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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

3. 11. 2011 - 19:05

Vlog #14: Ryan and me

Klappe! Die Viennale ist vorbei und ich erinnere mich an den Mann, der Herkules, Herzensbrecher und coolster Stunt-Driver der Filmgeschichte ist. Ryan Gosling rules my world.

Das Licht ist aus, der Zauber ist verflogen. Als ich heute Morgen am Gartenbaukino vorbei radle, muss ich kurz zusammenzucken. Statt den wuselnden Menschenmassen der vergangenen Tage herrscht gähnende Leere. Die Türen sind verschlossen. Dahinter: eine sachte säuselnde Ahnung des zurückliegenden Treibens. Es ist immer wieder ein eigenartiges Gefühl, wenn ein Filmfestival zu Ende geht. Rigoros werden die Fäden gekappt: an einem Tag steckt der Kopf noch in der Terminplanung, schlingen sich die Augen um diverse Filme, am nächsten tut dann jeder, als wär nichts gewesen. Das ephemere, geisterhafte Wesen solcher Veranstaltungen macht sie wertvoll, aber auch schmerzhaft und frustrierend: die Arbeit von vielen Monaten kulminiert in wenigen Wochen und ist ein paar Tage später schon wieder vergessen.

Drive

constantin film

SOLD OUT!

Jetzt hat jeder die Schnauze voll von der Viennale. Ich vernehme ein kollektives Aufatmen in meinem Freundeskreis. Darüber, dass das Leben wieder Alltag sein darf. Darüber, dass man sich nicht mehr in Nachtvorstellungen schleppen und den nächsten Tag in der Arbeit schlaftrunken zubringen muss. Schnell werden die persönlichen Höhepunkte ausgetauscht, die sich jeweils erstaunlich ähnlich sind. Die Stille nach dem Planeten-Crash aus Melancholia, Michael Shannons aktiv-aggressiver Ausbruch in Take Shelter, natürlich Ryan Goslings Skorpion-Jacke aus Drive.

Facing Private Ryan

Und wenn man der diesjährigen Viennale ein Gesicht geben müsste, dann wäre es wohl weder das des Strichmännchens der offiziellen Grafik noch das von – sorry! – Harry Belafonte, sondern das des faszinierendsten und vielseitigsten Schauspielers, den das US-Kino derzeit zu bieten hat. Gemeint ist natürlich der Goslinger, in den ich als schmächtiger, mit Hornbrille verunstalteter 17-Jähriger verliebt gewesen bin, den ich mir immer an meine Seite gewünscht habe, wenn mich die Bergbauernbullys in ihren Lodenjankern aufgrund meiner (damals sehr schicken) Dreistreifen-Umhängetasche angestänkert haben. Den Namen Ryan Gosling habe ich nie wahrgenommen, für mich war der shirtless boy einfach immer Hercules, also Young Hercules, um genau zu sein.

Autogrammkarte

http://www.freewebs.com/ultimateryangosling/articles.htm

AWWWWWWWWWWW!

Im Olymp meiner Sehnsuchtsfantasien hat er neben dem Darsteller der „Tarzan“-Fernsehserie und River Phoenix einen Ehrenplatz. Insofern war ich ziemlich perplex, als ich ihn einige Jahre später in Barbet Schroeders unterschätztem, aber ingesamt dann doch nur durchschnittlichen Serienkillerthriller Murder by Numbers an der Seite von Michael Pitt wieder entdeckt habe. Was habe ich mich damals um Sinn und Verstand fantasiert, wie ich die beiden jungen Männer im Fall des Falles wohl davon abhalten könnte, mich abzumurksen. Andererseits, wenn sie schon Sandra Bullock zerschneiden wollen, was hätte ich dann wohl für Chancen? So wirklich auf meinem Radar aufgetaucht ist Ryan Gosling dann erst 2006, und zwar im großartigen Sozialdrama Half Nelson. Darin spielt der merklich älter und reifer gewordene Schauspieler einen drogensüchtigen Lehrer, der versucht, seinen aus sozialen Brennpunkten kommenden Schülern, Perspektiven aufzuzeigen. Was für eine bewegende, aber vollkommen unsentimentale Darstellung des damaligen Mittzwanzigers! Ich war hin und weg.

Herzschuss x 3

Junger Mann

http://www.totalfilm.com/features/the-evolution-of-ryan-gosling/stay-2004

Und jetzt also der Dreifachschlag ins österreichische Kinoherz. Einmal in der sympathischen RomCom „Crazy, Stupid, Love“. Und dann natürlich die beiden diesjährigen Viennale-Filme. Nicholas Winding Refns brachial-poetischer, somnambul choreografierter Neonfieberactionfilm „Drive“. Und George Clooneys jüngster Regiefilm The Ides of March, der das, wie es immer so schön heißt, „größte österreichische Filmfestival“ zum Abschluss geführt hat. Na, ein bisschen glorioser hätte es dann doch sein dürfen. Nicht falsch verstehen: ich hab nix gegen das eine oder andere mit Stars verzierte Politdrama, das gar nicht erst so tut, als würde es mir etwas Neues erzählen, sondern klassisch und vorhersehbar Eleganz beweist. Klar, so ein George Clooney, der geht immer auf der großen Leinwand. Allein das Timbre seiner sonoren Stimme bringt die Stühle zum Vibrieren. Oder geht’s nur mir so?

Außerdem ist er ganz klar die Idealbesetzung für diesen wohlwollenden demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der eigentlich für all die richtigen Dinge steht, aber dann doch viele falsche Dinge tut. Wie zum Beispiel seine Praktikantin schwängern. Da wäre er ja nicht der erste Politiker, den so etwas zu Fall bringt. Aber bis es soweit ist, wird man in „The Ides of March“ von jeder Menge kluger Sequenzen unterhalten. Allein der Opener mit einem demagogisch brillant auftretenden Clooney, der seine Rede so schwingt, dass ich eigentlich sofort aufspringen und einen Wahlzettel in die Pappschachtel für die 3D-Brillen werfen möchte. Oder auch der Moment, an dem der Goslinger als Junior-Kampagnenmanager herausfindet, dass er von der (demokratischen) Konkurrenz (famos personifiziert vom im Alter immer rattenähnlicher werdenden Paul Giamatti) demontiert worden ist. Nicht zu vergessen natürlich Philip Seymour Hoffman als famos pragmatischer, abgeklärter Senior Kampagnenmanager.

Junger Mann

Viennale/Tobis Film

Ich bin irritiert vom Clooney-Wahlkampfposter. Wer noch?

Drive me home!

Rein darstellerisch also ein reinstes Freudenbuffet, dieser Film. Allerdings bin ich mittlerweile überzeugt, dass Hollywood keine guten Drehbuchautoren mehr hat. „The Ides of March“ hat Clooney mit „Männer, die auf Ziegen starren“-Regisseur Grant Heslov (GOSSIP-ALARM! Von Heslov munkeln nicht wenige, er wäre Clooneys Boyfriend) verfasst: aber bei allem Bemühen um altweltliche Eleganz und ein unaufgeregtes Demontieren der hintergründigen Macht- und Ohnmachtmechanismen auf dem politischen Parkett, mag sich bei mir dann doch keine Begeisterung dafür einstellen. Das Ganze ist mir einfach ein bisschen zu „smartass“-kompatibel, ein wenig zu „preaching to the converted“. Jeder Mensch, der 8 Euro für einen mäßig spektakulär daher kommendes Politdrama löhnt, wird vermutlich schon geahnt haben, dass selbst Gutmenschen-Politiker ein Stückerl ihrer Seele verkaufen müssen, um an die Macht zu kommen oder dort zu bleiben. Allerdings: es muss auch nicht jeder Film die Welt neu erfinden oder beeinflussen. Ein wenig mehr „Drive“ hätte „The Ides of March“ dann aber doch nicht geschadet.

Jetzt ist also Schluss mit täglichem Schlange Stehen und all dem ungesunden Essen. Mit den gefährlichen, aufregenden, ermüdenden und langweiligen Erkundungstouren hinein in die Grauzonen des Kinouniversums. Ab heute bin ich wieder fest im Tagesgeschäft verankert und blicke schon mit Furcht auf dräuende Ereignisse wie deutsche Weihnachtskomödien. Aber auch wenn die Viennale wie alle anderen Filmfestivals (und kulturelle Veranstaltungen insgesamt) so schnell geht, wie sie gekommen ist, bleiben Gefühle übrig.

Im Stillen gehe ich auf eine Reise durch die Nacht: während ich auf meinem Rad sitze und über das nasse Herbstlaub düse, schwirren lieblich-abgründige Electro-Klangteppiche durch meinen Kopf. Ich denke an Gosling, dann plötzlich an Abel Ferrara. Ich fürchte mich vor Wolkentürmen am Firmament, habe kurzzeitig Angst den Verstand zu verlieren. Letzten Endes verkrieche ich mich auf meiner Couch und beobachte den „Young Hercules“ dabei, wie er plump animierte Computermonster vermöbelt. Die Augen waren damals schon dieselben. Und sie leuchten wie das Kino selbst. Durch das Dunkel. Durch mich hindurch. Das Licht geht an.