Erstellt am: 25. 10. 2011 - 11:09 Uhr
Vlog#5 Verletzte Herzen
Er freue sich, dass die 11-Uhr-Vorstellung so gut besucht ist, meint "You hurt my feelings"-Regisseur Steve Collins und, dass man in den USA niemanden in eine Vormittagsvorstellung bringen würde. Vormittagskino ist etwas Herrliches, weil der Kopf noch so frisch ist und weil man einen Film völlig losgelöst von der ihm oft aufgebrummten Aufgabe "Abendunterhaltung" zu sein, betrachtet.
Lethargie in Connecticut
John, ein feister Mittdreißiger mit traurigen Augen, stapft durch den Schnee, ein Baby im Arm, einen Hund an der Leine. "You're hurting my feelings", sagt Lily, die vor ihm geht. Immer und immer wieder. Lily ist drei Jahre alt und wahrscheinlich die Eloquenteste in diesem Film, in dem nicht viel gesprochen wird. John, der mit Bart wie Zach Galifianakis und ohne Bart wie Rainn Wilson auschaut, arbeitet als Nanny für eine Mutter von zwei kleinen Mädchen. Liebevoll, aber lethargisch. Mit der Arbeit als Nanny will John seiner Ex-Freundin Courtney beweisen, dass er verantwortungsvoll sein kann. Deren neuer Freund Macon wiederum, freundet sich mit John an und freut sich, endlich einen best buddy zu haben.
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Kindergebrabbel und Erwachsenenschweigen
Mitte-30-Jährige, die ein wenig verloren durchs Leben driften und am Alltag scheitern, bei denen sich stille Verzweiflung mit kleinen Glücksmomenten abwechseln, gibt es im amerikanischen Film wie Sand am Meer. Collins' Film sticht heraus, weil er statt dem üblichen Laberschwall Schweigen entgegensetzt oder uns nur Dialogfetzen anbietet. Die Szenen seines Films steuern nie auf eine Pointe oder einen Höhepunkt zu. Wir stürzen in Szenen rein und wieder raus. Manchmal lässt Collins ein dramatisches Geschehnis auch aus und präsentiert uns nur die Folgen.
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Während die Jahreszeiten sich ändern und die Kamera blühende Magnolienbäume bzw. zugefrorene Seen einfängt, ändert sich für John wenig bis nichts. So wenig, wie er die Kontrolle über die beiden kleinen Mädchen hat, so wenig hat er die Kontrolle über sein Leben. Collins packt in die Melancholie seines Films Humor mittels wiederkehrenden Motiven und sich wiederholenden Szenen. "You hurt my feelings" ist ein Film, für den man Geduld braucht und der das Kino benötigt, um zu erblühen. Wieder eine Erinnerung an die Macht des Raums Kino, in dem soviel mehr möglich ist, als im heimischen Patschenkino.
Sofa, W-Lan, Youtube
Passivität regiert auch den Alltag der Mittdreißiger mit Zweifeln namens Sophie und Jason in Miranda Julys zweitem Film "The Future". Man knotzt am Sofa, jeder mit Laptop am Schoß. Eigentlich hätte man gern ein Glas Wasser, aber aufstehen will keiner.
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July und Hamish Linklater spielen ein Paar, das sich ähnelt. Innerlich und äußerlich. Zwei dunkle Lockenköpfe, die beschlossen haben, eine Katze aufzunehmen. In einem Monat kann sie aus dem Tierheim abgeholt werden und plötzlich kommt sowas wie eine Minipanik auf. Wenn die Katze noch fünf Jahre lebt, sind Sophie und Jason 40, was quasi 50 ist und danach ist ohnehin alles vorbei. Man sollte die Zeit bis zur Katzenakunft, die ja gleichsam dem Tod oder zumindest dem endgültigen Erwachsenwerden gleichkommt, also nutzen. Jobs werden gekündigt, Internet abbestellt, nur, was war das noch einmal, was man vom Leben wollte? Sophie will jeden Tag ein eigenes Tanzvideo auf Youtube stellen (eine Praxis, die an Miranda Julys Kunstprojekte erinnert), Jason will als Umweltaktivist mit Klemmbrett das Klima retten. Oder zumindest Bäume verlaufen. Beide Projekte sind ohne Erfolg.
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Quirky
July treibt quirky, eine Eigenschaft, ohne die die indie angehauchte Komödie, nicht mehr auskommt, auf die Spitze. Ihre Figur der Sophie ist der Welt noch um einiges entrückter als Jason, selbst ihre Bewegungen sind von einem anderen Stern. Ein bisschen in die eigene Originalität verliebt ist "The Future" schon, eine sprechende Katze, die als Erzählstimme fungiert (und klingt wie das Oskarchen aus "Der Blechtrommel"), ein Tanz in einem verkehrt angezogenen T-Shirt, ein sprechender Mond und angehaltene Zeit.
Miranda Julys surrealistische Momente sind irritierend und verspielt zugleich, sie entfachen kindlichen Staunen und ernsthafte Reflektion. Aber "The Future" wird nicht wirklich greifbar, weil die Figuren in einem Limbo zwischen Realität und ironischer Stilisierung und Überhöhung angesiedelt sind. Ich schätze diesen eigentümlichen Mittelweg, doch "The Future" lässt mich erstaunlich kalt. Vielleicht ist mein momentanes Maß an Filmen über Menschen deren kalkulierter Hipsterwunsch nach Anderssein stets in ähnlichen Ausformungen von Schrulligkeiten und Skurrilitäten von der Leinwand schreit, gerade voll. Ich hab grad genug von Bobo-Wunden, die maunzend und mit großen Augen geleckt werden.
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Ein Verschwinden in Wien
Zwischen den beiden Filmen über ewig mit sich, dem Alltag, dem Leben hadernde Mitte-30-Jährige, sehe ich "Gone", eine Dokumentation von John und Gretchen Morning, die sich dem Verschwinden des 34jährigen Aeryn Gillern widmet. Er sei nackt im Okober 2007 nach einem Streit aus der Kaiserbründlsauna im ersten Wiener Gemeindebezirk gelaufen und ward nie mehr gesehen.
Aeryns Mutter Kathy, eine ehemalige Polizistin, reist aus den USA nach Wien, begleitet von den Filmemachern. Für die Polizei ist der Fall klar, Aeryn ist schwul, also auch HIV positiv und generell instabil und er habe spontanen Selbstmord begangen. Diese Therorie wird auch noch vertreten, wenn die Polizei im Besitz eines aktuellen, negativen Aidstests von Aeryn ist. Kathy ist traumatisiert, wütend und hartnäckig. Mit all ihren Nachforschungen stößt sie bei der Wiener Polizei auf Ignoranz, Homophobie und Schulterzucken als Reaktion auf alle ihre Fragen. Eine Frau der amerikanischen Botschaft in Wien bietet an für ihren Sohn zu beten. Weil er homosexuell ist, nicht, weil er verschwunden ist.
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Die Suche nach Aeryn
Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der Polizei finden sich an allen Ecken und Enden: Ein Fischer, der zunächst noch meinte, er habe im Donaukanal einen glatzköpfigen Mann treiben sehen, revidiert die Aussage. Er habe nur einen Schrei gehört. Später dann, heißt es, habe er nur ein Platschen gehört. Ein Anruf aus der Kaiserbründlsauna bei der Polizei sei nie eingegangen, erfährt sie später. Ebenso den Hundesuchtrupp und den Tauchereinsatz am Donaukanal hat es nie gegeben. Zeugen, die sich auf einen Falter-Artikel hin melden, werden nicht mehr vernommen, genauso wie die Polizei niemals mit den Leuten gesprochen hat, die mit Aeryn an dem Abend in der Sauna waren. Ein Außenblick auf Österreich, bei dem einem schlecht wird.
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Die Details sind haarsträubend, Gillerans Geschichten, wie sie behandelt wurde, beschämend. Sie und Filmproduzent Jim Butterworth sind nach dem Screening im Saal und eine riesigie Welle der Empathie rollt durch das Gartenbaukino. Fassungslosigkeit beherrscht die Fragen des Pulikums, ein junger Mann, der meint, er musste daran danken, wie seine Mutter sich um ihn sorgt, möchte Kathy umarmen. Sie willigt ein. "I like hugs".
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Am Samstag, den 29. Oktober jährt sich Aeryns Verschwinden zum vierten Mal und Kathy wird gegenüber der Kaiserbründl-Sauna stehen. Mit einer Kerze und einem Foto von Aeryn. Beim Screening in der Urania wurde gefragt, ob sie emöchte, dass man sich ihr anschließt. "Gone" ist der erste Film, der diesjährigen Viennale, der ins echte Leben überschwappt.
Und sonst so?
Heute "Martha Macy May Marlene" und "Roger Corman: Exploits of a Hollywood Rebel" und die beißende Frage, warum sich Leute in ellenlange Schlangen stellen, um einen Film zu sehen, der am Freitag in den Kinos anläuft, so gesehen bei "Melancholia" gestern, als ich aus "The Future" rausstolpere. Ist es die Ungeduld? Das Festival-Erlebnis? Wobei, was ist das dann genau, wenn nicht einmal Gäste zum Film da sind? Der Trailer und die Gratis-Drageekeksi? Ich mein das gar nicht deppert, ich würds nur gern besser verstehen. Außerdem: Aua und mein Beileid, Occupy Wall Street, you just got mtv'd.