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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

26. 4. 2011 - 20:02

Die Universalkünstlerin

New York State Of Mind. Eine lose FM4-Homebase Serie über Persönlichkeiten, die dem Big Apple ein Krönchen aufsetzen. Dritter Gast: Laurie Anderson – Künstlerin, New York Ikone und am 5. Mai beim Donaufestival in Krems.

"It's always a good time to complain"

Zunächst sind da die Augen.

Laurie Anderson

Christian Lehner

Das Donaufestival 2011 auf FM4

Programmtipp:
Am 3.5. senden gibt es in der FM4 Homebase (19-22) ein "Best of" des ersten Wochenendes in Krems

Sie sind grün, hellwach und interessiert. Ein Tänzeln am Gegenüber, das erst aufhört, als die Begegnung zu Ende ist. Laurie Anderson begreift ein Interview als Gespräch. Fragen werden nicht beantwortet, sondern diskutiert. Ob ein abstrakter Popsong wie ihr beklemmend prophetisches ‚O Superman‘, das 1981 bis auf Platz zwei der UK-Single Charts kletterte, heute überhaupt eine Chance hätte in den Mainstream Charts? „Charts?“, fragt Anderson mit schalkisch unschuldiger Miene zurück. „Is there anything like charts these days?" Gute Frage.

Das Studio

Wir sitzen im Tonstudio ihres mehrstöckigen Ateliers am westlichen Rand von Soho. Durch die großflächigen Fenster schillert das Wasser des Hudson River. "Jenseits davon liegt Amerika", sagt Laurie, die auf die Anrede „Laurie“ besteht. „New York is an island, like Venice. It has nothing to do with America“. Stimmt. Mein innerer Immobilienmakler, zu dem jeder Stadtbewohner nach einer Weile mutiert, rechnet gerade den Wert dieser Liegenschaft hoch, erblasst und denkt, dass Venedig tatsächlich ein passender Vergleich ist. Doch Laurie wäre nicht die Universalkünstlerin Laurie Anderson, würde sie es bei diesem lokalpatriotischem Taschenspielertrick belassen, den man als Besucher an allen Ecken und Enden der Stadt präsentiert bekommt, sobald das Gespräch auf die Verfasstheit des Homelands kommt, aber dazu ausführlicher in der Sendung.

Wie viele junge, wilde und hungrige Künstler ist Laurie Anderson in den 70er Jahren nach Soho gezogen. Die Stadt war pleite, der Mittelstand längst nach Suburbia geflohen und Downtown Manhattan ein Biotop der Kreativität samt Drogenproblemen, hoher Kriminalität und der Erfindung des Punk und No Wave. Mit ihren Multimedia-Performances, Klangmöbeln, Bildern, Gedichten und Installationen machte sie sich schnell einen Namen in der lokalen Kunstszene und zählt mittlerweile zu den Säulenheiligen des Warholschen Nachkriegs-New York zwischen Avantgarde, Pop Art und Downtown Cool, wobei Anderson sich nie dem abgerockten Existentialismus verschrieb, wie es ihr späterer Ehegatte Lou Reed mit und nach seiner Zeit bei The Velvet Underground getan hatte.

Anderson näherte sich dem Pop vielmehr analytisch wie eine Klangforscherin. "At heart I am a journalist. I want to find out how things really work", sagt sie. Laurie baute ihre eigenen, elektronischen Klangerzeuger und Apparaturen, schloss sie mit dem Instrumentarium der Klassik kurz und leistete mit ihrem Faible für das Repetitive Pionierarbeit in Sachen Techno und Spoken Word Poetry.

Laurie Anderson

Nonesuch

Zwischen Homeland und Music For Dogs

Für all das bleibt an diesem sonnigen Aprilnachmittag an der Canal Street zu wenig Zeit. Laurie Anderson verfügt zwar über eine kleine Armada an PAs und Helferleins - so wartet ein alter Hippie im Nebenstudio mit überkreuzten Beinen am Rücken liegend auf Anweisungen - aber sie neigt wie viele New Yorker zum zersausten Micromanagment. „I know, it’s ridiculous“, sagt Laurie, während das iPad fiept, das Telefon uns bis ins Studio hinunter verfolgt und alle 10 Minuten jemand anderes in der Tür steht.

Die uns zur Verfügung stehende Zeit schmilzt und das Gespräch sollte sich am Ende überwiegend auf Popmusik und Politik, die brandaktuellen Versäumnisse von Präsident Obama, das diesbezügliche Schweigen der Kunst und ihr aktuelles Album Homeland beschränken, über das sich Laurie Anderson mit den Post-9/11 Jahren unter George W. Bush auseinandergesetzt hat (Ok, ein bisschen Lou, New York unter Bloomberg und Music For Dogs war dann schon auch drin).

Dass das alles dennoch nicht im Stile eine Proseminars vertrocknete, ist dem Talent Lauries zu verdanken, während des Erzählens schreiben und dichten zu können. Ihr Umgang mit Sprache ist schlicht betörend; witzig und unterhaltsam obendrein.

Knappe 40 Minuten später verschwinde ich zufrieden in den Richtung Chinatown drängenden Menschenmassen auf der Canal Street, während Laurie noch ein Gedicht fertigschreibt, an einem Bild weitermalt und eine alte Installation umbaut. Sie sei alles nur kein "creating monster" hat sie am Anfang des Gesprächs erklärt. Das mit dem Monster glaube ich ihr gern.

Laurie Anderson

Christian Lehner

Am 5. Mai tritt Laurie Anderson beim Donaufestival in Krems auf und wird dort den mehrere Karrierestationen umfassenden Zyklus „Transitory Life“ performen. Heute ist sie zu Gast bei der dritten Ausgabe von New York State Of Mind, zu hören ab 19 Uhr in der FM4-Homebase.

Playlist

artist song  
Cat Power New York, New York  
Laurie Anderson O Superman  
TV On The Radio Repition  
Antony And The Johnsons Epilepsy Is Dancing  
Laurie Anderson Only An Expert  
Lou Reed Dirty Blvd  
Laurie Anderson Another Day In America�  

New York State Of Mind mit Laurie Anderson, sieben Tage zum Nachhören:

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