeit im Rücken und dem Ausland, das interessiert auf die Vorgänge in Ägypten schaut.

Musik aus Ägypten

Zu entdecken gibt es ja eine ganze Menge - auch wenn du nicht Arabisch sprichst. Neobyrd etwa macht elektronische Instrumentalstücke. Mal sphärisch wie bei Air, mal druckvoll wie bei Digitalism.

Ihm hat allerdings die Protestbewegung vorerst einen Strich durch die Karriere gemacht. Seine aktuelle internationale Tour musste er absagen. Für einen neuen Reisepass musste er nämlich ein Dokument nachreichen, das es beim Ministerium gibt. Blöd nur, dass sich das ausgerechnet am Tahrir-Platz befindet und wegen andauernder Demos vorübergehend geschlossen hatte.