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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

31. 1. 2011 - 18:27

Auf Leichen rumkauen

Ein Detektiv mit telepathischen Geschmacksknospen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen in einem Amerika, in dem Hühnerfleisch aufs Strengste verboten ist.

cover comic chew

Cross Cult

"Chew" von John Layman und Rob Guillory ist in einer Übersetzung von Marc-Oliver Frisch bei Cross Cult erschienen.

"Chew" spielt in einem Amerika, in dem die Vogelgrippe Millionen von Menschenleben gekostet hat. Deswegen wurden Verzehr, Verkauf und Besitz von Hühnerfleisch streng verboten. Wie immer verursacht diese Prohibition das Aufkommen eines blühenden Schwarzmarktes: Es gibt geheime Hühnerfleisch-Restaurants, an dunklen Straßenecken wird mit gekochten Eiern gedealt und in sinistren Hinterzimmern hört man es gackern.

Tony Chu ist der Held des Comics. Er arbeitet für das Gesetz, nimmt seinen Job sehr ernst und - er ist Cibopath. Das bedeutet, wenn er etwas isst, verursacht das bei ihm Visionen die ihm erlauben, alles über seine Mahlzeit zu wissen.

bild aus comic chew

Cross Cult

Diese Fähigkeit verdirbt Tony Chu den Genuss am Essen. Es gibt nur eine Speise, die bei ihm keine Visionen auslöst, und das ist rote Beete. Deswegen ernährt er sich fast ausschließlich davon. Die Cibopathie verdirbt ihm zwar den Appetit, macht ihn aber gleichzeitig zu einem guten Agenten. Aufgrund seines ausnehmenden Talents, wird Tony Chu vom FDA angeheuert - der Lebensmittelaufsichtsbehörde.

Nachdem Hühnerfleisch zum Dreh- und Angelpunkt des organisierten Verbrechens geworden ist, wurde die Lebensmittelaufsichtsbehörde zum wichtigsten Organ der Verbrechensbekämpfung. Als FDA-Agenten kommen Tony Chu zahllose Verbrechen unter, von Entführung bis Mord. Um den Fall zu lösen, kommt er nicht darum herum, seine gustatorischen Fähigkeiten einzusetzen. Liegen am Tatort Beweismittel vor, seien es abgehackte Körperteile oder verweste Haustiere, dann heißt es für Tony - beherzt zubeißen.

bild aus comic chew, verdammt, jetzt aber!

Cross Cult

"Chew" geht nicht gerade zimperlich mit Themen wie Essen oder Körperflüssigkeiten um. Immer wieder stolpern wir über Bilder, die uns gleichzeitig entsetzen und zum Kichern bringen.

Dass diese Kombination gut funktionieren würde, daran hatten viele Comicverleger ihre Zweifel. Deswegen war es nicht einfach für John Layman, einen Publisher zu finden. Die Story über investigativen Kannibalismus und Hühnerfleisch-Prohibition war den meisten zu sehr "out there", so erzählt Layman. Er machte sich selbst auf die Suche nach einem geeigneten Illustrator, den er in Rob Guillory fand. Mit seinem eigenen Geld brachte Layman schließlich "Chew" heraus und der Erfolg gab ihm Recht. Das Comic wurde gleich mehrmals ausgezeichnet, unter anderem mit den zwei wichtigsten Preisen der Comicindustrie - dem Eisner Award und dem Harvey Award.

bild aus comic chew, klein

Cross Cult

Layman selbst führt den Erfolg darauf zurück, dass die Thematik des Essens so universell ist. Alle müssen essen, aber die Wenigstens machen sich ernsthaft darüber Gedanken, was mit ihrer Mahlzeit alles passiert ist, bevor sie auf dem Teller gelandet ist. Deswegen löst "Chew" auch bei jedem unweigerlich ein unbehagliches Gefühl aus. Man beginnt nachzudenken, über das Tier das man isst sowie über den Koch, der bei der Zubereitung seine Finger mit drin hatte (und wo er sie wohl davor hatte).

Wir wollen oft gar nicht alles über unser Essen wissen, weil wir ahnen, dass hier dunkle Geheimnisse auf uns lauern. Genau an diesem blinden Fleck setzt "Chew" an und lässt uns schaudern.

bild aus comic chew

Cross Cult