Erstellt am: 31. 10. 2011 - 14:46 Uhr
Vlog #11: Höhloween
Für mich ist heute ein Festtag. Ich weiß schon, es ist fürchterlich unschick, sich für Halloween zu begeistern. Weil das ja wieder so ein konsumistisches Happening ist, ersonnen von schlauen Geschäftsleuten, um armen, willensschwachen Menschen das hart verdiente Geld aus den Taschen zu ziehen und eigentlich nix mehr mit Samhain, einem der vier großen keltischen Feste, auf dem es basiert, zu tun hat. Als ich heute Vormittag die Hasnerstraße in Ottakring entlang geradelt bin, über das ganze Laub hinweg, musste ich John Carpenters legendäres Halloween-Thema vor mich hin summen. Was mir sofort skeptische Blicke von zwei älteren Frauen einbrachte, die gerade ihre Fleischwaren in den Gemeindebau schleppten.
Garfunkelnde Zeiten
Das erinnert mich dann auch gleich noch an eine amüsante und erhellende Sequenz aus Nicolas Roegs zwar gelegentlich überkonstruiertem, aber immer belebendem Liebes-Labyrinth Bad Timing, das gestern im Rahmen des Jeremy Thomas-Tributes auf der Viennale zu sehen war. Art Garfunkel of Simon & Garfunkel-Fame schiebt seine hohe Stirn, umwachsen von täuschend jugendlichem Lockenhaar durch das analoge Graugrau des Spätsiebziger- bis Frühachtziger-Wiens (konnte leider nicht heraus finden, wann genau die Dreharbeiten stattgefunden haben). Verloren hockt er in Straßenbahnen, deren Außenflächen mit Werbung für österreichischen Fruchtsirup verziert sind: ich ertappe mich dabei, überrascht zu sein, dass es so etwas damals schon gegeben hat. Ebenso wie gewaltige Werbetafeln an Altbauhäuserwänden. Aber egal: Roeg geht es ohnehin um das Fin de Siécle-Wien, um Schiele, Klimt und Freud.
http://feliciaatkinson.wordpress.com/2010/04/09/bad-timing/
Seine Hauptfiguren, Garfunkel eben und die bestürzend schöne Theresa Russell, hocken dann auch in einem Wiener Kaffeehaus: Sie lachen, schmusen und schreien hinüber zu einem anderen Tisch, vollgepackt mit Bürgerschreckjugendlichen. Dazwischen hocken zwei alte Damen und echauffieren sich über so viel Frivolität. Die Zeit steht eben nicht still, schon gar nicht bei Roeg. Wer seinen großartigen Psychothriller Don’t Look Now gesehen hat, erinnert sich bestimmt an die legendäre Sex-Sequenz, die von Flash-Forwards zerrissen wird und damit ganz unorthodox in der Erzählung vorgreift.
Schon nach wenigen Minuten merkt man, wie wörtlich der Titel „Bad Timing“ gemeint ist: die Koexistenz verschiedener Zeitebenen im selben Raum, an Wien beispielhaft gemacht, spiegelt er in seinen Schnittfolgen wieder. Roeg lässt eine Bewegung in der Gegenwart beginnen, in der Vergangenheit aufblühen und in der Zukunft enden. Oder umgekehrt. Dass bei all dem der somnambule Fluss seiner ungreifbaren Liebesgeschichte nicht zum Stehen kommt, beweist ihn als einen der edelsten und überhaupt lässigsten europäischen Regisseure, die es jemals geben wird.
Herzogs Höhlengleichnis
Genau wie Werner Herzog. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich darüber nachdenke, welche Menschen die Filme dieses wichtigsten Bayern der Geschichte nicht schätzen könnten? Geht das überhaupt? Kann man jemanden abweisen, der einem zeigt, wie sich ein einzelner Pinguin von seiner Kolonie löst und gen Suizid gleitet. Jemanden, der Zwergwüchsige eine Anarchie anzetteln und ausführen lässt? Jemanden, der sich zwar davor fürchtet mit Klaus Kinski durch den peruanischen Dschungel zu wandern, es aber dann trotzdem tut? Ich mag es mir gar nicht vorstellen. Herzogs vorletzter Film jedenfalls heißt Die Höhle der vergessenen Träume und war der gestrige Überraschungsfilm der Viennale.
Ausgangspunkt des Projekts war eine Ausnahmegenehmigung der französischen Regierung, die es ihm als erstem Filmemacher und einem der wenigen Zivilisten überhaupt erlaubt hat, für einige Tage in die südfranzösische Chauvet-Höhle zu klettern. Darin konserviert sind die frühesten jemals entdeckten, von Menschen angefertigten Höhlenmalereien und Höhlenzeichnungen. Experten datieren ihr Alter auf jenseits der 30.000 Jahre. Der Zugang ist auch deshalb so beschränkt, da die menschlichen Ausdünstungen dazu führen könnten, dass sich die Kunstwerke darin schneller zersetzen, als die Wissenschaftler sie erforschen können.
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Wahnsinn mit Höhlensystem
Den Gang in die Höhle umweht also die Aura der Einmaligkeit. Ich halte den Atem an. Das Kino hält den Atem an. Wir sehen Bilder an den Wänden, vorwiegend von Tieren, tiefer drinnen allerdings auch von Menschen. Es sind, und da hat Herzogs esoterisch dröhnende Erzählerstimme durchaus Recht, Botschaften aus einer anderen Welt, die sich der Vorstellungskraft entziehen. Die Bären und Antilopen und anderen Darstellungen erzählen Geschichten über die Jahrtausende hinweg. Die prähistorischen Menschen haben sie nicht selten auch so gezeichnet, dass die natürlichen Ein- und Ausbuchtungen der Wände einen dreidimensionalen Effekt beim Betrachter erzeugen. Was liegt für Herzog also näher, als diese Kunstwerke mit einer 3D-Kamera zu filmen? Es drückt mich in meinen Sessel, ich bin überwältigt von der Kreatürlichkeit der Kamera, die sich wie ein atmendes Wesen immer tiefer in das Höhlensystem vorarbeitet.
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Wie ein Kind fühle ich mich. Der Alltag, der ist ausgesperrt. Die Wunderwirkkraft des Kinoraums potenziert sich hier noch, weil Herzog über die Höhle natürlich auch vom Kino, von seinem Kino erzählt. Hinter jeder Ecke, hinter jedem Stalaktit und Stalagmit erwarte ich Unfassbares. Ich fürchte mich, weil ich das Gefühl habe, dass hier etwas lange Versperrtes geöffnet worden ist. Weil man das Urkräftige am ganzen Körper spürt. Ein bisschen so, als würde man ins Innere der Erde blicken, dort hinein, wo die Fantasie und die Gefühle entfesselt sind und nackt vor einem liegen. Wo alles möglich ist, alles passieren kann. „Die Höhle der vergessenen Träume“ macht einen aber auch bekannt mit außergewöhnlichen Wissenschaftlern, wie jenem experimentellen Archäologen, der Werner Herzog ein Ständchen auf seiner Knochenflöte spielt. Oder jenem ehemaligen Vorsitzenden der französischen Parfüm-Hersteller, der versucht, vermittels seines Geruchssinns neue Höhlensysteme aufzuspüren und schnüffelnd durch die südfranzösischen Wälder zieht. Oder einem Albino-Alligator.
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Wer's noch nicht mitbekommen hat: Direkt nach der Viennale, also ab 4. November, läuft "Die Höhle der vergessenen Träume" im Gartenbaukino.
Kürbis me again!
Einmal muss ich noch auf Halloween zu sprechen kommen. Vermutlich mag ich das Fest auch deshalb so, da ich es eigentlich abgesetzt vom Kommerz feiere. Kürbis schnitzen, Süßigkeiten essen, Horrorfilme schauen. Begonnen habe ich damit vor vielen Jahren, als man in Österreich noch größere Chancen hatte, einen Granatapfel zu kaufen als einen Halloween-tauglichen Kürbis. Einfach weil ich mir jedes Jahr am 31. Oktober John Carpenters Halloween angesehen habe und auch all die Sachen machen wollte, die Jamie Lee im Film macht. Außer sich im Wandschrank verstecken und alle ihre Freunde ermordet auffinden natürlich. Als ich letzte Woche in London war, habe ich mir wie so oft gewünscht, ich würde in dieser Stadt wohnen. Beinahe jedes Kino, an dem ich vorbei gegangen bin, hat mit besonderen Vorstellungen zu Halloween geworben. „Ghostbusters“, den originalen „Fright Night“ und natürlich Carpenters Klassiker, den ich zu meinem großen Herzschmerz immer noch nie im Kino sehen durfte. Von all dem kann ich in Wien nur träumen.
Aber immerhin: die Viennale zeigt heute um 23:00 Uhr in der Urania noch einmal Jeff Nichols erschütterndes, außergewöhnliches Psychodrama Take Shelter. Und das Beste: es gibt noch Karten! Allen anderen empfehle ich diese exzentrische, aber durchaus stimmige Liste der fünfzig erschreckendsten Filmmomente aller Zeiten. Und jetzt schreib ich’s doch noch: Happy Halloween!