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Pia Reiser

Filmflimmern

28. 6. 2011 - 10:23

Do the right thing

Als sein Gewissen sich meldet, steckt Matthew McConaughey als zunächst aalglatter Verteidiger in "The Lincoln Lawyer" schon ordentlich in der Bredouille. Und ja: er bleibt den ganzen Film über angezogen.

Es ist ein bisschen zu leicht, über Matthew McConaughey zu lästern, deswegen halte ich jedem Gemaule über seine Rollen in vernachlässigbaren romantischen Komödien, sein Strahlemannimage und die Häufigkeit seiner Oben-ohne-Szenen in Filmen gerne was entgegen. "Dazed and Confused", zum Beispiel, "Frailty" oder "Tropic Thunder". In Letzterem parodiert sich McConaughey ja beinahe schon selbst und wenn einer, dessen Image als sportlicher Surferjunge dank ausführlicher Klatschpresse-Dokumentation in Stein gemeißelt ist, einen Film macht, der "Surfer, Dude" heißt, dann beweist das mehr Bewusstsein über das eigene Bild in der Öffentlichket und Eigenironie, als man ihm vielleicht zugetraut hätte.

Jugendliche, die an einer Wand lehnen; Szenenbild aus "Dazed and Confused"

arthaus

Killerargument für MacConaghey-Diskussionen: Richard Linklaters grandioser Film "Dazed and Confused"

Sittin’ in the back seat

Mit "The Lincoln Lawyer" ist jetzt zumindest mal Schluss mit der Angewohnheit McConaugheys, sich auf Filmplakaten anzulehnen, am Plakat seines aktuellen Films sitzt er - aufrecht und das ganz ohne fremde Hilfe - auf einem Auto. Einem Lincoln, und das ist nicht nur sein Auto, Statussymbol und stolzes Produkt des amerikanischen Automarktes, nein, es ist auch sein Büro. Am Rücksitz sitzt er in perfekt sitzenden Anzügen und telefoniert, stapelt Akten und Kaffeebecher: Mick Haller hat den Ehrgeiz und die Frisur von Gordon Gecko, die Art wie er mit dem Auto durch die Straßen von Los Angeles und später durch die Gänge des Gerichtgebäudes gleitet, macht uns klar: Das hier ist ein Action Jackson, ein Chef am Platz, der sich vor lauter Lässigkeit schonmal zur Daumen-Zeigefinger-Schuss-Geste hinreissen lässt und dazu mit der Zunge schnalzt.

Matthew McConaghey in "Der mandant"

Constantin

Ein Fall als Falle

Haller ist Verteidiger und nicht wählerisch bei seinen Klienten. Ja, es ist ein dirty job, aber, wenn man es richtig macht, bleibt die eigene Weste weißer als weiß. Und moralische Bedenken sorgen bloß für einen schlechten Teint. So lang das Geld im Kuvert raschelt, das ihm seine Klienten durchs Autofenster zustecken, macht er seinen Job. Eines Tages wird ihm ein Fall zugeschanzt, der in ihm etwas weckt, was jahrelang im Dornröschenschlaf lag und mit reichlich Alkohol am Schlafen gehalten wurde: sein Gewissen. Er übernimmt die Verteidgung von Louis Roulet, einem Millionärssohn, angeklagt eine Prostiuierte vergewaltigt und schwer verletzt zu haben. Roulet zitiert unfreiwillig, dafür umso öfter, Shaggy: "It wasn't me". Und schon nach der ersten Begegnung kommen Haller Zweifel an Roulet, der Fall wird zu einer Falle für Haller, zu einer beinah existenzraubenden Bedrohung und zu einer Überdenkung seines Arbeitsethos. Denn "The Lincoln Lawyer" arbeitet sich am amerikanischen Prinzip des doing the right thing ab, kombiniert mit dem Leitfaden, dass der Zweck stets die Mittel heiligt.

Matthew McConaghey und Ryan Philippe in einem Gerichtssaal, Szenenbild aus "Der mandant"

Constantin

Tomei, Cranston, Macy

McConaughey schafft den Sprung vom sleazy Karrieristen zum Zweifler an den eigenen Grundsätzen ohne Pathos, doch so richtig zum Funktionieren bringt den Film ein wunderbarer Cast an Nebendarstellern; allen voran die stets großartige Marisa Tomei. Tomei formt aus wenigen Szenen und noch weniger Sätzen einen vielschichtigen Charakter, als Ex-Frau Hallers, sorgt sie dafür, dass wir Haller auch als freundlichen Sportplatz-Papa und umgänglichen Ex-Mann erleben. Der Karrieristenlack plattelt ab, schön langsam. Bryan Cranston und John Leguizamo machen ebenso das beste aus ihren kleinen Rollen und William H. Macy mit einer Hinterseer/Gottschalk-Frisur und einem STS-Bart ist wie immer der Fels in der Nebendarstellerbrandung. Wo ansonsten in ähnlichen Thrillern der Fokus auf der Charakterisierung der Hauptfigur bleibt und nur ab und zu einer Du solltest mal wieder ausschlafen, Frank oder Das ist die Akte, die du wolltest sagt, ist Mick Haller umgeben von Charakteren und Geschichten.

Matthew McConaghey und Marisa Tomei

constantin film

Tanz der Arroganz

Selbst der aus der Versenkung wiederauferstandene Ryan Philippe, den wohl niemand so richtig vermisst hat, tut überzeugend das, was er am besten kann und gibt den vor Arroganz und trotziger Überlegenheit strotzenden Louis Roulet, ein Babyface und Muttersohn, dem schon mal die Unterlippe zu bibbern beginnt, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er will. Aber wir kennen das alles ja aus "Eiskalte Engel".

Ungewöhnlich für einen Thriller ist die Kameraarbeit von Lukas Ettlin, die versucht mit ihren Bewegungen sich McConaugheys Gemütszustand anzupassen, mal ist sie elegant und ruhig, mal fahrig und zappelig. Das ist nicht der übliche "slicker Gerichtsthriller"-Look. Mit verschiedenen Farbwelten kreiert der Film in den besten Momenten ein Los Angeles, in dem alle schön aussehen, aber am Abgrund tanzen, mit einem Glas Whiskey in der Hand. Ein goldenes Licht lässt die Stadt und McConaughey strahlen. Der - ebenfalls ungewöhnliche - soulige Hip Hop fungiert nur leider manchmal als griechischer Chor für die Unaufmerksamen und man rappt uns was von good vs evil in die Ohren, während der Lincoln wieder durch die Straßen schwoft.

Ryan Philippe und Matthew McConaghey in "Der mandant"

Constantin Film

"The Lincoln Lawyer"/"Der Mandant" läuft bereits in den österreichischen Kinos

Gerade als ich mir im Kinosaal denke, dass Brad Furmans Film vielleicht mit Christian Bale und Ryan Gosling als Verteidiger und Klient noch ein Eck interessanter gewesen wäre, aber er das Prädikat "solide" allemal verdient (und, wer weiß, vielleicht ist "solide" im Thriller das, was in der Komödie "nett" ist, und das muss nichts Schlechtes sein), da passiert es:
Als hätte man ihn aufgeschreckt, verliert der Film seinen Rhythmus, pappt an sein Ende noch ein Ende, ein gehudeltes Geständnis, das keinen wirklich interessiert, ein wenig Selbstjustiz und einen Satz zur Giftspritze, wie er sich ansonsten nur aus dem Mund des "CSI Miami"-Sonnenbrillenakrobaten Horatio Caine schält. Die letzten 15 Minuten vermasseln nichts, sie verärgern nur. Gut hat es der junge Mann in der in der Reihe vor mir, der hat über den Satz "Haller, you got more balls than a chinese ping pong tournament" so gelacht und ihn laufend wiederholt, dass er garantiert von dem ein bisschen verpatzen Ende nichts mehr mitbekommen hat.