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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

19. 10. 2011 - 17:56

Dem Seppeltum ein Schnippchen schlagen

Seit heuer erscheint die Zeitschrift MUH - Untertitel: Bayerische Aspekte. Sie will zeigen, dass Bayern mehr ist als Laptop und Lederhose.

Dem Covermodel von MUH #3 hängt noch ein bissl Gras aus dem Maul, und auch sonst blickt sie recht zufrieden drein. Jede Ausgabe des MUH ziert eine andere, gezeichnete Kuh, ganz oben in der Mitte, nur damit klar ist: mit MUH ist schon das Geräusch gemeint, das die Kuh von sich gibt. Das Spiel mit den gebrochenen Klischees beherrscht die MUH ganz gut.

Weils halt so vui Sachan gibt

"MUH möchte ein Magazin sein für bayerisches Wesen und Unwesen, bayerische Kulturen und Unkulturen, Gemütlichkeit und Ungemütlichkeiten." So steht es geschrieben auf muh.by

Cover der Bayerischen Zeitschrift MUH, Ausgabe 3

muh

Seit heuer gibt es die Zeitschrift MUH, viermal im Jahr soll sie erscheinen, die Herbstausgabe ist seit September in den Läden. "Bayerische Aspekte" lautet der Untertitel, und die Schlagworte auf dem Titelblatt zeigen gleich, wo's lang geht: »Fred Fesl« steht da, und »Oktoberfest«, soweit ist alles klar, aber auch »Kamele«, »Flüchtlinge in Bayern« und »Irgendwie und Sowieso«, dazu ein Bild aus der legendären TV-Serie mit Otti Fischer, Elmar Wepper und Hannelore Elsner.

"Weil's hoid so vui Sachan gibt", meint Josef Winkler, Chefredakteur der MUH. Winkler, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen österreichischen Schriftsteller (aber auch nicht mit den ÖVP und Grünen-Politikern), ist Redakteur beim Musikexpress und bloggt auf taz.de. An ihn sind LaBrassBanda-Sänger Stefan Dettl und die heutige MUH-Geschäftsführerin Nicole Kling heran getreten, kurz nachdem die "Schnapsidee" in einem Londoner Pub geboren war: die Schnapsidee, ein Heft nur zu bayerischen Themen zu machen, aber mit globalem Denken dahinter, ein Heft, das sich jenseits aller Mia san mia-Kraftmeierei und jenseits aller Laptop- und Lederhosenklischees unverkrampft mit eben den Bayerischen Aspekten des Lebens auseinandersetzt. Und mit den Klischees natürlich auch.

Fotos von bayrischen Hüten in der Zeitschrift MUH

MUH

Die Mission merkt man dem Heft an, die Unverkrampftheit kommt noch ein bissl verkrampft daher, aber das sind wohl Kinderkrankheiten. MUH #3 bringt also einen Bericht über die Schikanen gegen Asylwerber in Bayern, über einen Bauern, der statt Kühen Kamele züchtet, über den Politkünstler Wolfram P. Kastner, der sich nimmermüde mit antidemokratischen gesellschaftlichen Strömungen auseinandersetzt, und ein Interview zum seltsamen Verlauf der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980. Dazu Kleinteiliges: Rainer Schaller von Slut schreibt über Bier, es gibt Portraits von Bands und Labels aus Bayern, und das, was dem Klischeebayern am nächsten kommt, wird auch verhandelt: Dialektausdrücke, Bergsteigen, Trachten tragen, die Stadt und das Dorf.

Artikel in der Zeitschrift MUH zum Thema Asyl

MUH

"Das gibt's ja nicht, dass das noch niemand anderem eingefallen ist", haben sich Winkler, Dettl und Kling gedacht, als die Idee konkret wurde. Und natürlich haben sie auch den Bayern-Trend im Hinterkopf gehabt, der seit ein paar Jahren dafür sorgt, dass Musiker wie LaBrassBanda oder der Keller Steff und Filme wie Wer früher stirbt ist länger tot ungeahnten Erfolg haben. Und dass parallel dazu und in deren Windschatten eine Menge passiert ist, das den Eindruck erweckt, die Subkultur in Bayern entdecke die folkloristischen Werkzeuge der Heimat neu, die bis dato fast ausschließlich von den Karl Moiks und Horst Seehofers dieser Welt für sich beansprucht wurden.

Ein Prosit der Ungemütlichkeit

So beschäftigt sich das MUH natürlich auch leidenschaftlich mit den Ausnahmen von dieser Regel: das zweiteilige Interview mit dem niederbayerischen Blödelbarden Fredl Fesl ist ein Highlight und zeigt, dass sich Dissidenz und Regionalität auch in den 70er Jahren nicht ausgeschlossen haben - dass man aber immer auch in Gefahr ist, von Klischee und Tümelei vereinnahmt zu werden.

Artikel über fredl Fesl in der Zeitschrift MUH

MUH

Ob das der MUH auch passieren kann? "Auf die blödesten Ideen sind wir erst gar nicht gekommen", glaubt Josef Winkler, "aber prinzipiell wollen wir das natürlich aktiv vermeiden, dass wir in so etwas hinein rutschen." Schließlich läuft man ja immer Gefahr, plötzlich als aufgehübschter Teil und modernes Feigenblatt des Seppeltums dazustehen oder von heimattümelnden PolitikerInnen vereinnahmt zu werden. "Unter anderem deswegen haben wir auch so lange gebraucht, bis uns klar war, was wir in so ein Heft alles hinein mischen wollen."

Reclaim Bavaria

Zum Beispiel die Titelgeschichte des MUH #3, zur legendären Fernsehserie Irgendwie und sowieso, die davon erzählt, wie Popkultur und Alltag im Bayern Ende der Sechziger Jahre aufeinander trafen - eine Art bayerisches Kottan ermittelt vielleicht. Und zum Beispiel eben die Ahnherren der bajuwarischen Dissidenz.

Collage mit den Köpfen der MUH HerausgeberInnen

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Josef Winkler (l.) Nicole Kling (o.), Stefan Dettl (r.)

Deswegen nehmen die Erfinder der MUH es auch als Kompliment, wenn ältere Leser mutmaßen, ihr Name habe etwas zu tun mit der verblichenen Münchner Kleinkunstkneipe MUH (Musikalisches UnterHolz), in den Siebziger und Achtziger Jahren das Biotop für Menschen wie Fredl Fesl, Hans Söllner und die Biermösl Blosn.

Den dreien ist erspart geblieben, was dem inzwischen zum Hype verkommenen Bayern-Trend gerade passiert: dass die Investoren kommen und eben das vermarkten, was am besten daran vermarktbar ist: die Klischees und die äußere Form, die Lederhose und die schönen Bilder mit Bergen und Kühen. Auch dagegen schreibt MUH an, mit Lust und Leidenschaft.