Erstellt am: 21. 10. 2011 - 11:28 Uhr
Vlog#1 Beschmutzte Nester
- Viennale '11 auf FM4
Drei Männer, drei Reden, drei Filme werden angekündigt bei der gestrigen Eröffnung der Viennale im Gartenbaukino, es hätte eine Trias aus Politik, Humor und Moral sein sollen, doch der für den Humor zuständige Eric Pleskow sei krankheitsbedingt verhindert, Andreas Mailath-Pokorny verzichtet auf seine Rede und verweist auf seine Website, dort könne man sie nachlesen. Seiner und Hurchs anschließender Rede gemein ist der Aufruf, "Verantwortung für das Gemeinwesen" zu übernehmen.
Alexi Pelekanos
Aus dem "Wutbürger" werden hier "Mutbüger". In Hurchs erstem Halbsatz kommt "Schüssel" vor und der Saal brüllt vor Lachen. Ich weiss nicht mehr, welcher österreichische Kabarettist das mal gesagt hat, dass es schwierig sei mit politischem Kabarett, weil das Publikum schon tränenlachend am Boden liegt, wenn man nur Haider sagt.
Auch Hurch reagiert leicht irritiert, dass das nun noch gar nicht lustig gewesen sei. Weil die aktuellen"Verhältnisse nach einem Nestroy verlangen", der stets beißende Kommentare zu aktuellen Geschehnissen in Couplets seiner Stücke einbaute, springt Hurch in die Presche und hat ein Gedicht, nay, Couplet dabei. Ein wackeliges Reimwerk auf Lobbying, Seilschaften, auf den Sumpf, der sich wie ein Blob durch die heimische Innenpolitik zieht. Hurch reimt ballert auf Rauch-Kallat, Jagdbehutung auf Unschuldsvermutung und der Saal brüllt erneut. Diesmal mit Grund.
Tänzelnder Wilms
Der Humor, der wegen Pleskow ja eingangs schon abgesagt wurde, kommt auch noch in wunderbar einnehmender Form in der Gestalt des Schauspielers Andre Wilms auf die Bühne, der im Eröffnungsfilm "Le Havre" von Aki Kaurismäki die Hauptrolle spielt. "Sie haben so eine große Nase, dass sie unter der Dusche rauchen können", hat Kaurismäki beim ersten Treffen zu ihm gesagt, "und traurige Augen, das ist gut".
Wilms trägt Lederjacke, weißes Hemd und dünne schwarze Krawatte und lächelt tänzelnd und tänzelt lächelnd auf die Bühne des Gartenbaukinos. Die Herzen fliegen ihm zu. Den Beruf des Schauspielers sieht er bodenständig, wie Kaurismäki. "Geh in die Einstellung rein, versuch, nichts kaputt zu machen und um Himmelswillen rede nicht zuviel", sind Regieanweisungen, mit denen Wilms was anzufangen weiß.
Bevor aber "Le Havre" die Riesenleinwand durchflutet, gibts noch den aktuellen Trailer für die Viennale 2011, gestaltet von David Lynch und "Schakale und Araber" von Jean-Marie Straub. Umgekehrt wär' mir das fast lieber gewesen, meint C. später, ein Straub-Trailer und ein Lynch-Elfminüter.
Straubs Rufezeichen
Die Viennale und das Werk von Straub bzw. von Straub und Danièle Huillet, die 2006 verstorben ist, haben eine innige Beziehung. Für Straub lässt sich das sonst stets sachlich auftretende Filmfestival sogar zu einem Rufezeichen hinreißen, vielleicht ist das aber auch nur ein Zitat, denn ein Teil des aus vier Filmen bestehenden Special Program Straub! heißt auch "Lothringen!".
Formal streng und sich den üblichen Formen des Erzählkinos verweigernd, bringt "Schakale und Araber" - basierend auf einer Erzählung Kafkas - einen Hauch Irritation in den Eröffnungsabend. Man spürt die Angst des Publikums, das jetzt nicht verstanden zu haben, die Frau, die am Parkettboden sitzt und ein Schakal ist, eine Schere und ein unsichtbarer Herr aus dem Norden, schwarze Leinwandflächen und ungewöhnlicher Sprachduktus.
Und doch schlägt der Film eine kleine Brücke zu "Le Havre", denn auch darin wird später Kafka vorgelesen werden.
viennale
Außer Tim Burtons Haaren und Wes Anderson gibt es ja nicht viele Regisseure, die so wirken, als wären sie dem eigenen Werkkatalog entsprungen. Ich hab das auf diesen Seiten schon mal geschrieben und damals auf Aki Kaurismäki vergessen. Der Finne schleppt das Wortkarge, Kautzige und Ruppige seiner Figuren ins echte Leben rein. Melancholie und Augenring-tiefe Bitterkeit durchflutet sein Werk und seine Interviews.
Als Vertreter des europäischen Autorenkinos ist er ein Liebling der Programmkinos, einer, auf den man sich vor allem in den 1980er und 1990er Jahren einigen konnte, die dunkle Lakonie umarmend. Wer noch nie in Finnland war, füttert seine Vorstellung von dem Land mit Kaurismäkis Bildern.
Und was sind das für Bilder. Zwar erzählt Kaurismäki gern, zuhause nur mehr Schwarz-Weiß-Filme zu schauen, für seine Filme aber gibt es Farben, die die Sattheit und Übertreibung von "Technicolor" aufgesaugt haben, die nach 1960er-Melodram ausschauen. Ich konnte mit dem Regisseur Kaurismäki nie viel anfangen, wie er aber ausleuchten lässt und farbgestaltet, das hat mich fasziniert.
viennale
Der "politische" Film
Kaurismäkis "Le Havre" ist der Eröffnungsfilm der 49. Viennale, nach den Eröffnungsfilmen der letzten Jahre - "La Pivelinna" und "Von Göttern und Menschen" ist das eine wenig riskante, aber passende Wahl, bildet er doch auch irgendwie eine Klammer zum Abschlussfilm "The Ides of March", in dem ebenso Politik ein wenig als MacGuffin verwendet wird, um ein Märchen zu erzählen, bzw. einen Thriller. Man weiß ja: bei allen Filmen, die sich in Begleittexten allzu auffällig mit dem Wort "politisch" krönen, muss man aufpassen.
Der herrliche US-Filmkritiker Jonathan Rosenbaum hat vor zwei Jahren im Filmmuseum bei der Einführung zu Joe Dantes "Matinee" den schönen Satz in den Saal entlassen, dass jeder Film, der sich politisch nennt, es nicht sei. Und, dass es natürlich weitaus interessanter sei, das Politische in jenen Filmen zu suchen, die sich nicht als solche bezeichnen.
Der Polit-Thriller marschiert gern mit der Aufmachung daher, dass es jetzt endlich mal an der Zeit ist, auf den Tisch zu hauen und zu sagen, was Sache it. Begnügt sich meist aber damit, Politiker als Marionetten in einem Sumpf aus Lüge und Korruption darzustellen und dabei immer noch große Aufrüttel-Mine zum ewig gleichen Spiel zu machen. Funktioniert als Thriller, der politische Aussagenährwert liegt aber bei Null.
Kaurismäki wählt also eine weit interessantere, weil weniger naheliegende Kombinationsmöglichkeit und strickt die politische Tatsache der Flüchlinge, die tagtäglich an den Stränden Europas landen, in ein Märchen ein und schlägt noch dazu einen Bogen zu seinem eigenen Oeuvre, durch die Figur des Marcel Marx, die man aus "Das Leben der Bohème" kennt.
Kaurismäki will nicht aufrütteln, das lässt schon allein sein Temperament nicht zu, aber "Le Havre" ist das Kanalisieren seiner Wut über die EU-Flüchtlingspolitik und das Erschaffen eines Sozialmärchens, das wahrscheinlich auch Frank Capra gefallen hatte. Denn Kaurismäki hat sich vom Optimismus streifen lassen.
viennale
Dem Jungen steht das Wasser bis zum Hals und zwar nicht nur sprichwörtlich. Als Schuhputzer Marcel (Andre Wilms) sein Jausen-Ei salzt, steht da ein Junge im Wasser, einer der Flüchtlinge, die tags zuvor in einem Schiffscontainer entdeckt wurden und dem die Boulevardpresse unterstellt, er sei bewaffnet bis an die Zähne und hätte Kontakte zu Al-Kaida. Marcel nimmt Idrissa bei sich auf. Die Festung Europa hat weiche Stellen, eine Utopie humanistischer Ideale wird erbaut. Ohne Sentimentalitäten oder Tränendrüsendrückereien wird die Nachbarschaftshilfe zu einem Netz, das Idrissa auffängt. Die kleinen Leute und nur sie interessieren und füllen Kaurismäkis Filme über Solidarität.
le havre
Kaurismäkis reduzierter Stil und seine Verweigerung, die Welt so aussehen zu lassen, wie sie aussieht, entreißen "Le Havre" der allzu starrköpfigen Verortung im Hier und Jetzt und machen ihn zu einer Parabel oder gar einem Märchen. Eine Liebe zu schönen, alten Dingen, ohne in Retrofetischismus zu verfallen, zieht sich durch den Film, in dem nur böse Denunzianten (Jean Pierre Leaud) Handys besitzen. Die Moderne findet sich hier nur zitiert wieder: "La Moderne" heißt die Bar, in der sich Marcel ein Gläschen Wein genehmigt und in der wunderbare Dialoge über Jakobsmuscheln und die Bretagne und ihre schönen Enten stattfinden. Mit Farben wie bei Sirk und mit Trenchcoat-Männern wie bei Jean-Pierre Melville formuliert Kaurismäki einen Apell an die Zivilgesellschaft.
viennale
"Le Havre" startet am 3. November 2011 in den österreichischen Kinos
Ich weiß auch nicht warum, aber je pessimistischer ich gegenüber der Menschheit bin, desto optimistischer scheinen meine Filme zu werden. Ich bin ohne Hoffnung, und für diese Krankheit gibt es keine Medizin. Der einzelne Mensch kann sich bessern, aber das System wird sich nie zum Guten verändern, so Kaurismäki. Und wieder kann man einen Bogen innerhalb des Abends schlagen, denn, wie hat schon Hans Hurch in seiner Eröffnungsrede Karl Kraus zitiert: "Es ist das Nest, das uns beschmutzt." Kaurismäki fordert nun auf, den Putzlappen in die Hand zu nehmen.
Und heute?
"The Artist", "La Guerre est declaree" und "Drive" stehen auf meinem Programm, was bringt die Viennale für euch heute auf die Leinwand?