Erstellt am: 7. 7. 2011 - 19:35 Uhr
Von Ausgesetzten und Ausgestelltem
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Von Ausgesetzten und Ausgestelltem
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Am Anfang wird nach einer griffigen Formel gesucht. Da ist vom „Betriebsausflug der Literaturszene“ die Rede, vom Wett-, Preis-, oder Kampflesen, von der Show, die alle irgendwie unmöglich, aber trotzdem gut finden – unmöglich, weil das ganze Drumherum, diese Kamerabilder von Karaffen und Kritikerköpfen, die fragwürdige Studio-Deko oder diese Autorenfilmchen, bei denen das größtdenkbare Ziel das Umschiffen von Peinlichkeit und Klischee ist, kurz: die Oberfläche, weil das mit dem Text natürlich niemals etwas zu tun haben kann und um die Texte ginge es ja wohl - und trotzdem auch total gut, weil die Literatur, von der oft gesagt wird, man müsse furchtbar auf sie aufpassen, das zarte Pflänzchen, ja so unter seiner fehlenden öffentlich-medialen Präsenz leide in unserer Bildkultur und ihr damit ja geholfen werde, wenn man sie ins Fernsehen schleift und mit Sakko-bekleideten Körpern in Fernsehstudios ausstaffiert.
Der ganze Diskurs ist so alt wie der Wettbewerb und als ich angehalten wurde, meine Eindrücke von den Tagen der deutschsprachigen Literatur täglich niederzuschreiben, war ich entschlossen, diese Diskussion erst einmal auszuklammern und mich nur auf die Eindrücke zu konzentrieren und meine Meinung, mit der ich in Klagenfurt gestern gelandet bin, erst mal im Hotelzimmer zu lassen und mich unbedarften Blickes in das große Betriebsfest zu stürzen.
Also hinschauen. Vielleicht sogar mit dem Blick des Außerirdischen, der versucht, sich ein Bild von der Menschheit zu machen.
Es ist mir nicht gelungen. Während sich der Alien in mir zunehmend verzweifelt fragte, wie die Menschheit überhaupt überlebensfähig sei, stieß ich schon beim gestrigen Eröffnungsabend wieder auf die letzten leidigen Fragen des Bachmannlesens.
[1] Der wurde allerdings vom großartigen Dobrek Bistro ganz gut aufgefangen.
Da wurde so mühelos vom Sollen, Dürfen und Können der Literatur zum Sponsoring und wieder zurück lamentiert, dass ich allmählich begriff, dass das allgemeine Unbehagen, mit dem das große Eröffnungsloben erwartet wurde, nicht nur dem fehlenden Unterhaltungsfaktor [1], sondern auch den vielfachen Vereinnahmungen von Literatur für Kommerziell-Alltägliches galt. Und so konnte man beim Startschuss zu diesem Literaturevent jenen Vorgang beobachten, gegen den gute Literatur stets anrennt, sie nämlich in ein bequemes, bekömmliches Weltbild einzubauen und damit ihrer Berechtigung zu entziehen. Bevor es hier aber allzu abstrakt bleibt zu den Eindrücken des ersten Lesungstags:
Pünktlich um 10 Uhr treffe ich im Garten des ORF-Studios ein. Es ist heiß und im Halbschatten der Bäume stehen Menschen, die etwas gedämpft reden und und mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne blinzeln, vielleicht, weil das Bier gestern umsonst war oder weil es doch noch sehr früh ist oder einfach nur hell.
Ich gehe gleich weiter ins schattigere Studio, weil ich, trotz der Ankündigungen erfahrenerer Klagenfurtgänger, doch noch hoffe, einen Sitzplatz zu ergattern. Gerade zu Anfang hoffe ich, dass mir die Möglichkeit, meinen Blick vom Kameraauge unabhängig zu machen, einen anderen Eindruck vom Lese- und Diskussionsgeschehen gibt.
Am Ende bin ich dann froh, dass ich im Gang einen Stehplatz habe und mein Notizbuch zwischen mich und meinen Vordermann passt. Die Plätze werden auf eine sehr entschlossene Art von zumeist älteren Damen und Herren besetzt, die mit der gleichen Entschlossenheit die Arme recken, als die Texte des ersten Lesenden verteilt werden oder sich schon mal eine Kopie aus dem Stapel ziehen, während die bereits Versorgten gerade versuchen, den Stapel koordiniert weiterzugeben.
Vorne sitzt die Jury in den weißen, eckigen Sesseln und schaut versonnen ins Publikum. Die Kameraleute versuchen sich noch in ihrer einsilbigen Geheimsprache auf eine geeignete Position ihrer sanften, schwarzen Kameratiere zu einigen, die sie trotz des Zeitdrucks mit Zärtlichkeit durch den Studioraum führen.
Dann geht es doch plötzlich los und Clarissa Stadler begrüßt ganz herzlich die Kameralinse und dann das Studiovolk. Wir erfahren, dass die Dekoration ein Herr Meier zu verantworten hat, dem an dieser Stelle für seine Zurückhaltung gedankt sei, nur die weißen Plattenstapel in der Mitte sehen immer aus, als man sie nach dem Aufbau dort vergessen.
Viktor Gallandi
Erster Lesender ist Gunther Geltinger. Er liest an einem Stehpult, arbeitet gegen das Stottern an, was ihn unwillkürlich sympathisch macht, denn wenn es einstudiert ist, ist es sehr überzeugend und wenn es unfreiwillig geschieht, ist es sehr gekonnt in die Leseperformance eingebettet. Während des Lesens verlagert er ständig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, wie jemand, der versucht etwas Großes und Unhandliches zu balancieren. Textlich zielt er nach einer Seite Naturschwulst auf unser neuronales Betroffenheitszentrum ab und lässt davon bis zum Schluss nicht ab. Überraschungen gibt es keine, dafür einige starke, bedrückende Bilder, auch wenn Kotze und Kacke als Verfallsbilder etwas überstrapaziert werden.
Viktor Gallandi
Die anfangs angeblich uneingespielte Jury ist schnell mitten in der Diskussion und (makabererweise?) wird dem Autoren als ersten großen Pluspunkt sein stotternder Vortrag angerechnet.
Zweiter ist Max Steinbeis. Sein Video wäre fast unpeinlich geworden, wenn sich der Regisseur nicht für das herrlich groteske Stilmittel des Beamens entschieden hätte: In einer statischen Aufnahme des Raumes wird der Autor durch den Schnitt von einer Ecke in die nächste teleportiert, was verbunden mit dem Streben nach originellen Sätzen eine großartige (unfreiwillige) Komik entwickelt.
Daniel Wisser mit "Standby" liest dann seinen Zwangsneurotikertext konsequent zwangsneurotisch und monoton und durch sein minutenlanges Blicken ins Publikum (Teile des Textes kann er offenbar auswendig) fängt man an, die Erzählerfigur mit dem Autor zu identifizieren und das macht eigentlich immer Spaß.
Viktor Gallandi
Der Lesetag wird dann mit Anna Maria Praßler und Antonia Baum beschlossen, an denen die Jury (meist zurecht) kein gutes Haar lässt. Beide schauten während der Besprechung recht konsterniert zur Jury herüber und es wurde wieder einmal augenfällig, dass das Grundprinzip des Formats, dass der Autor schweigend dem Urteil lauscht, einfach nie das Groteske verliert.
Während der Eröffnung wurde, auf der Suche nach einer treffenden Beschreibung dieses Vorgangs, zuerst das "Ausstellen statt dem Ausgesetztsein" genannt, während sich dann später doch das "Aussetzen" wieder einschlich, was sicher zutrifft. Mein bescheidener Vorschlag wäre, dass der Autor während der Besprechung im Publikum sitzen darf und man die Kamera lieber einen weiteren Schwenk über die Zettelstapel der Jury machen lässt, als auf das stumme Autorengesicht draufzuhalten, in dem meist die immer gleiche irritierte Hilflosigkeit zu lesen ist. Natürlich würde das den Unterhaltungswert drastisch schmälern, denn der Autorkörper und die Autorstimme bildet ja das eigentliche Zentrum des Events, ein bisschen Literatur zum Angucken eben, bald vielleicht auch in 3D.
Jetzt aber zur nächsten Show mit Lobeshymnen und Freigetränken: Der Bürgermeisterempfang auf Schloss Maria Loretto. Und danach ist es auch schon nicht mehr lang, bis der nächste Autor im Morgengrauen in den Ring steigt, sich ausstellt und aussetzt und den wir uns einfach gerne anschauen, auch wenn wir zwischendurch mal einen Blick in den Text werfen, denn eigentlich geht es ja nur darum, um die Literatur eben.