Erstellt am: 31. 7. 2011 - 11:27 Uhr
Trauriger Zitronenkuchen
Berlin Verlag
Zu ihrem neunten Geburtstag bäckt Roses Mutter ihr einen Zitronenkuchen, der so unglaublich traurig schmeckt, dass Rose ihn gar nicht runterbringt. Überhaupt kann das Mädchen nichts Selbstgemachtes mehr essen, ohne von intimen, fremden Gefühlen überrollt zu werden – der Ärger des Bäckers in den Keksen, die unerfüllte Liebe im Kantinensandwich, die Affäre ihrer Mutter im Roastbeef.
Mit zwölf saß ich eines kühlen Februarabends mit meiner Familie bei Roastbeef mit Kartoffeln am Tisch, als mir beim ersten Bissen eine solche Ladung an Gefühlen von Verliebtheit und Schuldbewusstsein entgegenschlug, dass mir sofort klar war: Mom hatte jemanden kennengelernt. Wellen davon erschmeckte ich im Fleisch und in dem selbstgemachten Sauerrahm mit den sorgfältig geschnittenen grünen Schnittlauchröhrchen.
Das ist die Ausgangssituation in Aimee Benders Roman "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen". Das Buch beschreibt in weiterer Folge, wie Rose versucht, mit ihrer Fähigkeit fertig zu werden.
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Roses Familie entspricht dem, was man sich unter einer amerikanischen Durchschnittsfamilie vorstellt: Vater, Mutter, älterer Sohn, jüngere Tochter. Sie leben vor sich hin, aneinander vorbei. Die Mutter leidet an unerfüllter Sehnsucht, der Vater will ein möglichst einfaches Leben und Probleme lieber nicht wahrhaben und Roses Bruder Joseph ist ein introvertierter, hochintelligenter Misanthrop mit dem einzigen Ziel, sich so weit wie möglich von allem Weltlichen zu lösen.
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Schmeckt nach Pubertät
Auf den ersten Blick kommt "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" wie Science Fiction daher. Mit ihrer Superkraft könnte Rose ein neuer Peter Parker werden – "Seht nur, da fliegt Taste Bud Woman!" oder "Wonder Tongue!". Tatsächlich entspricht Aimee Benders Roman aber am ehesten einer Coming of Age-Story. Das plötzliche Hereinbrechen von fremden, überwältigenden Gefühlen in Roses Welt und ihre Sehnsucht nach der verlorenen, kindlichen Unschuld sind nichts als Facetten des Erwachsenwerdens.
- Übrigens - eine ähhnliche Ausgangssituation, aber mit ganz anderer Ausführung im Comic Chew
Als Leser denkt man sich "Meine Güte, Mädchen! Was du alles mit dieser Fähigkeit machen könntest! Was ich alles mit dieser Fähigkeit machen könnte!!",aber es handelt sich eben nicht um einen Superhelden-Roman. Erst gegen Ende des Buches beginnt Rose, ihr Talent zu nutzen und es zu ihren Gunsten einzusetzen.
"Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" beschreibt die adoleszente Krise und ist damit weit entfernt von Fiktion, sondern vielmehr total realistisch. Superman hatte bestimmt auch keine leichte Jugend.