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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

3. 6. 2011 - 18:11

Hauptsache ist, dass das Feuer nicht aufhört zu brennen

Springfestival Tag 2: Sizarr, Caribou, Koze, dOP und mehr.

Wir senden dieser Tage immer wieder live aus dem FM4-Studio in der Festival-Zentrale beim ppc. Besuch erwünscht! Mehr zum Programm im FM4-Studio hier.

Und alles rund ums Springfestival auch unter fm4.orf.at/springeleven.

Es juckt schon stärker. Zwar beginnt der zweite Tag des Springfestivals in Graz ebenso wie der Mittwoch in der - immer noch! - etwas weit draußen gelegenen - Helmut-List-Halle, die eher die Aura einer abgekapselten Nebenveranstaltung denn den realen Festival-Spirit begünstigt, dennoch liegt leibhaftigere Aufbruchsstimmung als gestern noch in der Luft. Es kribbelt und brummt, all die netten Menschen scheinen noch dieses eine wichtige Lied hören zu wollen, bevor morgen dann die Welt untergeht. Mehr Menschen sind gekommen, den Menschentrauben an den Theken und den Menschenbewegungen auf dem Floor nach zu urteilen, fließt das Bier heute mit halber Geschwindigkeit aus den Zapfhähnen heraus, dafür aber mit doppelter in die Menschen hinein. Das exquist zusammengestellte Programm dieses Abends demonstriert, wieviel Experiment in die alte Pfanne Pop hineinpasst. Oder umgekehrt. Ein junger Mann im Publikum trägt ein bislang für nicht existent gehaltenes T-Shirt von Pitchfork Media.

Noze im Fm4 studio

Philipp L'heritier

Noze im FM4 Studio in der Festivalzentrale
Sizarr

Phil

Sizarr
Sizarr

Philipp L'heritier

Sizarr

Den Abend eröffnet eine Band, die seit gut einem Jahr als eines der 300 kommenden heißen Eisen gehandelt wird: Sizarr aus dem bayrischen Landau, Heimatstädtchen von Uschi Glas. (Edit: Falsch. Sizarr kommen aus dem Landau in der Pfalz.Danke an MacPfalz!) Gerüchteweise geben sich drei Boys von Sizarr selbst solch Namen wie $P-Money$ oder Deaf Sty und sehen auch sonst da und dort einen Tick zu hip, stylish und, okay, hübsch aus. Wenn man aber so eine schöne Musik macht, darf man das. Sizarr stellen einen Sound dar und nach, der in den letzten 4,5 Jahren die absolute Blog-Coolness war und aus jedem zweiten Proberaum in Brooklyn gequollen kam: Das schwirrende Gebräu, das entsteht, wenn eigentliche Indie-Typen Sampler und Elektronik entdecken und in den Welten von Afrobeat, Tropicalia, HipHop und Geraschel und Geklopfe bohren. Animal Collective und die Folgen. Sizarr bleiben dabei aber weitestgehend dem Pop- und Song-Format verpflichtet und lassen im Gesang mitunter kleine Nuancen eines britpophaften Bedeutsamkeits-Pathos anklingen. Das funktioniert live ganz wunderbar und gar nicht unangenehm höflich, für die Sphären ein bisschen erschütternde Tonträger werden Sizarr noch am eigenen Rezept doktern müssen. Bislang ist ihre Musik die konservative Variante einer im Prinzip freigeisternd angelegten Soundforschung, die versucht hat, so ineinander verzahnt erst selten gehörte Klangwelten zu kombinieren - Sizarr jedoch modellieren ihr Anders-Sein-Wollen nach schon gut etablierten Vorbildern.

Moun tkimbie

Philipp L'heritier

Mount Kimbie
Mount Kimbie

Philipp L'heritier

Mount Kimbie
Caribou

Philipp L'heritier

Caribou

Das Paket Mount-Kimbie/Caribou hat sich der Musik-Gott ausgedacht. Erst vor Kurzem wäre das Doppel noch in der Fluc-Wanne in Wien zu besichtigen gewesen, musste aber aufgrund eines Trauerfalls in der Familie Mount Kimbie kurzfristig halbiert werden. Dennoch hat es in der jüngeren Vergangenheit schon die eine oder andere Gelegenheit gegeben, diese zwei tatsächlich traumhaften Acts live zu erleben. Mount Kimbie waren beim Elevate-Festival und beim Donaufestival, Caribou taucht mit seiner Band immer wieder mal irgendwo in Österreich auf. Der exklusive Sensations-Faktor dieses Bookings mag also ein schmaler sein, die, hüstel, schiere Qualtität der konzertierenden Menschen und ihres Werkens und Schraubens an den Geräten von fast alles wettmachender Brillanz.

Mount Kimbie sind sehr gut. Wie immer. Heute etwas dunkler, rauer und scharfkantiger. Die Gitarre kommt verstärkt zum Einsatz, Ansätze von Dröhnen und Noise sind am eigenen Körper erfahrbar. Dominic Maker und Kai Campos bei der Erzeugung ihrer merkwürdig schwarmförmigen Klangkörper zuzusehen, ist immer wieder ein Vergnügen. Konzentriertes Brüten über der Elektronik, wohl dosiertes, elegantes Rotieren am Instrumentarium, bedächtiges Bouncen. Mount Kimbie, für die das Wort "Post-Dubstep" ins Lexikon geschrieben worden ist, scheinen zu wissen, dass ihr Konzert nicht im Club-Kontext stattfindet und halten das Level der Tanzbarkeit im unteren Bereich. Eher Kopfnicken. Ein gewaltiges, ein im Rhythmus mitfederndes, ein zustimmendes.

Caribou

Philipp L'heritier

Caribou
Caribou

Philipp L'heritier

Jesse Rose

Philipp L'heritier

Jesse Rose

Die alles und jeden erschlagende Macht des Superlativs ist der größte Salzstreuer der Welt, mit den größten Löchern, Vorsicht. Caribou plus Band ist so ziemlich eine der besten Live-Expiriences, die man heutzutage so erleben kann. Über den kanadischen Produzenten und Multiinstrumentalisten Dan Snaith und sein Projekt Caribou ist in den letzten 15 Monaten sehr viel zu lesen gewesen. Hier und überall anders. Sein letztes Album "Swim" war die gerechte Konsens-Platte 2010, das komplett unangestrengte Ineinanderaufgehen von Psychedelik, Pop und Techno-Logik in einer einzigen pollockfarbenen Seifenblase.

Caribou und seine Band sind die Antithese zur schon auch sehr guten Band Battles. Wo das US-Amerikanische Trio (new Album, "Gloss Drop" dropping soon) mit fühlbarem Eiferschweiß die unterschiedlichsten Styles, Genres und Stimmungen leicht streber- und muckerhaft zu etwas "Interessantem" zusammenzwingen möchte, scheinen für Caribou Formen überhaupt nie existiert zu haben. Auf engstem Raum im Bühnenzentrum steht da Dan Snaith mit seinem Quartett in Kreisformation an- und ineinandergebaut und gleitet von elektronisch unterfütterten Popsongs hinein in bei Krautrock abgehorchte Schlagzeug-Arbeiten und Dancefloor-Studien. Der Klassiker "Melody Day" wird als richtig rockende Gitarrenband und der dazugehörigen Band-Aufstellung gegeben: Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Dann spielt Dan Snaith Blockflöte. Die traditionielle Zugabe ist der Hit "Sun", der zu einem gut zehnmütigen Euphorie-Schwall, der nie, niemals, nie Enden möge, gedehnt wird, und in seiner lächerlich großartigen Dynamik und simplen Steigerungsmechanik ein wenig an die frühe Großtat "YEAH" des LCD Soundsystems erinnert. Alles ist richtig bei der Live-Performance von Caribou. Alles ist offen, nie aber verrennt sich die Band in sich experimentell gerierenden Jams oder in Kompliziertheit um der Kompliziertheit Willen. Alles hat Punch und greift. Eine Maschine, die lebt. In der dritten Reihe stehen drei Italiener. Sagt der eine zum anderen: "Perfect, but human."

Feadz

Philipp L'heritier

Feadz
DJ Koze

Philipp L'heritier

DJ Koze

Was man danach tun soll weiß wieder kein Mensch. Wohin die Party-Fackel weitertragen? Dass der unabsichtliche Fidget-House-Erfinder und großartige wie witzige DJ Jesse Rose nach dem Konzert von Caribou die Helmut-List-Halle beschallt, ist ein bisschen schade für den Mann. Die Leute wollen doch jetzt aber hinein in die Stadt und den Duft des Festivals schmecken! Im Dom treten die eigentlich immer formidablen, mittlerweile von Quatsch-House auf Quatsch-Kapelle umgesattelten Noze auf, im ppc gibts Dorian Concept, Martyn und Feadz, und die FM4-Unlimited-Posse zerlegt den kleinen Floor der Postgarage. Im vollen großen Raum zeigt Großmeister DJ Koze zur Primetime, wie ein subtiles Set ohne doofen Speichelreflex-Krawall funktioniert und die ebenso immer wunderbare französische House-Combo dOP was eine Party-Performance mit Stil ist. Der Frontmann, MC und Sänger von dOP, mit nacktem Oberkörper und Cap vom Äußeren her eine Art HipHop-Bär, hat nie keine Zigarette in der Hand und trinkt aus einer grob geschätzt einen Meter langen, vermutlich für ihn höchstpersönlich geblasenen Flasche Vodka. Durchs Publikum gehen lässt er die handelsübliche 700-ml-Version. Das muss genügen.

Heute nicht verpassen: Patrick Wolf, Michael Mayer, Hercules And Love Affair.

dOP

Philipp L'heritier

dOP
dOP

Philipp L'heritier

dOP
dOP

Philipp L'heritier