Erstellt am: 16. 4. 2011 - 19:16 Uhr
Die Außerirdischen sind gelandet
Ich muss jetzt auch einmal eine Lanze für das Wort "nett" brechen. Ich weiß schon, nett steht für Beliebigkeit, breiten Konsens, pures Mittelmaß. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße oder so ähnlich.
Aber in einer Gegenwart, in der sämtliche Extreme ausgelotet scheinen, alle heftigen Transgressionen und Tabubrüche hinter uns liegen und die großen, schweren Begriffe durch ihren inflationären Einsatz auch schon ausgehöhlt wirken, kann man "nett" vielleicht zwischendurch mit einer neuen Bedeutung aufladen. Nachzuschlagen unter "auf bewusste Weise etwas zurückhaltend", "angenehm unspektakulär" und vor allem "charmant".
Es muss ja nicht immer alles komplett in your face sein, brutal verstörend oder hysterisch lustig. Manchmal, und das klingt jetzt schon wieder schrecklich spießbürgerlich, reicht ein im besten Sinne netter Film, um einem den öden Tag zu versüßen. "Paul" ist genau so ein Streifen.
Universum Film
Stellt man sich all die Talente vor, die an dieser Alien-Comedy mitgewirkt haben, ist die Erwartungshaltung natürlich gewaltig. Alleine die Hauptdarsteller und Drehbuchautoren Simon Pegg und Nick Frost, schon seit ihrer BBC-Serie "Spaced" zwei Slacker-Ikonen zum Abbusseln, schufen mit "Shaun Of The Dead" und "Hot Fuzz" die vielleicht grandiosesten Genreparodien des zeitgenössischen Kinos.
Statt mit ihrem Dauerpartner Edgar Wright arbeitete das britische Komikerduo für "Paul" mit einem US-Regisseur zusammen, der sich im Vorfeld nach einem perfekten Partner in Crime angehört hat. Mit "Superbad" schuf Greg Mottola einen brachialkomischen Schlüsselfilm des Judd-Apatow-Universums, "Adventureland" erwies sich danach aber als wahre Erleuchtung und begeisterte als einer der schönsten Coming-of-Age-Streifen der letzten Dekade.
Mottola ist jemand, der wie Pegg und Frost all die verklemmten Sonderlinge, Schulaußenseiter und ewigen Nerds nicht nur als Comedy-Zielscheibe benutzt, sondern sie auch ernst nimmt und als Seelenbrüder und -schwestern begreift.
Addiert man zu diesen Namen noch verlässliche Größen des avancierten Blödelns wie Kristen Wiig, Jane Lynch, Jason Bateman oder den unpackbaren Bill Hader, mal abgesehen von Seth Rogen als Stimme des computeranimierten außerirdischen Titelhelden, schwirren einem vorab bereits Superlative im Kopf herum. Denen wird "Paul" aber nicht gerecht. Und das ist gar nicht so schlimm.
UIP
Die Geschichte über einen gestrandeten Außerirdischen, der aus der berüchtigten Area 51 ausbricht und mit zwei britischen Geektouristen quer durch Amerika flüchtet, sorgt nur in wenigen Momenten für richtiges Schenkelklopfen. "Paul" ist einfach ein kleiner, liebevoller Film, der einerseits von mehr Genre-Referenzen lebt, als Harry Knowles zählen kann, mehr aber noch von einem milden, relaxten Tonfall.
So gänzlich zurückgelehnt wie der sprücheklopfende E.T., der sich gerne lustige Zigaretten anheizt, ist auch der ganze Film. Das grenzt bisweilen durchaus an Phlegmatie, hat seine diversen Durchhänger, funktioniert aber – wie guter Stoner-Rock – auch als wunderbarer Stimmungsaufheller. Und das, wie alle tollen netten Filme oder Songs, ohne die Intelligenz des Rezipienten zu beleidigen, ihn auf aalglatte Weise einzulullen oder seine Emotionen zu belächeln.
Jedenfalls macht es mehr Spaß, Paul und seinen Kumpels beim Kiffen am Lagerfeuer zuzusehen, als der US-Armee bei ihrem aktuellen Leinwandeinsatz zu folgen. "World Invasion: Battle Los Angeles" zeigt den Überraschungsangriff einer außerirdischen Invasorentruppe auf die Westküstenmetropole aus der Sicht einer Gruppe von Marines.
Aaron Eckhart, mit seinem kantigen Gesicht sowohl in Blockbustern als auch Arthouse-Werken zuhause, spielt einen frustrierten Staff Sergeant, der eigentlich den Dienst quittieren wollte und jetzt mit jungem Kanonenfutter ins urbane Schlachtfeld ziehen muss. Michelle Rodriguez darf ihre Standardrolle als toughe Soldatin abspulen. Überhaupt wird die Psychologisierung der Charaktere im Blitztempo abgehandelt.
Sony
Dass man deswegen auch keine Sekunde mit den Figuren mitfiebert, ist nur eines der Probleme, unter denen das Sci-Fi-Spektakel des Jungregisseurs Jonathan Liebesman leidet. Hinter dem üblichen Wackelkamera-Blickwinkel verbirgt sich überhaupt ein einziges Vakuum. Weder den Hauch einer nennenswerten Story hat "World Invasion: Battle Los Angeles" zu bieten noch markige Oneliner, die im Gedächtnis bleiben. Oder gar einen Ansatz von Selbstironie, wie er zu früheren Action-Blockbustern gehörte.
Aber wenigstens fette Effekte, wird die Hirnabschalte-Fraktion jetzt murmeln, sinnentleertes Popcornkino halt! Sorry, aber auch an der Alien-Front tummeln sich nur unaufregende Festplatten-Kreaturen. Was bleibt, ist bloß ein überlanges Rekrutierungsvideo der US-Army, wie es ein Kollege ausdrückte, untermalt von martialischer Schmalzmusik.
Only bad aliens are good aliens, lautet eigentlich eines meiner Dogmen. Aber in diesem Fall siegt der verschmitzt lächelnde Humanismus mit Riesenabstand über den Horror. Manchmal, wie im Fall von "Paul", ist "nett" nicht beliebig, sondern einfach nur das neue "souverän".
UIP