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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

28. 4. 2011 - 17:07

Mayday! Mayday!

Prekär Lebende organisieren sich selbst und verzichten auf die Gewerkschaft.

Wenn die Vertreter von SPÖ und Gewerkschaften am 1. Mai wieder Reden schwingen, in denen sie die Arbeiterbewegung hochleben lassen, dann fühlt sich eine größer werdende Gruppe Arbeitender davon ausgeschlossen: die prekär Arbeitenden und Lebenden. Ihre Lebensrealitäten, instabile Arbeitsverhältnisse und eine fehlende soziale Absicherung werden selten in den Ansprachen thematisiert. Österreichs Arbeitsmarktpolitik ist auf das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ausgerichtet, die Festanstellung.

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Doch auch die Festanstellung ist von prekären Elementen, Unsicherheit und niedrigen Einkommen bedroht. In Italien ist dieser Prozess schon weiter fortgeschritten. Ein Großteil aller neuen Arbeitsverträge ist hier schon befristet. Junge MailänderInnen setzten deshalb 2001 einen Notruf ab: "Mayday!" riefen sie und gingen an die Öffentlichkeit. Mit einer Parade der Prekarisierten am 1. Mai wollten sie sich sichtbar machen, auf ihre Probleme hinweisen und sich vor allem als Subjekt, als prekarisierte "Klasse" konstituieren. Mittlerweile sind sie nicht mehr zu übersehen, letztes Jahr zogen über 100.000 Menschen auf der Mayday-Parade in Mailand durch die Stadt.

In der EU leben heute fast doppelt so viele arme Menschen, die einen Job haben (ca. 14 Millionen), als Arbeitslose, die laut Statistik arm sind (ca. 7 Millionen). Es herrscht ein massiver Trend in Richtung Ausweitung von Niedriglohnsegmenten, unfreiwilliger Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung und damit prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Von Italien aus hat sich die Mayday-Parade auf mehrere europäische Städte ausgedehnt, seit 2005 gehen die Prekären auch in Wien auf die Straße. Die Zugehörigkeit zum Prekariat ist dabei nicht ganz einfach zu fassen. Oft werden prekäre Arbeitsbedingungen nämlich mit atypischen Arbeitsverhältnissen, also etwa Leiharbeit oder Arbeit auf Basis von freien Dienst- oder Werkverträgen, gleichgesetzt. Doch nicht jede Werkvertragsanstellung ist prekär und auf der anderen Seite können auch Normalarbeitsverhältnisse prekäre Elemente aufweisen, z.B. wenn sie von Einsparungen bedroht sind. Und die führen dann zu existenziellen Fragen, wie Rosa Lenz, eine der OrganisatorInnen der Mayday-Wien ausführt:

Wo wohn' ich? Woher bekomme ich mein Geld zum Leben? -das muss ja nicht nur über die Arbeit sein, sondern kann auch vom AMS sein? Wie werde ich am AMS schikaniert? Habe ich überhaupt einen Annspruch auf Arbeitslosengeld? Hab' ich lange genug gearbeitet, damit ich eine Pension bekomme? Habe ich einen eigenen Pensionsanspruch? Kriege ich eine Mindestsicherung oder kriege ich sie nicht, weil mein Partner oder PartnerIn zu viel verdient? Was mache ich, wenn ich in Österreich nicht arbeiten darf? Was tue ich, wenn ich krank bin, aber keine Versicherung hab?

Eine einfache Lösung für diese Probleme sehen die VeranstalterInnen der Mayday-Parade nicht, von der Gewerkschaft erwarten sie sich allerdings keine Antworten. Deren Arbeitskampfformen finden sie für ihre Situation nicht wirklich adäquat. Prekär Arbeitende können es sich nicht leisten zu streiken, und Verhandlungen über den Kollektivlohn würden ihnen, die sie oft außerhalb von Kollektivverträgen arbeiten, nichts bringen.

Demonstranten in Mailand bei der "Mayday" am 1. Mai 2008

ANSA Fotograf : Tonino Di Marco

Mayday Demo am 1. Mai 2008 in Mailand

Infos zum Thema Working Poor
www.prekaer.at

Analyse zum Thema Jugendarbeitslosigkeit und AMS:
www.gbw-wien.at

EU Politik und Prekarisierung
www.perspektiven-online.at

Die Gewerkschafterin Andrea Schober von der GPA-djp sieht das naturgemäß anders. Sie ist Bundessekretärin der Interessensgemeinschaft work@flex, die sich für atypisch Beschäftigte einsetzt. In der Gewerkschaft organisiert sie Menschen mit freien Dienst- und Werkverträgen. Andrea Schober hat auch Zahlen über prekär Arbeitende parat. 7% der Erwerbstätigen in Österreich wären "Working Poor", das sind ca. 250.000 Personen, davon wären ca. 50.000 WerkvertragsnehmerInnen und 55.000 mit freien Dienstverträgen. Während die Zahl der WerkvertragsnehmerInnen zunehme, würde die Anzahl der freien Dienstnehmer seit 2008 durch die Bemühungen der Gewerkschaft stetig sinken.

Die Gewerkschaft schreibt sich vor allem die Reduzierung der sogenannten "Umgehungsverträge" zu, also Dienstverhältnisse, wo Personen als freie Dienstnehmer beschäftigt wurden, obwohl sie anstellungspflichtig gewesen wären. In großen Unternehmen würde das gut funktionieren. Besonders in der Callcenterbranche sei die Gewerkschaft dabei in Zusammenarbeit mit den Gebietskrankenkassen sehr erfolgreich gewesen.

Demonstrater sporting sign reading "No hope and dignity", "No future" and "No life" attend the "MayDay Parade" organised in downtown Milan on Monday 01 May 2006 by leftist organizations and movements

ANSA Fotograf : Daniel Dal Zennaro

Andrea Schober räumt aber auch ein, dass die Arbeitswelt sich in einem großen Umbruch befindet. Leute werden vermehrt in die Selbständigkeit gedrängt und in manchen Branchen werden nur mehr Werkverträge angeboten. Die Gewerkschaft versuche nun, für ganze Branchen verbindliche Honorarsätze auszuhandeln, was aber nicht überall gleich gut funktioniere. Die Gewerkschaften in Österreich hätten auch nicht mehr den gleichen Einfluss wie vor 40 Jahren. Der Arbeitskampf müsse immer öfter auf die Straße getragen werden. Unter anderem deswegen unterstützt work@flex auch die Mayday-Parade.

Michael Schmid hat mit Diedrich Diederichsen ein Interview über die neuen Arbeitsverhältnisse, die Aufhebung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit geführt

Die Strategie der Gewerkschaft, atypische Arbeitsverhältnisse in Normalarbeitsverhältnisse umzuwandeln, entspricht nicht ganz den Vorstellungen von Rosa Lenz. Sie will die atypische Arbeit nicht aufgeben, weil sie viele ihrer Merkmale auch zu schätzen weiß: keinen fixen Arbeitszeiten, keine Weisungsgebundenheit, kein fixer Chef, mehr Selbstgestaltungsspielraum etc. "In Summe ist nicht die Prekarisierung das Problem" meint Rosa Lenz, "sondern die mangelnde soziale Absicherung und die Frage wie komme ich zu meinem Geld, meiner Wohnung und meinem Essen? Und da wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen eine adäquate Anwort darauf."

Die Mayday-Parade startet am 1.Mai um 14:00 am Wallensteinplatz, Wien

Dazu wird es aber so bald nicht kommen und so gehen die Prekären am 1. Mai auf die Straßen Wiens um laut und sichtbar zu sein. Sie wollen zeigen, dass es in Österreich mehr gibt als nur Normalarbeitsverhältnisse, und dass diese mehr sich auch organisieren können.