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Viktor Gallandi

Der Wortlaut-Sieger 2010 berichtet vom Wettlesen in Klagenfurt

8. 7. 2011 - 18:53

Das vielmäulige Ganze

Klagenfurt am Wörthermeer – der zweite Tag des Bachmannlesens

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Der Auftakt des Bachmannpreislesens am Donnerstag, den 7. Juli 2011. Von Viktor Gallandi.

Das vielmäulige Ganze
Klagenfurt am Wörthermeer – der zweite Tag des Bachmannlesens. Von Viktor Gallandi

Literatur als Suppe oder: Sprengung herzloser Onkologinnen
Samstag, der letzte Lesetag. Von Viktor Gallandi

High Noon in Klagenfurt Preiskampf bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur. Von Viktor Gallandi

Der zweite Tag der Klagenfurter Literaturshow begann mit einem weiteren Versuch, am Morgen einen Studioplatz zu ergattern. Da ich am Vortag gelernt hatte, dass es keineswegs lächerlich ist, einen der schwarzen, schmalen Stühle mit verschiedenen Gegenständen zu annektieren, falls man körperlich einmal nicht anwesend sein sollte, hatte ich mir vorgenommen, meine Stuhlfläche in der Pause rigoros mit Zettelstapeln und Stiften zu bestücken. Stilechter wäre natürlich das Handtuch gewesen, altgedientes Symbol touristischer Besitzansprüche, wenn es um die begehrten weißen Liegestühle an Poolanlagen geht.

Das Ganze scheiterte natürlich – einerseits an den vielen ausgeschlafenen Literaturfreunden, die bis zum Showbeginn geduldig ihre Plätze vorwärmten und andererseits, praktisch indirekt, am Bürgermeisterempfang des Vorabends, wo die Elite des Literaturbetriebs vor umwerfendem Postkartenpanorama mit sehr professionellem Blick ihre überschaubaren Meinungsverschiedenheiten modulierte, ein reichhaltiges Büffett mehrfach umpflügte und auch die Damen hinter der Bar öfters um Gratisnachschub anging.

ORF

Winkels und Feßmann mit Herzblut dabei

Jedenfalls gesellte ich mich also wieder zum Public Viewing ins Pressecafé, in dem auch mal seine Körperposition ändern kann, ohne die Banknachbarn aus dem Hör- bzw. Lesefluss zu reißen.
Erster Lesender heute war Linus Reichlin. Ein Text, so süffig-locker geschrieben, dass ich eine Weile brauchte, um das Setting im Afghanistankrieg überhaupt zu erfassen. Die Jury streitet an diesem Morgen doch etwas gekonnter, als noch am Vortag, auch wenn sie sich, wie üblich, sehr stark auf Thematisches einschießt und, so scheint es mir, den jeweiligen Text stets mit einem imaginären Idealtext vergleicht, der offenbar selbstverständlich anzustreben ist. Anscheinend braucht Literaturkritik zu ihrer Berechtigung den platonischen Ideentext, der zu jedem denkbaren Thema im Himmelreich schwebt und der das Potenzial markiert, das der Autor dann in mehr oder weniger starkem Maße nicht ausschöpft. Wunderschön zu beobachten war auch das Winkels-Feßmann-Duo, das sich von den Enden des Hohen Rates her mit viel Verve die jeweiligen Fehleinschätzungen vorhielt.

Eine zunehmend fragwürdige Jury und ein Metaphern-Versuch

Publikum beim Bachmannpreis

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Zweite Lesende war Maja Haderlap, die einer Zeitreisenden gleich einen gänzlich unironischen Text im Stil des 19. Jahrhunderts vortrug. Auch dieser Text war sehr gut gemacht, besonders im Vergleich zu manchen Texten des Vortags, aber ebenfalls vollkommen wagnislos. Die Jurydiskussion dazu war enttäuschend und themenverhaftet, als müsste man den Text schon aus political correctness gut finden (Thema Partisanenkampf im Zweiten Weltkrieg). Zu dem antiquierten Stil kein Wort. Der Text wurde so flächendeckend gelobt, dass man ihn als ersten Favoriten aufstellen kann.

Nachdem Julya Rabinowitsch unter der Jury wieder für munteren Hickhack gesorgt hatte (Winkels monologisierend, Feßmann aufgebracht, Jandl bissig und mit zitternden Brauen), ging es in die verspätete Pause und diesmal ging ich gleich ins leergefegte Studio und setzte mich auf einen fahrlässig ungesicherten Stuhl. Die Pause im Studio war gar nicht so öde, wie man sich das vorstellt, zum einen weil auf 3sat ein rührendes Interview mit Peter Turrini gezeigt wurde, der mit erschütternder Ehrlichkeit auf Fragen wie „Wovor haben sie Angst?“ oder „Was ist ihr größter Fehler?“ antworten musste. Grotesk war dieses Interview, weil die Interviewerin die intimen Fragen emotionslos stellte, Turrini sich aber große Mühe gab, ehrlich zu antworten.
Außerdem bot sich die Gelegenheit, über eine passende Großmetapher für das Studio nachzudenken, dessen Geschehen ja das Herz der TDDL ist. Ich würde eine maritime Variante vorschlagen, wobei das Publikum paradoxerweise Meer und Strand gleichzeitig ist, ein Meer aus Köpfen und Kleidung, ein Strand mit ausgeprägter Handtuchkultur, von dem das Rauschen des Umblätterns bei jeder zweiten Seite ausgeht. Am Horizont eine Inselgruppe, die widersprüchliche Leuchtsignale zum Strand sendet, in der Mitte Treibgut und etwas ab davon der schiffbrüchige Autor, der zum Strand will und doch nur Vorwürfe von den Ureinwohnern der Inselgruppe bekommt, mit welchem Recht er denn wage, sich hier anspülen zu lassen und um Trinkwasser zu betteln.

Aber bevor wir dieses Bild allzu sehr auf seine Stimmigkeit überprüfen, gehen wir lieber weiter zum zweiten Lesungsteil, der mit schönen Texten aufwartet.

Zwei Verkannte und ein Ausblick

Nina Bussman beim Lesen im Rahmen der Literaturtage

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Da ist zuerst Nina Bußmann, die mit großem Können eine komplexe Lehrer-Schüler-Beziehung erzählt. An dem Text redet die Jury leider gekonnt vorbei und verliert sich inhaltlichen Details, die für die Bewertung eigentlich unwesentlich sind, wobei teilweise schöne Sentenzen dabei herumkommen, wie von Spinnen der Satz zur Schule als furchtbares Schattenspiel mit vorgeprägten Rollen.

Steffen Popp, der letzte Lesende, wird größtenteils verkannt, da er als einziger wirklich Sprachgrenzen austestet und in jedem Fall unter Neuerungsverdacht steht. Dieser Sound ist so innovativ (verglichen mit dem Rest), dass Sulzer gleich kapituliert und den Kritikerhut für diesen Nachmittag an den Haken hängt.

Steffen Popp

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Bevor es dann morgen an die Highlights des Wettbewerbs geht, konzentriere ich mich jetzt auf meine heutige Lesung (zusammen mit Chris Pichler im Moser-Verdino). Morgen muss es dann auf jeden Fall ein Studioplatz sein, und wenn ich mich im Morgengrauen ins Studio schleiche, das Strandtuch um den Nacken gehängt.