Erstellt am: 24. 10. 2011 - 17:05 Uhr
Vlog#4: Artstream und Mainhouse
L. teilt mir per SMS mit, dass sie auswandern will, weil sie "Gone" gesehen hat. S. freut sich, weil Alex Ross Perry, der Regisseur von "The Color Wheel" in dem Museum vorbeigeschaut hat, wo sie arbeitet und M. berichtet von Freundinnen, die nach "Drive" nur mehr Ryan Goslings Süßheit bestaunen konnten. Willkommen in der Viennale-Blase, die zeigt, wie groß der Filmhunger dieser Stadt sein kann. Doch dieser Filmhunger ist wie eine Fressattacke während der Viennale und macht - aufs Jahr gerechnet - nicht alle Kinobetreiber satt: Letztes Jahr wurde auf der Viennale über die Lage der Programmkinos diskutiert, im Herbst folgte die schöne Nacht der Programmkinos mit z. B. einem berstend vollen Gartenbaukino beim weltbesten "I'm still here".
They Are Going to Kill Us Productions
Dienstag, 25.10 findet um 18 Uhr am Badeschiff eine Diskussion zur Lage der Programmkinos statt
Für die Umstellung auf digitale Projektion wurden vor ein paar Tagen vom Kulturministerium Fördermittel von einer Million Euro bereitgestellt, doch diese Umstellung ist für kleinere Kinos wie die Breitenseer Lichtspiele trotzdem nicht leistbar. Bis Februar steht zwar das Programm noch, doch die Zukunft des "Nostalgiekinos" ist mehr als ungewiss. Mit der Viennale hätte es sogar Verhandlungen gegeben, doch die brauche keinen weiteren Standort, so die Betreiberin der Breitenseer Lichtspiele Anna Nitsch-Fitz in einem Kurier-Interview.
1979 gab es 65 Programmkinos in Wien, momentan sind es 27. Letztes Jahr erschien ein Buch, das sich den Wiener Programmkinos widmet. Juliane Batthyany präsentiert in "Kinos in Wien. Vom Alltag und Überleben der kleineren Filmtheater" Fotos und Anekdoten von Wiener Kino-Institutionen. Beim Begleittext, der nicht müde wird, die leere Hülse wiederzugeben, hier würde man Filme abseits des Mainstreams zu sehen bekommen, seufze ich. So wird das nix, liebe Programmkinos und liebe ihr, die ihr euch Sorgen um das Programmkino macht.
vienna.unlike.net
E und U
Diese seltsame E- und U-Kulturschere, die es immer noch gibt, ist rostig, anachronistisch und sollte entsorgt werden. Im Publikumskopf ist sie - so glaube ich - kaum mehr vorhanden und auch die Tatsache, welche Filme in welchen Kinos angeboten werden, sprengt diese Grenzen. Nur ein Beispiel: Ich hab "Before the Devil knows you're dead" im bezaubernden Bellariakino gesehen, "Schmetterling und Taucherglocke" in der UCI Kinowelt Millennium City und "The Dark Knight" im Gartenbaukino. Das Publikum, das ich kenne, interessiert sich nicht für Begriffe wie Blockbuster, Mainstream, Arthaus und auf keinen Fall will man ein Cineast sein, ein Wort, dem ein Dünkel innewohnt und dem das wild klopfende Herz fehlt, das den meisten Filmwahnsinnigen innewohnt. Cineast klingt so, als wär Godard das Maß aller Dinge und am liebsten sitzt man zuhause und unterstreicht mit Bleistift Passagen in Siegfried-Kracauer-Büchern.
Die Hässlichkeit des Ortes
Was für mich immer den Ausschlag gibt in ein Programmkino zu gehen, ist die Bedeutsamkeit des Ortes, hat aber nichts mit Distinktionsgewinn zu tun, es ist viel simpler: Ein Multiplexx ist für mich ein Ort von maximaler Hässlichkeit, das hat aber rein gar nichts mit die Filmen zu tun, die dort gezeigt werden. Ich fahr ja aber auch nicht zum Kaffeetrinken in eine Flughafen Lounge oder picknicke in Parkgaragen.
Und sogar ein kleiner Nachhaltigkeitsgedanke hat sich in den letzten Jahren eingeschlichen oder wie es mir L. mal auf die Nase gebunden hat, wer, wie ich den Raubkopie-DVD-Verkäufern, die manchmal durch Lokale strawanzen, entgegenhält, dass sie das Kino töten, wer selbst mit guten Freunden erbitterte Streits anfängt, weil sie Filme, die ohnehin im Kino laufen lieber zuhause am Laptop anschauen, der kann auch genug Herzblut in Wallung bringen, um Kinoketten-Besuche die Ausnahme sei zu lassen. In die Breitenseer Lichtspiele hab ich es trotzdem seit Ewigkeiten nicht mehr geschafft. Da läuft heute Abend übrigens die Arthaus-Perle "300" von Zach Snyder.
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Die Retrospektive ruft!
Der Ruf der Viennale aber, der hat was von der Schlange Kaa und füllt auch den Bauch des Gartenbaukinos gut, wenn kein besonders guter Film auf dem Programm steht. "Carmen Jones" von Otto Preminger läuft im Rahmen des Harry Belafonte Tributes, ein Tribut, das den Entertainer würdigt und vor allem seinen politischen Aktivismus betont, das schlägt auch schön eine Brücke zu Hans Hurchs Eröffnungsrede. Nein, so weit vorne zu sitzen stört sie nicht, sagt die Frau hinter mir zu ihrem Mann, das sei jetzt ja eh nichts zum Fürchten. Da hat sie Recht, zum Fürchten ist nur die Entstehungsgeschichte. 1954 beschließt Preminger das Broadway-Stück "Carmen Jones" zu verfilmen und nur mit schwarzen Schauspielern zu besetzen und stößt auf Ablehnung.
Große Studios haben kein Interesse an solch einem Vorhaben, in seiner Autobiografie schreibt Preminger man sagte ihm, das Publikum sein an solchen Geschichten nicht interessiert. Will Preminger sich mit Harry Belafonte zu Besprechungen treffen, wird es schwierig, ein Weißer und ein Schwarzer zusammen in einem Restaurant, das ist nicht überall möglich. Belafonte hat zu dem Zeitpunkt gerade mal einen Film gedreht, singt in Nachtclubs, die er meist durch den Kücheneingang betreten muss.
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Ewig lockt das Weib
Preminger ist kein Kämpfer für die Menschenrechte oder Aktivist gegen die segregation laws, er findet die Rassentrennung schlicht und einfach bigott und deppert. "Carmen Jones" variiert die Geschichte der Oper von George Bizet in den Süden der USA während des zweiten Weltkriegs, die Musik ist dieselbe, die Texte wurden adaptiert und modernisiert. Südstaatenakzent trifft auf Opernpathos, das bringt einige bizarre Momente in diesen ohnehin etwas bizarren Film. Belafonte und Dotothy Dandridge singen nicht selbst, machen lippensynchrone Bewegungen, während wir Levern Hutchinson und Mailyn Horne hören.
Der gute Lackel Joe (Belafonte) wird verführt und korrumpiert von der verführerischen Carmen, die mit Puffärmeln durch die Kantine der Soldaten tanzt und singt You go for me and I'm taboo. But if you're hard to get, I'll go for you. Auffallend ist die sexuelle Aggressivität der Carmen. In einem Film der 50er Jahre öffnen nicht oft Frauen die Gürtel der Männer oder strecken ihre langen, unbestrumpfhosten Beine einem Mann entgegen, auf dass er ihnen den Zehennagellack trockenpustet. Aber Preminger legte sich gern an mit den Zensurbehörden Hollywoods
Trotz Premingers guten Absichten und dem ersten großen Hollywood-Film, in dem nur schwarze Schauspieler zu sehen waren, produziert der Film Stereotypen, wie z. B. die der zerstörerischen, morallosen (schwarzen) Frau, der niemand wiederstehen kann. James Baldwin kritisierte in "Notes of a Native Son", dass "Carmen Jones" überhaupt nicht versucht, die Lage der African Americans zu thematisieren und kehrt auch hervor, dass die Hauptrollen hellhäutiger als die anderen sind.
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Was bleibt ist ein flirrendes Stück Technicolor, dessen Relevanz in Sachen Entstehungsgeschichte für die Filmgeschichte wahrscheinlich interessanter ist, als der Film selbst. Grauenhafterweise ist es ja sehr oft immer noch so, dass Filmrollen, die an schwarze Schauspieler gehen, eine bestimmte, an Herkunft bzw. Hautfarbe gekoppelte Funktion erfüllen.
Und sonst so?
Heute schon "You hurt my feelings" und "Gone" gesehen, später geht's zu "The Future" und "Melancholia". Albert Farkas hat mir einen Kuli geschenkt, der eine kleine Lampe hat, ein echter Filmkritikerkuli. Ab jetzt notiere ich im dunklen Filmsaal, like a boss.