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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 5. 2011 - 23:24

Journal 2011. Eintrag 96.

Die dritte Generation der Dylan-Rezeption und was das mit "Ja, Panik" und dem "Nino aus Wien" zu tun hat.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer ersten von womöglich mehreren Annäherungen an den prominenten 70jährigen, den ich seit immer und ewig ehre und mich deshalb an seinem Werk abarbeite, und der demnächst mit einem Symposium in Wien geehrt wird: Bob Dylan. Und zwar über den Umweg einer jungen Musiker-Generation, die ihren Weg zu ihm ganz neu gefunden haben.

"Vielleicht weil es dich nur als den Einen gibt, hinter dem das Viele liegt. Aber nevermind, solang sich deine Sitjuäschan in meine Richtung neigt".

Es mag sein, dass es mir deswegen passiert, weil ich mich aktuell intensiv damit beschäftige. Selektive Wahrnehmung. Schwangere Frauen erzählen dir ja auch dauernd, dass gerade soviele Frauen schwanger sind; weil sie gezielt drauf schauen, ganz unbewusst. Jedem fällt gezielt das auf, was er/sie gerade in sich trägt; im übertragenen Sinn jetzt. Der Spaßvogel findet eher den Zugang zum Lustigen, dem Depressivo scheint alles in monochromen Schwarz, eh klar.

Nur: ich selektioniere und sozialisiere mein ganzes Musik-Leben, zumindest seit ich 12einhalb bin, über Bob Dylan; oder besser: seine Stücke. Da macht ein bissl Hardcore-Beschäftigung für das Paper zum Dylan-Symposium dann wohl keinen echten Unterschied, denke ich.

Trotzdem, oder eben darum finde ich das, was ich von zwei meiner liebsten und zwei der aktuell auch wichtigsten Ensembles in der aktuellen heimischen Popmusik gehört habe, so verblüffend nah dran an den Dylan-Phasen, deren Einflussreichtum immer wieder für Jahre verschüttet wird, um danach umso wilder wieder aufzutauchen.

Aktuell ist das die Phase des wilden "mercury"-Sound der Mitt-60er-Alben und die des von den Schätzen der Americana gespeisten Folkrock Mitte der 70er. Beides Phasen, in denen der Autor am Höhepunkt seiner Bautätigkeit ist, himmelhohe Kathedralen errichtet, aus bilderreichen und wortintensiven Bausteinen, die sich wie glühende Lava in die Sinne des Hörers drängen, ehe sie dort - in all ihrer Wucht erstarrt - nicht mehr rauszukriegen sind.

Genieblitz 1: Der Nino aus Wien

Das erste entsprechende Erlebnis war die Soundpark Studio 2 Session mit "Der Nino aus Wien", also der Band-Einheit, die aus Nino Mandl, Raphael Sas, Paul "pauT" Schreier und David Wukitsevits besteht. Dort präsentierten die vier Spaß-Smasher wie Johnny Ramone und Qualtingeresken Schwachsinn wie den Schlagoberskoch, aber auch einige Stücke vom neuen, noch nicht veröffentlichten Projekt, die mich mit einer durchaus vergleichbaren Wucht überrollt haben. Denn "Plurabelle" oder "Hotel" haben was von der mächtigen Textur, den wie in Trance ausgespuckten beseelten Erleuchtungen, mit denen Dylan Visionen von Johanna, der Straße der Verzweiflung, dem idiotischen Wind, der sich im Blau verfangen hat, so gern punktet. Oder so.

Ich übertreibe jetzt, klar - aber wenn es ein von allen guten Geistern losgelöster Sprach-Jongleur, ein sich nicht mehr hinter seiner Heimlichkeit versteckender Poet wie der Herr Nino schafft, dass jede einzelne Zeile dieser wilden, langen, worttrunkenen Texte (die es schaffen, in sich ein schlüssiges Bild abzuliefern) eigentlich Türöffner für ein jeweils neues Stück mit einer neuen, eigenen Geschichte wären, dann kann ich nicht anders, als mich angestoßen und erinnert fühlen.

Wie der Nino aus Wien da mit dem Klang der Worte spielt, im Wissen, dass das genauso wichtig ist, wie der Reim und die Sinnhaftigkeit und die einzelne Assoziation und die eigentliche Geschichte, aus der auszubrechen, die textliche Improvisation erlaubt... wie unbekümmert und gleichzeitig ergriffen er diese unerhörte Kunstfertigkeit umsetzt... das darf mich schon umhauen.

Ich hab nach dem Konzert die beiden Songs (ein dritter, "Venedig geht unter" passt vom Zugang her genauso, zitiert aber eher die Noise-Pop-Liga der späten 80er, und evoziert keinen unmittelbaren Dylan-Reiz) illegal rauskopiert und spiele sie seither verbotenerweise in der mittwochmitternächtlichen Bonustrack-Sendung.

Genieblitz 2: Ja, Panik

Und dann war da, letzte Woche, der "Ja, Panik"-Auftritt beim Popfest Wien: und trotz mittelstarker Lautstärke und all den anderen Nachteilen, die so ein Stadionrock-Ambiente für eine wild schwitzende Club-Band einfach per se hat, stachen auch hier einige der neuen Stücke hervor, überzeugten, auch wenn sie es leiser angingen - allen Volksgemurmeleien zum Trotz - durch durchaus ähnliche Kriterien. Auch hier, vor allem beim Titelstück "DMD KIU LIDT" und bei der Band-Nabelschau "Nevermind" kamen Qualitäten zum Tragen: die Wucht des Wortes, hier mit deutlich mehr Wut und subversiver Destruktion gesetzt. Die bis an die Grenzen der Selbstbeschädigung ausgereizte Selbstentblößung, deretwegen dann auch jegliche Sachbeschädigung an Anderen legitim daherkommt, hat wahrhaft epische Ausmaße, nicht nur, was Song-Längen betrifft. Und die Reise-Geschichte im Titelstück dockt in dieser Hinsicht genau dort an, wo ich im ersten Fall mit tranceartiger Erleuchtung und ein paar Referenzbeispielen schon war.

Ich will gar nicht behaupten, dass Spechtl und Co. keine Poeten sind oder dass Mandl und Co. keine Wut in sich tragen: es äußert sich nur mit anderem Schwerpunkt.
Und das ist auch gut so, diese Differenz macht einiges her.

Und Amendt rückt es in einen Zusammenhang

Heute ist mir dann ein Zitat vom unlängst verstorbenen Günter Amendt in die Finger geraten. Der teilt 2006 (im Buch Bob Dylan. Ein Kongreß die deutschsprachige Dylan-Rezeption in drei Generationen ein. Die erste fand sich zwischen ahnungsloser Naivität und beschämendem Antisemitismus wieder - denn bis tief in die 70er gab es ja (nicht einmal im Feuilleton) praktisch nichts.
Die zweite beginnt nach Amendt bei Diederichsen, was die seriöse Auseinandersetzung betrifft, und endet - im Negativen - beim ressentimenthaften und banalen Abarbeiten der Musikkritik an 68. Ein Treppenwitz, wo sich kein Repräsentant dieser Phase deutlicher davon abgegrenzt hat. Trotzdem repräsentierte Dylan plötzlich alles, wovon man sich distanzieren wollte.
Die dritte Generation nun ortet Amendt ab den frühen 90ern: jüngere MusikjournalistInnen, die sich an gar nix mehr abarbeiten müssen und ohne Subtext schreiben können. Denen die ganzen Ressentiments, Zuschreibungen und Symboliken einfach am Arsch vorbeigehen.

In Österreich hat bislang tendenziell noch die 2. Generation geherrscht - im Guten wie im Schlechten, auf der einen Seite die Reserve-Diedeln, auf der anderen die Komplex-Abarbeiter.
Dass jetzt der Befreiungsschlag von Seiten der Musikanten kommt, ist ein Zeichen für deren aktuelle Qualität, aber auch eins für die inexistente Pop-Reflektion. Allerdings ist mir die gerade blunznwurscht. Ich hör mir diese unglaublichen Stücke an und lass mich darin treiben.