Erstellt am: 9. 7. 2011 - 21:01 Uhr
Literatur als Suppe oder: Sprengung herzloser Onkologinnen
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Der Bachmannpreis
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Durch brutal frühes Austehen konnte ich heute Morgen einen Platz in der ersten Reihe ergattern und so dem großartigen Text von Leif Randt lauschen, der mit viel Ironie und trockenem Witz eine Lifestyle-Dystopie entwarf, die vielleicht in gar nicht so ferner Zukunft liegt. Ein schönes Beispiel dafür, was Gegenwartsliteratur kann. Der Vortrag war, um mit dem Text zu sprechen, relativ angenehm. Teilweise sehr emotionslos, was aber zum Ich-Erzähler passt und die ironischen Stellen arbeitete er gekonnt heraus. Dementsprechend gab es Lacher.
orf/kärnten
Während der Besprechung schaut Leif Randt völlig abwesend auf die Tischplatte, auch, als Winkels den Text für seine Gegenwärtigkeit lobt. Ein Teil der Jury, allen voran Paul Jandl, rauscht völlig am Text vorbei und präsentiert eine erschütternd unterkomplexe Lesart, die ob seiner Professionalität zweifeln lässt. Daniela Strigl dagegen gebührt Lob und Preis für Pointiertheit und Weitsicht, da sie auch die eigentliche Abgründigkeit dieser wohltemperierten Oberflächenwelt erkennt.
orf/kärnten
Nicht vergessen: Sie hören Literatur
Der Text von Anne Richter ist ziemlich an mir vorbeigerauscht, habe aber auch nicht den Drang, ihn nochmal nachzulesen. Seltsamerweise schaut sie ausgerechnet in den Lesepausen hoch, was so aussieht, als warte sie auf die Erlaubnis, weiterzulesen. Ein schönes Detail der Studiodeko ist übrigens die kleine blaue Säule, auf der allen Ernstes „Literatur“ steht. Heute wurde sie sehr vorteilhaft direkt vor den Lesetisch gestellt, so als kleine Erinnerung, falls jemand spontan Gedächtnisverlust erleidet oder sich an die Tagesschau erinnert fühlt.
orf/kärnten
Anne Richters Text schnitt in der Besprechung dann nicht gut ab, es fielen unter anderem die Worte "brav" und "muffig". Immerhin kam von Alain Claude Sulzer, der an diesem Tag sonst wenig Erhellendes beitrug, die schöne Forderung, derart gefühllose Onkologinnen, wie sie in Richters Text herumspuken, doch bitte wegzusprengen.
Hol‘s der Teufel
Ähnlich martialisch, wenn auch weniger witzig, ging es dann bei Michel Bozikovic weiter. Wobei das Ganze so unwitzig gar nicht war, nur eben leider unfreiwillig, allen voran das Vorstellfilmchen, bei dem das Testosteron praktisch von den Flachbildschirmen tropfte. Und ein echter Kerl schreibt natürlich auch über andere echte Kerle und so konnten wir zwischen quietschenden Reifen und kühner Todesverachtung gehaltvollen Aussagen wie "Was soll‘s, hol's der Teufel" lauschen. Originelles Stilmittel ist auch das vierfache Ausrufungszeichen am Ende des Textes. Zitat !!!! Zitatende.
orf/kärnten
In der Besprechung wird dann auch fleißig drauflosgedroschen, wobei Frau Keller, deren erste Kandidatin schon nicht gut abgeschnitten hat, plötzlich sehr emotional wird und aufgebracht fragt, was an einem Macho-Text denn bitte falsch sei. Bei der Gelegenheit wird dann auch das völlig kurzsichtige Argument, "Das ist Rollenprosa, die Figur spricht so" wieder ausgebuddelt und als Entschuldigung für schlechten Stil und Plattitüden verwendet.
Als krönender Abschluss liest dann Thomas Klupp seinen Text "9to5 Hardcore", der mit Abstand die höchste Lacher-Quote erreicht. Im Lesen geht Klupp völlig in dem inneren Monolog eines unbedeutenden Pornoforschers auf, der sich in der unendlichen Fleischwüste der Onlinepornografie verliert und nach einer Festanstellung giert.
Strigl, Kritikerin der Herzen
Prompt verwickelt sich die Jury auch mal wieder in die leidige Humordiskussion, die wenig Neues bringt. Burkhard Spinnen spricht dann noch von der Literatur als Suppe und schließt so vom kleinen Text auf den großen, was in diesem Fall eine kritische Ausrichtung bekommt. Die Ehrenrettung der Jury betreibt dann Daniela Strigl, die mehrfach Applaus erntet, und die den quasi hyperrealistischen, gesellschaftskritischen Gegenwartsbezug des Textes endlich herausstellt, der sich in mehreren Bereichen finden lässt (Wissenschaftsbetrieb, Über- und gleichzeitige Desexualisierung durch Pornografie, schließlich Karrierismus und Genderfragen).
Damit ist es geschafft, der Textstapel ist durchkritisiert. Der Rest, wie es dann später im Garten hieß, ist Politik. Die juryinternen Wahlkämpfe genießen wir dann morgen und erwarten mit Spannung, auf wen der Jurysegen herniedergehen wird.
Falls es dann genauso oder noch heißer wird, sollte wenigstens ein Teil des Preisgeldes in ein kühles Getränk investiert werden. Es bleibt ja noch genug übrig.