Erstellt am: 29. 4. 2011 - 13:00 Uhr
Automatisch Autotune
Das Donaufestival 2011 auf FM4
- Donaufestival Tag 1: Knoten, Wurzeln, Triebe (David Pfister)
- Automatisch Autotune mit James Blake (Philipp L'Heritier)
- Die Universalkünstlerin: Zu Besuch bei Laurie Anderson (Christian Lehner)
- Donaufestival Tag 2: Ernste Lektionen (David Pfister)
Programmtipp:
Am 3.5. senden gibt es in der FM4 Homebase (19-22) ein "Best of" des ersten Wochenendes in Krems
Noch ein bedächtiger Schluck aus dem großen Teehäferl, dann soll es weitergehen. James Blake sitzt hinter zwei Synthesizern und muss die Stimme in Schuss halten, immerhin sein vorderstes Instrument, sein Umgang damit Alleinstellungsmerkmal. Dass die Kremser Minoritenkirche beim Eröffnungskonzert voll sein würde, hat man lange schon gewusst, mit dem Engagement von James Blake und seiner zwei-köpfigen Band ist dem Donaufestival der für österreichische Musikveranstaltungen seltene Coup geglückt, jemanden ins Programm zu manövrieren, der gerade im Zenit seiner globalen Geilheit steht – und das komplett richtigerweise, abgefedert und legitimiert durch eine fantastische Platte. Schön, dass die Macher des Festivals völlig glücksberauscht die Kirche nicht überbucht haben, so können die Menschen auch noch locker nach links und rechts umfallen, selbst während in der Bierschlange vor einem schon dreißig Leute warten.

florian schulte/donaufestival
James Blake: So cool, dass es längst cool ist, zu James Blake das Gesicht zu verziehen. All die Hater, die immer "Hype" flüstern und das nicht kopftätschelnd lieb meinen, wenn einer etwas Gutes macht und deshalb quer durch die Medien gereicht wird, mögen schweigen und hören, dass James Blake ein sehr, sehr gutes Album aufgenommen hat – möglicherweise das beste des Jahres so far – ein Album, das mitunter tatsächlich eine neue Popmusik ausprobiert, sei's aus Zufall, Faulheit oder wegen der genialen Geister, die Blake so durchs Hirn blitzen. Der junge englische Mann James Blake, der mittlerweile als "Musiker" und "Sänger", weniger als "Produzent", bezeichnet werden muss, hat auf seinem Debüt-Album, das zu Fug und Recht "James Blake" heißt, verbogenen Soul und R'n'B um Schwundspuren von Elektronik und Reste von Bass angereichert und so einen prächtigen Minimalismus kultiviert. Mit Dubstep hat das bloß noch in Fußnoten zu tun.
Live gilt es genau das zu erleben: James Blake, unterstützt von einem Mann am Drumset, einem anderen an Gitarre und Effekten, verlässt sich auf sein Debütalbum, das ein wenig gar solide werkgetreu nahezu komplett zur Aufführung kommt – frühe Stücke, wie etwa von der herausragenden "Bell Sketch"-EP oder der Jahrhunderttrack "CYMK", in denen Dubstep nicht als Dogma, sondern Experimentierfeld begriffen wird, bleiben ausgespart. Einmal gibt es "Klaviewerke". "Unluck", der schön polternde Eröffnungstrack des Albums, ist auch der erste des Konzerts. Für "Give Me My Month" wechselt Blake an den Flügel ("It's Nice To have a Grand Piano"), als bei "I Never Learnt To Share", einem der herausragenden Stücke des Albums, der Beat mächitg durch die Kirche donnernd einsetzt, kommt das einem lebensveränderten Stich in die Seele gleich.

florian schulte/donaufestival
So hangelt sich James Blake feingliedrig von Klavier-Handwerk zu zärtlichem Bassgetöse und wieder zurück, im Zentrum des Geschehens steht seine zerbrechlich gegossene Stimme. Nackt steht sie da, wird geloopt und geschichtet oder via Autotune oder ähnlichem Manipulations-Werkzeug in Sphären geschraubt, die eine Nähe Blakes zu Acts wie Funkadelic/Parliament oder D’Angelo erahnen lassen und in ihrer teils wunderbar cartoonhaften Überzeichnetheit strengen Klang-Avantgardisten die Grenzen ihrer Pop-Verträglichkeit aufzeigen.
Wo "James Blake" eine eigene magische Sound-Ästhetik definiert, wirkt die Platte in der Live-Darbietung mittlerweile schon selbst ein wenig als in der Zeit eingefrorenes Konstrukt, und so erwachsen einige Höhepunkte des Abends dann gerade doch aus jenen Momenten, in denen der poröse Reduktionismus des Albums gedehnt wird: "Tep And the Logic" beispielsweise, ein Bonustrack der Vinyl-Ausgabe von Blakes Album, das ein wortloses Summen und Greinen des Künstlers mit für das Konzert deutlich stärker als auf Tonträger aufgeschäumtem Brummen aus der Geisterbahn verbindet. Wenn beispielsweise verstärkt Richtung Dub geforscht - also immerhin eine Wurzel der Blakeschen Musik zumindest ansatzweise freigelegt - wird, oder die Band in der Schlusspassage der mittlerweile fast schon nur mehr schwer hörbaren Feist-Coverversion "Limit To Your Love" (man muss, muss, muss speichelreflexhaft ja trotzdem eine kurzes "Yeah!" in den Raum stoßen) mit vielarmigem Schlagzeug-Einsatz UK-Bass-Musik andeutet.

florian schulte/donaufestival
Das auf James Litherlands "Where To Turn" basierende "The Wilhelm Scream" beschließt als bestes Stück von Blakes Albums erwartungsgemäß und nicht weniger als positiv weltbilderschütternd den Abend und versöhnt mit der möglichen Enttäuschung darüber, dass auf der Bühne jetzt leider doch nicht mit Feuerbällen jongliert worden ist. Nach dem Joni-Mitchell-Cover "A Case Of You" als einziger Zugabe am Solo-Piano darf man in die frühe Nacht hinaustreten und sich an der Gänsehaut der Menschen vergewissern, dass man in zwei Jahren wird sagen wollen: "Ja, ja, sicher, ich bin dabei gewesen."
Erhellende Augenblicke höchster Gemütsverneblung und Momente des Gefühls, einfach bloß ein bisschen gut satt zu sein. Ein großer, großer Abend, durchspielt mit dem Autopilot der so genannten professionellen Konzentration. Haben wir Galle, Explosion und Dolche erwartet? Es soll nicht jeden Tag die gesamte musikalische Weltrevolution auf den schmalen Schultern dieses wunderbaren jungen Mannes ruhen.

florian schulte/donaufestival

florian schulte/donaufestival
Außerdem sehr super am ersten Abend: Das aus dem englischen Kendal stammende Quartett – heute mit einer Frau am Keyboard zu fünft - Wild Beasts, das mit seinem demnächst bei Domino Records erscheinenden dritten Album "Smother" ebenfalls eine Anwärter für das Album des Jahres im Gepäck hat. Die Band entfernt den Machismo aus der Rockmusik, scheint sich an elastischem Gitarren-Wave der 80er wie möglicherweise dem von Orange Juice zu orientieren und dringt bisweilen in Gegenden von New Pop, Prefab Sprout oder Talk Talk vor. Auch die Wild Beasts spielen ihr neues Album nahezu zur Gänze, was angesichts der Tatsache, dass dessen Veröffentlichung noch aussteht und des wohl ohnehin geringen Bekanntheitsgrades der Band in Österreich auf überraschend viel Gegenliebe stößt. "Frühe Simple Minds", kann man jemanden sagen hören. Die sollen ja auch einmal ganz gut gewesen sein.
Heute: Neben vielem anderen Wildbirds & Peacedrums nicht versäumen.