Erstellt am: 21. 5. 2011 - 16:34 Uhr
Erbsenzähler, Komplettisten, Archivare
Jeder Fernsehsender, jede Radiostation jedes Feuilleton und jedes Musikmagazin muss eine Sendung, eine Diskussionsrunde, einen Artikel zum Jubiläum bringen und braucht dazu frische Statements von Musikern.
Volsbühne Berlin
In wahrscheinlich vielen Städten, in vielen Ländern der Erde wird es am Dienstag „Tribute to Dylan“ – Abende geben. In Köln feiert man unter dem Motto: „Forever young – Birthday Greetings From Cologne“ drei Wochen lang den runden Geburtstag, in Berlin lädt die Volksbühne zu „Hard Rain – 1000 Jahre Bob Dylan“ – einem Abend mit Musik, Kunst und Theorie ein.
Je mehr man sich so gezwungenermaßen mit Bob Dylan beschäftigt, desto unsympathischer wird er eigentlich.
Dass er das Singer-Songwritertum erfunden, die Rock 'n' Roll – Sprache von Kitsch und Banalitäten befreit hat, tolle Lieder geschrieben hat und es verdient hat bis zu seinem Lebensende bei guter Gesundheit durch die Weltgeschichte zu reisen und seine Lieder den Fans vorzutragen, ist dabei ja eh klar.
Erbsenzähler, die Komplettisten, Archivare, die Listenmacher und Enzyklopädisten
Martin Blumenau über Bob Dylan:
- Die dritte Generation der Dylan-Rezeption und was das mit "Ja, Panik" und dem "Nino aus Wien" zu tun hat
- Angst vor Bob Dylan
- Bullshit Bingoing, Going, Gone. Die Angst vor der Reflexion der Popkultur.
Es nerven die ewig gleichen Lobpreisungen, das Gerede von den vielen Masken des Bob Dylan, von seiner unglaublichen Wandlungsfähigkeit, die sich ja auch nur auf zwei, drei verwandte Musikstile und einen Religionswechsel bezieht – gemessen an 50 Bühnenjahren gar nicht so viel. Es nerven vor allem die Dylanologen, meistens Männer um die Sechzig, die Dylan eigentlich auch gar nicht mögen, ihn aber für sehr wichtig halten.
Die akademischen Dylanologen, darunter blitzgescheite Leute wie Theweleit, die Dylan Kongress – Teilnehmer, die Dylan-Symposium-Panelisten sind dabei ja noch die Interessanteren. Schlimm sind die Erbsenzähler, die Komplettisten, Archivare, die Listenmacher und Enzyklopädisten.
Roesinger
Wer das Vergnügen hatte bei einem Dylan Konzert, zum Beispiel in Berlin, hinter zwei Vertretern dieser selbstgefälligen Spezies zu stehen, der konnte teilhaben an ihren spannenden Fachgesprächen – zum Beispiel darüber, dass Dylan 1978 faszinierender weise in der Waldbühne „Maggies Farm“ auch genau als fünftes Lied der Setlist gespielt habe.
Und Dylan, der angeblich große Verweigerer, der sich allen Zuschreibungen entzieht und trotzdem jeden Preis unbeteiligt und schlecht gelaunt entgegen nimmt, er füttert diese mystifizierenden Erbsenzähler und gibt auf seiner Websitegenau an, welcher Song wann und wo zum ersten, zum vorläufig letzten Mal und wie oft überhaupt schon gespielt wurde.
Postmoderner Dekonstruktivist seines eigenen Werkes?
Dem Dylanologen bedeutet jede Lebensäußerung, jedes Räuspern seines Forschungsobjekt etwas Schwerwiegendes. Weil Dylan sich seit Jahrzehnten schon nicht mehr politisch äußert, mutmaßt man, dass jede veränderte Phrasierung im Song ein Zeichen, ein geheimes Statement ist. Tatsächlich hat er ja „It’s Alright Ma (I‘m only bleeding)” zur Nixon Zeit ganz anders gesungen als während der Clinton Ära. ( Für alle Nicht-Dylanologen: In diesem Song kommt die bedeutungsschwere Zeile: But even the president of the United States/Sometimes must have to stand naked” vor.)
Der sehr verständliche Umstand, dass Dylan sich nicht ständig wiederholen will, und dass ihm nach 40 Jahren manche Lieder zum Hals raushängen, und er sie daher live verunstaltet und abändert, auch um seine Band zu ärgern, wird nicht einfach als solcher hingenommen. Nein, Dylan wird als „Postmoderner Dekonstruktivist seines eigenen Werkes“ gefeiert.
Warum macht er das alles, fragt man sich da, warum ist er seit den Achtzigern auf der Neverending Tour“? Er braucht das Geld nicht, er scheint sein Publikum nicht besonders zu mögen und außer in dem Augenblick, wo er die Mundharmonika rausholt, um die Leute zu quälen, scheint er auch keinen besonderen Spaß an seinen Konzerten zu haben.
Vielleicht bringt es ihm Freude die Fans zu ärgern, und seine Exegeten an der Nase herum zu führen, vielleicht spielt er für Banker und Firmenchefs und den Papst und das Weiße Haus weil er einfach nur der „Sing And Dance Man“ sein will, der fahrende Sänger der immer weiter spielt.
Egal, die Lobpreisungen sind geschrieben, die Meinungen verzapft, und die Dylanabende werden gut werden – weil es auch einfach eine schöne Idee ist wenn sich Musiker aus verschiedenen Generationen treffen, um einem alten Griesgram und seine unsterblichen Songs zu huldigen.