Erstellt am: 20. 9. 2011 - 19:10 Uhr
"Ich schreibe, seit ich schreiben kann"
FM4 Wortlaut 2011
Die besten drei:
- Isabella Straub: "Herr Jesus Springt"
- Rosemarie Eichinger: "Zirkus mit Zeh"
- Karl W. Flender: "Fast wie Florida"
Der Schnitt ist nicht schlecht – es ist der erste Literaturwettbewerb, an dem Karl teilgenommen hat und dann gleich der dritte Platz. Dabei wollte Karl schon als Kind Schriftsteller werden. Bereits mit sechs Jahren hat er die Geschichte "Delphi, der kleine Delphin" geschrieben. "Von da geht mein ganzes Schreiben aus," lacht Karl. "Delphi, der kleine Delphin, der unter Wasser lebt und von einer Krake gejagt wird und ihr mit einem Schleimspray die Augen zu sprüht und sich dann in seine Wohnung retten kann. Auch schon ziemlich brutal damals."
Marc Oliver Rühe
Kollege Alex Wagner trifft Karl Flender in Berlin – beim Grab von Berthold Brecht. Kein Zufall, über Brecht schreibt Karl seine Diplomarbeit. Brecht imponiert ihm, ist sein Vorbild. Und wie Brecht hat auch er Medizin studiert und wieder abgebrochen.
Seit 2007 studiert Karl Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, arbeitet als Journalist und mischt in der Kulturszene mit – nicht zuletzt als Sänger in der Grungeband "Damenfitness". Derzeit absolviert Karl ein Auslandssemster in Istanbul und möchte dort etwas Längeres in Angriff nehmen - einen Roman.
Man darf gespannt sein, was das wird, Karl steht jedenfalls auf Pathos. "Die Liebe in Zeiten der Cholera", "Hundert Jahre Einsamkeit" gefallen ihm "Einfach so richtig auf die Pauke schlagen – und es gut machen."
Und wie würde Karl Flender gern von anderen wahrgenommen werden? "Möglichst laut, bunt, nicht 'Prenzlauerberg-trendy' sondern eher Grunge, Alternative-Rock mäßig".
radio fm4
Fast wie Florida
Soundtrack zum Text:
Bush - Bonedriven,
Bon Iver - Holocene
Fleet Foxes - White Winter Hymnal
Die Idee zu seiner Geschichte "Fast wie Florida" hatte Karl während eines Silvesterurlaubs an der Nordsee. "Da war ein ganz netter Stadtfriedhof, bei dem sich die Gräber um die Kirche schlängelten, wie eine Schnecke aufgerollt. Und gegenüber war so ein Backsteinhaus. Da hab ich gesehen, die gucken genau aus der Küche auf den Friedhof. Was macht das mit den Leuten? Das ist interessant, sowas mal zu gucken. Das ist das Faszinosum, aus dem der Text dann entstanden ist":
Luftschacht Verlag
Ein Junge, der mit seiner todkranken Mutter und der verrückten Oma beim Friedhof wohnt und ihnen beim zwischenmenschlichen Verwesen zusieht.
Wir wohnen in einem Backsteinhaus mit Blick auf den Friedhof. Ich stehe auf der Mauer, die unser Grundstück umgibt, und meine Zehen krallen sich um einen hervorstehenden Stein. Ich verlagere mein Gewicht nach vorne, meine Fersen verlieren den Kontakt zur warmen und rauen Oberfläche. Ich gehe etwas in die Knie und spanne die Muskeln am Unterschenkel an, wie ein Artist bereit zum Absprung. Meine Haare kleben in Strähnen über meinen Augen, ich schiebe sie hinter die Ohren, fokussiere mein Ziel. Ich springe rüber auf die Friedhofsmauer, lande, tariere mein Gleichgewicht mit beiden Armen aus. Dann balanciere ich ein paar Meter auf dem Waschbeton entlang und drehe mich zurück zu unserem Haus.
Ich warte, bis mir Großmutter aus ihrer Luke in der Dachschräge oder Mutter aus dem vergitterten Fenster der Zahnarztpraxis zusehen, dann klettere ich weiter auf die Familiengruft. Die Briefträgerin geht mit ihrem Fahrrad vorbei, sie glotzt auf meine Zehennägel, ungeschnitten, dreckig, na und.
(Anfang von "Fast wie Florida")
Aus der Jurydiskussion:
Die Jury hat lange über den Text diskutiert. Wer ist das Kind? Was macht die Mutter? Warum leben die am Friedhof? Was bedeutet der Schluss? Dennoch:
"Die Figuren sind schön skizziert - mit knappen Worten."
"Das ist ein sehr körpernaher Text, der sehr kalkuliert mit den Mitteln des Ekels umgeht."
"Sprachlich ist der Text sehr gut."
"Da ist kein Satz zuviel, handwerklich ist der sehr gut."
"Diese ganzen Motive: Krankheit, der Tod, der Friedhof sind etwas dick reingepackt. Trotzdem wird auf knappem Raum sehr viel erzählt."
"Manche Bilder sind sehr stark."
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Karl Flender live
fm4/brauner
Karl Flender liest "Fast wie Florida" im Rahmen der Buchpräsentation im phil (Gumpendorferstraße 10-12, 1060 Wien). Diese zehn AutorInnen haben bei Wortlaut 2011 gewonnen!
Im phil werden auch die beiden anderen Erstplatzierten ihre Geschichte lesen und John Megill legt feinste Musik auf. Der Eintritt ist frei!
The Winner is:
Wer die Plätze 2 und 1 gewonnen hat, erfahrt ihr morgen und übermorgen auf FM4. In jeweils eine Stunde Homebase Spezial stellen wir die Erstplatzierten vor:
Platz 2 am Mittwoch, 21. September
Platz 1 am Donnerstag, 22. September
Die oder der Erstplatzierte wird auch am Freitag, 23. September live in Connected zu Gast sein.