Erstellt am: 30. 10. 2011 - 20:21 Uhr
Vlog #10: Bist du das, Keira?
Ein bisschen erinnert mich David Cronenberg immer an ein Wiesel. Oder ein anderes Nagetier. Vielleicht auch an eine Cartoonfigur. So einen wahnsinnigen Wissenschaftler, dem die Haare zu Berge stehen, während er mit manischem Blick zwei Flüssigkeiten ineinander leert und auf das unweigerliche Blubbern und Dampfen wartet. Understatement beherrscht der kanadische Regisseur wie wenige andere im Filmgeschäft: Da steht er gestern Abend vor vielen hundert Leuten, ist de facto Stargast des Abends (auch wenn die Gala eigentlich für seinen Produzenten Jeremy Thomas ausgerichtet wurde), präsentiert sein lange gediehenes, mit einigen der besten Schauspielerinnen der Gegenwart besetztes Werk A Dangerous Method, und wirkt dabei, als wäre er gerade nach einem gemütlichen Herbstspaziergang ins Gartenbaukino eingebogen.
Robert Newald
Erwartungshaltungen interessieren ihn ohnehin nicht. Immer wieder schlägt sein Werk Haken, die glühende Cronenberg-Verehrer zu Cronenberg-Hassern werden lassen. Mit jedem Film fange er von vorn an, die vorangegangenen findet er irrelevant, erzählt er im Interview mit dem Kollegen von orf.at. Dafür wirkt im Besonderen sein Frühwerk erstaunlich zusammenhängend: bis hinauf zum internationalen Durchbruchsfilm Die Fliege (1986) zirkulieren seine Geschichten, Bilder und Figuren um den Monster-Topos der Mutation von Körpern und Seelen. „Body Horror“ nennen das die interpretationsfreudigen Theoretiker und lassen dutzende Bücher daraus wachsen. Die orthodoxen Cronenbergianer schlüpfen lieber in ein schwarzes, abgetragenes „Long live the New Flesh!“(ein Slogan aus Videodrome)-Kapuzenleiberl und stellen darüber ihre Kenntnis seines Werks sowie das Bekenntnis zu dessen Philosophien zur Schau.
Crash & Flesh
http://apeteciameumblog.blogspot.com
Solche T-Shirts vermisse ich gestern Abend. Auch ich habe versagt, habe mich in letzter Minute dann doch dagegen entschieden, mein Scanners-Shirt anzuziehen. Durch die unfreie Sitzplatzwahl und meinen zugewiesenen Platz im hinteren Drittel sitze ich eingepfercht zwischen Frauen in Opernballroben und grau melierten Männern mit diesen Halstüchern, die nur grau melierte Männer tragen. Ich frage mich, ob die jetzt wegen Freud da sind, oder doch insgeheim eine Liebe zu Crash pflegen, Cronenbergs unantastbaren Verkehrsunfallsfetischisten-Erotikfilm, oder einfach gekommen sind, weil sie eingeladen wurden.
Mein Verdacht erhärtet sich, nachdem zehn Minuten nach Filmbeginn und den ersten überstandenen Knightley-Hysterien, die ersten unruhig auf ihren Stühlen herum zu wetzen beginnen. Keine Zweifel habe ich mehr, nachdem ich gegen zwei Uhr nachts auf meinem Heimweg eine meiner Sitznachbarinnen beobachte, wie sie ihren eleganten Leib die Stufen zur Passage hinunterschiebt. Was würden Freud und Jung in mir lesen, nachdem sie meine Zeilen gelesen haben? Bin ich letztlich doch nur ein bornierter Filmkritiker, der Menschen oberflächlich beurteilt? Vermutlich. Will ich nur solche im Saal haben, die meinen Zugang zum Film und zum Leben teilen? Vermutlich. Träume ich davon, während der Vorstellung meinen Nachbarn auszugreifen, im Schutz der Finsternis, im Segensreich der Anonymität? Kommt drauf an, wer neben mir sitzt. Träume ich davon, von Freud verführt zu werden? Jetzt schon! Damn you, Cronenberg!
Noblesse
Von Viggo Mortensen (Freud) würde ich mich jederzeit analysieren lassen. Gerne auch dreizehn Stunden lang. Immer wenn er, die Zigarre im Mundwinkel vor sich hertragend, diesen Freud interpretiert, als strammen Familienvater, der seine psychoanalytische Revolution in Geld verwandeln muss, um seine Frau und seine sechs Kinder ernähren zu können, bin ich außer mir. Es wundert mich überhaupt nicht, dass Cronenberg in Mortensen seinen Idealschauspieler gefunden hat. Beide Männer umweht eine Noblesse, weil sie so viel können, ihr Talent aber immer dienstbar machen: Cronenberg setzt es für seine Geschichten ein, Mortensen für seinen Regisseur. Jeder Blick, jede Geste, jedes Wort, jeder Tonfall sitzt bei ihm. Nichts ist zu viel, nichts ist zu wenig. Einfach perfekt.
UPI
Jeunesse
In Michael Fassbender hat er einen großartigen Mit- oder Gegenspieler. Sein Carl Gustav Jung, ein junger Schweizer Psychoanalytiker, der Freuds radikale Ideen umsetzen und weiter entwickeln will, ist statthaft und viril, lebendig und leidenschaftlich; Ehemann einer außergewöhnlich wohlhabenden Frau und damit die perfekte Antipode zum angesehenen, aber immer wieder von den wirtschaftlichen Realitäten in die Knie gezwungenen Freud, der in seinem kleinen Büro in der Berggasse seine orthodoxen Ansichten kultiviert. Beide Männer werden innerhalb der 90 Minuten von „A Dangerous Method“ mutieren.
UPI
Madness
Auslöser ihrer Verwandlung ist Sabina Spielrein, eine russischstämmige Jüdin, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Hysteriepatientin in jene Klinik eingeliefert wird, in der Jung arbeitet. Und es ist davon auszugehen, dass es exakt dieser Fokus von Christopher Hamptons Theatertext „The Talking Cure“ auf Spielrein war, der Cronenberg daran interessiert hat. Von ihrem ersten Auftritt an, als sie wie in einem Horrorfilm der Hammer Studios in einer zweispännigen Kutsche in die Klinik gebracht wird, bis zu ihren letzten Momenten im Film, in denen sie den erschütterten Jung verabschiedet, kreist „A Dangerous Method“ um die junge Frau. Weil sie der Fehler im System ist, der die Herrenfreundschaft zwischen Jung und Freud kollabieren lässt. Weil sie den beiden eine Ehrlichkeit abnötigt, zu der weder der eine noch der andere fähig gewesen wäre. Und weil sie letztendlich selbst zur angesehenen Psychoanalytikerin wird.
UPI
Cronenberg setzt Knightley spektakulär ein: die außergewöhnliche Physis und Mimik der britischen Schauspielerin entgleisen gerade im ersten Drittel während ihrer hysterischen Attacken kontinuierlich: das Kinn schnellt nach vorne, das Gesicht verkrampft sich, die Wörter bleiben ihr im Hals stecken. Sie ist unmissverständlich ein Therapiesubjekt, eine Patientin, die im Verlauf des Films zur Geliebten von Jung und schließlich zu derjenigen Person wird, die ihr Leben meistern kann, während ihr ehemaliger Arzt in sich zusammengefallen von einer Bank auf den See starrt.
Und eigentlich wollte ich jetzt noch eine Brücke schlagen zwischen Croneys Film und Nicolas Roegs irrwitzigem Liebes-Labyrinth "Bad Timing", aber geht sich nimmer aus. Morgen: Bankenkrisenthrillerdramen und Werner Herzogs Höhlenrausch (jop, das war der Überraschungsfilm!).