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Rafael Reisenhofer Osnabrück

Lebt und studiert in Osnabrück

13. 5. 2011 - 23:00

Die Uni als Computerspiel

Wer braucht schon Erkenntnis? Wir knacken den Highscore!

Ende vergangenen Jahres wurde auf diesen Seiten eine dem Wirken des britischen Philosophen und Logikers Bertrand Russell gewidmete Graphic Novel vorgestellt. Zu sehen war unter anderem nachstehendes Bild:

logicomix

Bertrand Russell (oben links, unten rechts) und Kurt Gödel (oben rechts, unten links)

Alan Turing ist übrigens ein verehrenswerter britischer Mathematiker und Logiker. Wurde er wegen seiner maßgeblichen Mitwirkung an der Entschlüsselung der deutschen Enigma nach Ende des zweiten Weltkriegs noch als Kriegsheld gefeiert, so zwang ihn 1952 ein Gerichtsbeschluss wegen seiner Homosexualität zu einer chemischen Kastration.

Für das ihm zugefügte Leid hatte sich der britische Premier Cameron erst kürzlich öffentlich entschuldigt.

Alan Turing beging am 7. Juni 1954 Selbstmord.

Der Turing-Test ist eine Methode, um die Leistungsfähigkeit künstlicher Intelligenzen mit der menschlichen Kognition zu vergleichen. Er gilt als bestanden, sobald es einer KI gelingen sollte, in einer Konversation (einem Chat) nicht von einem echten Menschen unterscheidbar zu sein.

Trotz umfassender Bemühungen ist dies bis heute nicht gelungen.

Der junge Kurt Gödel ist mit dem ambitionierten Unterfangen Russells, in der Principia Mathematica die gesamte damalige Mathematik axiomatisch zu begründen, nicht im Reinen, und nutzt die Gegenwart des Autors für einen Klärungsversuch. Dieser zeigt sich ob solcher Anteilnahme beeindruckt und offen für jede Diskussion. Der weitere Verlauf des Gesprächs entzieht sich meiner Kenntnis, der Rest ist allerdings Geschichte. Kurze Zeit später sollte Gödel nicht nur die Unmöglichkeit der Russellschen Unternehmung beweisen, sondern mit dem berühmten Unvollständigkeitssatz die Grundfeste der Mathematik nachhaltig erschüttern. Ganz großes Tennis.

Anders gesagt: Zwei Wissenschaftler debattieren in gediegenem Ambiente ihr Fachgebiet. In weiterer Folge führt dieser Austausch zu neuartigen Ansichten und - ja - Erkenntnis.

Man mag mich einen Fantasten schimpfen, aber solcherart stellte ich mir das Soziotop Universität gerne vor - bis mich die Realität eines schlechteren belehrte. So erlebe ich häufig, dass zum Auftakt einer Vorlesung nicht deren inhaltliche Ausrichtung, sondern vornehmlich Prüfungsmodalitäten diskutiert werden. Viel wichtiger als der eigentliche Stoff scheint die Frage zu sein, wo und wie man mit welchem Notenschlüssel die ausgeschriebene Menge an Credit Points erlangen kann. Diese Beobachtung lässt sich an Mensa- und Caféhaustischen beliebig fortsetzen. Anstatt die Perspektiven analytischer Philosophie oder Sinn und Unsinn des Turing-Tests zu erörtern, schwadroniere ich mit meinen StudienkollegInnen über anstehende Klausuren, unseren aktuellen Schnitt an ECTS-Punkten und die Notenvergabe eines Mathematik Professors. Fast so, als ginge es an der Universität nicht um Wissensvermittlung und Erkenntnis, sondern um den Highscore.

Das wirklich Tragische daran: Gelingt einem nach Jahren des Studierens als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder gar Professorin der Eintritt in den regulären Forschungsbetrieb, scheint sich die Lage nur an der Oberfläche zu verändern. Anstatt des Notenschnitts darf einem nun die persönliche Publikationsrate den Schlaf rauben. Werben Studierende noch um die Gunst der gestrengen Professorin, so dürfen Forscher wissenschaftliche Journale der Höhe ihres Impact Factors entsprechend bezirzen.

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Super Mario Galaxy 2": Mario und Yoshi finden einen goldenen Stern.

Nintendo

Die meisten Punkte in der kürzesten Zeit.

Warum sich das System Universität in den vergangenen Jahrzehnten in kleinen aber bestimmten Reformschritten ein so enges Korsett der Messbarkeit angelegt hat, ist schwer zu erklären. Ein perfekter Notenschnitt löst keine Energiekrise und eine hohe Publikationsrate heilt keinen Alzheimer-Patienten. Eine gewisse Korrelation zwischen derartigen Kenngrößen und tatsächlichem wissenschaftlichen Fortschritt mag vorhanden sein. Sie dürfte allerdings in keiner Relation zu dem Potential stehen, das unser Wissenschafts- und Lehrbetrieb hätte, könnten Studierende und Forschende ohne größere Ablenkungen das tun, wozu sie eigentlich an die Universität gekommen sind: nachdenken.