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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

21. 9. 2011 - 19:15

Ich muss nicht schreiben, ich will es.

Rosemarie Eichinger hat mit ihrer Geschichte "Zirkus mit Zeh" bei FM4 Wortlaut den zweiten Platz gewonnen. Ein Portrait.

Rosemarie Eichinger sitzt am Spielplatz des Uni-Campus im Alten AKH in Wien. Noch vor wenigen Jahren ist sie mit ihrer Tochter regelmäßig hierher gekommen. Zwischen Recherchen für ihre Dissertation in Ur- und Frühgeschichte, Sandkiste spielen und Schaukeln hat sie ihre ersten Texte geschrieben. Spät für eine Autorin. Anfang 30 war sie da schon. Dafür umso mutiger. Denn nicht viel später hat sie ihre Werke bereits bei Literaturwettbewerben eingereicht, ihren Brotjob als Historikerin an den Nagel gehängt, und sich erstmal dem Schreiben gewidmet.

Rosemarie Eichinger
geboren 1970, Studium der Geschichte und Ur- und Frühgeschichte, eine Tochter. 2003 Promotion, Arbeitsstipendien für verschiedene literarische Projekte, Gewinnerin beim Schreibzeit-Jugendbuch-Wettbewerb, Mira-Lobe-Stipendium 2009, Veröffentlichung eines historischen Jugendromans in der GORILLA-Taschenbuchreihe sowie von Kurzgeschichten für Kinder und Jugendliche (Literaturzeitschrift Rampe 5/08, Buchklub GORILLA Bd. 38, Bd. 40 und YEP. Das Buch 2.).

Portrait Rosemarie Eichinger am Spielplatz mit Playmobilfiguren 2

Barbara Köppel

Es hat sich so ergeben

Seither hat die heute 41-Jährige mehrere Stipendien erhalten, und nicht nur einige Kurzgeschichten, sondern sogar einen Jugendroman veröffentlicht. Wenn Rosemarie einen entsprechenden Plan gemacht hätte, wäre er voll aufgegangen. Zur Schriftstellerei hat sie sich allerdings nie aktiv entschlossen, sie ist ihr eher passiert. "Es hat sich so ergeben", sagt sie auch in ihrem ersten Interview überhaupt immer wieder: Dass ihr Freund zufällig eine Ausschreibung entdeckt, die Motivation einer Bekannten, der erste Erfolg beim "Schreibzeit-Jugendbuch-Wettbewerb".

FM4 Wortlaut 2011
Die besten drei:

  1. Isabella Straub: "Herr Jesus Springt"
  2. Rosemarie Eichinger: "Zirkus mit Zeh"
  3. Karl W. Flender: "Fast wie Florida"

Neben der Aussicht auf eine Aneinanderreihung prekärer Werkverträge als freie Geisteswissenschaftlerin, ist ihr das Schreiben doch irgendwann als plausible berufliche Alternative erschienen. Zumindest ausprobieren wollte sie es. Doch zwei Jobs plus Tochter wäre für sie nicht in Frage gekommen. So hätte sie sich nie an den Schreibtisch gesetzt. "Ich bin eben keine Getriebene", sagt sie, "ich kann nicht wie andere nach einem Arbeitstag in der Nacht schreiben. Ich muss nicht schreiben, ich will es. Und ich habe mir gedacht, ich schreibe gern und ich werde davon leben, weil es einfach funktionieren wird."

Pragmatische Selbstsicherheit

Diese pragmatische Selbstsicherheit beim Schreiben hat Rosemarie beibehalten. Sie geht da sehr praktisch vor und gibt das unumwunden zu. Wenn bei Wortlaut das Thema "Bauernhof" gewesen wäre, hätte sie den abgetrennten Zeh eben nicht im Löwenfutter versteckt, sondern im Heu für die Kühe.

Der Titel zu ihrer Geschichte ist ihr zudem in einem völlig leidenschaftslosen Moment eingefallen: abends beim Fernsehen. Die Navy-CIS-Folge damals hieß "Ein Bein in West Virginia", zu "Zirkus mit Zeh" war es von dort nicht mehr weit. Zu so einem schönen Wortspiel musste sie einfach eine passende Geschichte finden.

Playmobil-Manege

Barbara Köppel

Soundtrack zum Text

  • Azure Ray - Displaced
  • Hefner - To Hide A Little Thought
  • Malcolm Middleton - Devil And The Angel

"Zirkus mit Zeh"

Vorhang auf. Emil schaut aus dem Fenster. Grau. Morgennebel. Es hat geregnet. Mist. Im Pyjama läuft er die Stufen hinunter, durchs Wohnzimmer, raus auf die Terrasse. Er steht noch da. Mehr oder weniger unversehrt. Ein wenig nass. Sein Playmobilzirkus. Emil inspiziert das Spielzeug. Rot-weiß-gestreiftes Zelt, Snackverkäufer, Clownsband, Elefant, Löwen samt Dompteur. Der Einradartist ist vom Hochseil gestürzt. Wahrscheinlich der Wind. Sonst ist alles wie er es gestern verlassen hat. Außer vielleicht ...
Emil nähert sich seinem Zirkus. Löwen, Löwenbändiger, Futterschütte mit Futter drin. Emil zögert. Mit Futter drin. Was soll das sein? Er geht noch näher heran. Haut, Fleisch, Knochen. Ein Finger? Er weicht ein wenig zurück. Schaut noch einmal genauer. Nein. Kein Finger. In der Futterschütte für die Löwen liegt kein Finger, sondern ein Zeh. Ein mittlerer, wenn er sich nicht täuscht.

(Anfang von "Zirkus mit Zeh")

Katapult für Irritationen

Buchcover des Wortlaut Buchs "Zirkus"

Luftschacht Verlag

Wortlaut 2011. Zirkus. Der FM4 Literaturwettbewerb. Die besten Texte. Luftschachtverlag 2011. Mit Texten von diesen zehn AutorInnen erhältlich ab 25.9.2011 im FM4-Shop und im Handel.

"Zirkus mit Zeh" erzählt, wie der achtjährige Emil in seinem Playmobilzirkus einen abgetrennten Zeh entdeckt. Nach familieninterner Beratung wird schließlich die Nachbarschaft zur Besichtigung eingeladen.

Der verwaiste Körperteil funktioniert im Text wie ein Katapult. Direkt aus der Plastik-Manege feuert er kleine Irritationen ab, und lässt in der Kleinfamilienidylle aus bunten Gartenblumen und selbstgebackenem Kuchen gehörige Unstimmigkeiten, Rivalitäten und Neid explodieren.

So exakt und wirkungsvoll Rosemarie diese Bomben im Literarischen einschlagen lässt, so sehr ist ihr das im echten Leben zuwider. Sie ist keine, die ihre Umgebung gerne aus dem Konzept bringt, wahrscheinlich weil ihr persönlich Veränderungen oder Überraschungen auch nicht angenehm sind. "Wenn die Wäsche anders hängt, als ich es gewöhnt bin, hänge ich sie um.", erzählt sie und tippt sich an die Stirn.

Kinder als literarische Figuren

Vielleicht macht Rosemarie auch deshalb lieber Kinder und Jugendliche zu den Helden in ihren Geschichten. Sie sind flexibler als Erwachsene, direkter, und stellen einfach Fragen ohne auf irgendwelche Konventionen zu achten. Auch in "Zirkus mit Zeh" ist es Emil, der als einziger adäquat auf den skurrilen Fund reagiert, die Echtheit des Zehs überprüft und schließlich eine Lösung vorschlägt. Genau dieser analytische Zugang macht die kleinen und jüngeren Menschen, wie die Autorin sagt, als literarische Figuren so ergiebig.

Wortlaut 11 - Der FM4 Literaturwettbewerb

mit freundlicher Unterstützung von
DER STANDARD

Der Standard

Bevor sie geht, bittet Rosemarie noch, nicht zuviel von ihren neuen Projekten zu verraten. Ein zweiter Jugendroman liegt schon fertig beim Verlag, vier weitere hat sie daheim. Seit Jahren wartet dort auch ein "Erwachsenenroman" auf Überarbeitung. Er ist das erste, was Rosemarie überhaupt geschrieben hat. "Aber vielleicht ist das einfach mein Schubladending.", sagt sie und zuckt mit den Schultern. Wenn's weiter nichts ist... Sonst funktioniert doch wirklich alles wunderbar.

Rosemarie Eichinger liest

buchcover Wortlautbuch mit zirkuszelt

fm4/brauner

Rosemarie Eichinger liest "Zirkus mit Zeh" im Rahmen der Buchpräsentation im phil (Gumpendorferstraße 10-12, 1060 Wien). Diese zehn AutorInnen haben bei Wortlaut 2011 gewonnen!

Im phil werden auch die beiden anderen Erstplatzierten ihre Geschichte lesen und John Megill legt feinste Musik auf. Der Eintritt ist frei!

The Winner is:

Wer den ersten Platz von Wortlaut gewonnen hat, erfahrt ihr morgen auf FM4. In einer Stunde Homebase Spezial stellen wir die oder den Erstplatzierten vor. Sie oder er wird auch am Freitag, 23. September live in Connected zu Gast sein.