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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

3. 9. 2011 - 08:21

Ars Electronica 2011

Verspieltes, Verkopftes, Kinder und ein Höhenrausch: Die Ars Electronica präsentiert sich jung und in Hochform.

Für meine nicht enden wollende Neugierde auf "die Ars" gibt es viele Gründe. Die Kunst, die Musik, die Menschen, die schiere Größe dieses vielleicht wichtigsten Festivals seiner Art. Dann ist da noch meine frühe Liebe zu Science-Fiction-Literatur, die mich als zehnjähriges Kind zu den Romanen von Herbert W. Franke führte, jenem großartigen Wiener Schriftsteller, der auch einer der geistigen Väter des Festivals ist. Urknalltheorie und Reisen ins Weltall, nutzlose Kunstprojekte, bizarre Installationen, Verspieltes und Musikalisches - und mehr Kinder als je zuvor. Letzteres ist einerseits aufgrund des "Create Your World"-Zukunftsfestivals so, einer Erweiterung der bisherigen U19-Kategorie. Andererseits bemühen sich auch Aussteller - wie z.B. das großartige Happy Lab - mehr denn je, kinderfreundlich zu sein.

Christoph Weiss

Ein zehn Jahre alter Festivalbesucher bei seinen ersten Lötversuchen

Einer der Betreiber des Happy Lab ist es auch, der mir plötzlich einen Bleistift vors Gesicht hält. Drähte baumeln von dem Schreibwerkzeug. "Greif auf die Spitze und auf diese Stelle hier". Ich tue wie befohlen. Der Bleistift gibt quietschende Tierlaute von sich. "Das ist ein Drawio", meint Andreas, einer der Betreiber des Workshops hier. "Du kanst dir einen selbst basteln." Die Kinder sind begeistert und hantieren schon bald mit den Lötkolben, als hätten sie nie etwas anderes getan.

Christoph Weiss

In den Untergeschoßen des Ars Electronica Center warten dutzende Sites darauf, entdeckt und erlebt zu werden. Die "Pixel City", eine Stadt aus legoähnlichen Bausteinen, überträgt den "kollektiven Individualismus" in eine raumgreifende Installation. 189.355 Kunststoffblöcke - so viele EinwohnerInnen hat Linz - formen Stadtstrukturen, die aus dem Boden herauswachsen. Jeder Besucher ist aufgefordert, die "Pixel City" selbst zu verändern und zu erweitern.

Zwei Stockwerke darüber, in der "Deep Space Lounge", werden Methoden und Erkenntnisse der Kosmologie und Urknallforschung auf Dutzenden Schautafeln und in riesigen Installationen veranschaulicht. Und die Bild- oder Filmpräsentationen über die Entstehung des Weltalls ("Cosmic Origin"), zwei Stunden lang und mit grandiosem Bildmaterial (zum Teil in 3D) sind nicht nur voller neuester Erkenntnisse, sondern auch sehr unterhaltsam gemacht. Kunst, wissenschaftliche Ausstellung, Spielplatz und Jahrmarkt - nirgends gelingt die Mischung so gut wie hier.

Christoph Weiss

Roboter-Robbe: Das Tier ist Teil eines Forschungsprojektes zum Zusammenleben von Mensch und Roboter. Auf den unvermeidlichen Streichel- und Liebhab-Reflex der Besucher reagiert sie schon sehr adäquat.

Im Rahmen des U19- und Create Your World Bereichs wiederum stellt der Wiener Games-Entwickler Ovos seine neueste Entwicklung vor: "Ludwig der Roboter" ist eine gelungene Mischung aus Actionadventure und Physik-Lernsoftware. Wer das etwa sechs Stunden lange Abenteuer bestehen wil, lässt sich dabei auf einige Lektionen über erneuerbare Energien ein. Dass die beiden Anspielstationen hier ständig von Kindern besetzt sind, ist ein gutes Zeichen dafür, dass es funktioniert und Spaß macht.

Christoph Weiss

Meine Lieblingsinstallation

Sie ist vom spanischen Künstler Alex Posada und heißt "The Particle". Mehrere mit bunten LEDs bestückte Ringe rotieren mit hoher Geschwindigkeit und erzeugen extrem basslastigen Klang. Die Skulptur strotzt vor Kraft, doch ihre Formen sind so schön wie vergänglich. Sie ist eine Metapher für das Wechselspiel zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Stabilität und Verfall. Ich kann meinen Blick kaum abwenden.

Christoph Weiss

Ich wechsle die Location und besuche das OK (Offenes Kulturhaus). Auf der vorerst vergeblichen Suche nach einem Projekt verschlägt es mich gleich zu Beginn aufs Dach des Gebäudes - auf eine Veranstaltung, die zwar zeitgleich mit der Ars statfindet, aber eigentlich gar nicht dazugehört: Der Höhenrausch 2 sorgt mit einer Springbrunnen-Installatation für noch mehr Spaß bei den Kindern: Wasserfontänen schießen scheinbar zufällig aus geschickt arrangierten Düsen im Boden. Wer sich in das Labyrinth hineinwagt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nass, weil es einfach zu verlockend ist, die eigene Risikobereitschaft zu beweisen.

Christoph Weiss

Nicht unweit davon ein - ebenfalls nasser - optischer Leckerbissen des britisch-deutschen Künstlerteams HeHe (Helen Evans und Heiko Hansen). "Is there a horizon in the deep water?" gehört nun wirklich zur eigentlichen Ars Electronica, genauer gesagt zur Cyberarts Ausstellung. Die Installation zeigt einen Saal, dessen Boden mit Wasser gefüllt ist. In der Mitte steht das Modell einer Öl-Bohrinsel.

Christoph Weiss

Ein Hinweisschild erklärt: Zornig ins Wasser treten sei erlaubt, es könnte aber möglicherweise die Harmonie stören. Trotzdem machen viele Besucher von der Möglichkeit Gebrauch. Auf einer Leinwand wird das Drama der Ölbohrinsel Deep Water Horizon - die größte Ölkatastrophe der Geschichte - nachgespielt.

Christoph Weiss

Heartbeat Picknick und Ether Inductor

Nicht immer ist die Bedeutung einer Installation auf den ersten Blick klar. Sich auf die oft kopflastigen Projekte wirklich einzulassen kostet zwar Zeit, bringt dafür umso größeren Spaß. Das gilt auf jeden Fall für die Installation "Heartbeat Picnic" des japanischen Künstlers Junji Watanabe - jenem Projekt, das ich zuvor in den labyrinthartigen Gängen von Cyberarts und Höhenrausch nicht gefunden hatte.

Christoph Weiss

Die Handtasche enthält Elektronik, an die ein Stethoskop und ein vibrierender Soundwürfel angeschlossen sind. Jeder Besucher kann damit seinen Herzschlag oder - nach gegenseitigem Tausch der Würfel - den Herzschlag des Gegenübers hören und fühlen. Die Besucher werden dazu motiviert, auf den Rhythmus des anderen zu achten und zu versuchen, den eigenen Herzschlag anzupassen.

Christoph Weiss

Junji Watanabe

Zurück im Ars Electronica Center begegne ich einem weiteren japanischen Künstlerteam - mit einem nicht weniger verspielten Projekt. "Ether Inductor" wurde von den beiden aus Tokyo stammenden Gruppen "roomoot" und "Team Mitoh" gebaut. Ihr mit feinen Sensoren ausgestattetes Gerät dient dazu, ein Spiel zu steuern, das nur durch freundliche Berührung zweier Menschen gewonnen werden kann. Streicheln, drücken, umarmen, an den Schultern halten... als es mir der Programmierer Akira Tsukimori demonstriert, bin ich zuerst von der ungewohnten Nähe zu dem japanischen Künstler verblüfft.

Christoph Weiss

Später beobachte ich verschiedenste Besucher beim paarweisen Spielen: Teenager (Mädchen und Junge) verhalten sich deutlich anders als eine Mutter mit ihrem Kind (oder als ich mit Akira Tsukimori). Soziales Experiment oder Forschungsprojekt für eine neue Spielsteuerung? "Beides", sagt Erfinderin Marika Hayashi. Sie findet, dass die Menschen - nicht nur, aber auch in Japan - weniger scheu vor Berührungen sein sollten.

Christoph Weiss

Marika Hayashi

Zum Hingreifen und Spielen lädt auch mirage00 ein. Das audiovisuelle Instrument besteht hauptsächlich aus einem kapazitiven Bildschirm ähnlich dem eines modernen Tablet-Computers. Streicheln, Tippen oder Wischen verändert den fremdartigen Ambient-Sound und erzeugt gleichzeitig eine Visualisierung der Klänge.

Christoph Weiss

Rockin' the mirage00

Beim Betreten des Raums "Comfort #10" scheint sich eine riesige Seifenblase aus dem Fenster zu drängen. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das von Lang und Baumann installierte Objekt als zylinderförmige Skulptur.

Christoph Weiss

In den Fensterraum gepresst und mit Luft angefüllt spiegelt sich im Inneren des Objekts die Umgebung.

Christoph Weiss

Auf der Suche nach weiteren Cyberarts-Projekten gelange ich ein zweites Mal zur grandiosen Neuauflage des Höhenrausch und beschließe, mich diesmal ganz darauf einzulassen. Nicht nur das Dach des Offenen Kulturhauses, sondern gleich der halbe Häuserblock wurde mit Holzstegen von oben begehbar gemacht:

Christoph Weiss

Man beachte die Hausdächer mit Satellitenschüsseln, die unter dem Steg zu sehen sind. Ob die Bewohner dieser Dachgeschosse aufgrund des ungewohnten Einblicks glücklich sind? Die Besucher sind es jedenfalls und genießen die verschiedenen Aussichtsplattformen und Wege.

Christoph Weiss

Der verschlungene Pfad über den Dächern von Linz führt unter anderem auch in den Glockenturm einer Kirche hinein. Unten in der Kirche gibt es - ebenfalls im Rahmen des Höhenrausch 2 - eine Klanginstallation von Janet Cardiff und George Bures Miller zu hören. Surround-Sound mit 40 Kanälen.

Christoph Weiss

Faszinierend auch die Filmvorführungen im Ars Electronica Center. Der "Deep Space"-Kinosaal zeigt Dokumentationen und Kurzfilme zum Festivalthema "Origin". Ich schaffe es gerade noch in die Vorführung von "Teilchen und Kosmos", einer 3D-Doku des Instituts für Hochenergiephysik Wien. Der Film erklärt den Large Hadron Collider des CERN, der mit 27 Kilometern Umfang nicht nur der größte Teilchenbeschleuniger, sondern die größte Maschine der Welt ist. Beeindruckende Bilder hinterlassen beinahe den Eindruck, man wäre selbst dort gewesen. Dafür ist 3D-Technik gemacht. Neben den Filmvorführungen gibt es in dem Saal auch wunderbare Bildvorträge über die neuesten Erkenntnisse der Komsologie. Allein schon das Bildmaterial ist einen Besuch wert.

Christoph Weiss

M101. Von oben.

Mehr über die Ars Electronica 2011, etwa die fantastischen Auftritte von Hgich.T und Tesla Orchestra oder die Installation "Inside the Tropospheric Laboratory" der Kölner Künstlerin Agnes Meyer-Brandis, gibt es in unserem Ars Electronica Videoblog.