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Pia Reiser

Filmflimmern

25. 4. 2011 - 12:21

Wem die Märchenstunde schlägt

Regisseurin Catherine Hardwicke kommt inszenatorisch vom Wege ab und schickt Amanda Seyfried durch einen filmischen Topfen namens "Red Riding Hood".

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Wenn ihr dieser Tage ein seltsames Geräusch vernehmt, habt keine Angst. Das sind bloß die Gebrüder Grimm, die im Grab rotieren, immer dann, wenn in irgendeinem Kino auf dieser Welt "Red Riding Hood" gezeigt wird. Catherine Hardwicke, die Frau, die mit "Twilight" die erfolgreiche keusche Saga um eine junge Frau zwischen einem Vampir und einem Werwolf auf die Leinwand gebracht hat, bleibt ihrem Themenkreis treu. Valerie (ja, Rotkäppchen ist nur der Künstlername) steht wie Bella in der Twilight-Saga ebenfalls zwischen zwei Männern, die ebenso wie Werwolf-Jacob und Vampir-Edward mit der Gabe gesegnet sind, mindestens fünf Gesichtsausdrücke drauf zu haben, die zum Standardrepertoire eines Universalversand-Models gehören. Valerie und die beiden Dressmen namens Peter und Henry leben in einem kleinen Dorf in der Nähe eines großen Waldes, die Zeitschreibung sagt "Mittelalter", die im Film gesprochene Sprache und die Geschichten, die erzählt werden, sagen "Das ist aber egal". Und recht haben sie. Ausstattungstechnisches Mittelalter meets verhaltenstechnische Soap meets Mythenmelange.

junge Frau mit rotem Cape, Szenenbild aus "Red Riding Hood"

Warner Bros

Red Riding Hood aka (Medie)valerie

In einem Dorf, das so gern nach "The Village" aussehen würde, aber "Xena" oder "Hercules"-Bauten ähnelt, siedelt Hardwicke ihr zusammengeflicktes Rotkäppchen-Märchen an, ein geschichtenbausteintechnisches Frankenstein-Monster von Drehbuchautor David Johnson, der sich nach dem Märchen nun die Mythen vornimmt und nach "Red Riding Hood" das Skript für "Wrath of the Giants" geschrieben hat. Ein Sequel zum Immer-fest-druff-Abenteuer der griechischen Götter? Release the Kraken. Now.

Szenenbild aus "Red Riding Hood"

Warner

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Wie in "Twilight" springen in "Red Riding Hood" Werwölfe mit ihren uneleganten Riesensätzen durch den Film, dankenswerterweise verwandeln sie sich hier nicht vor dem Auge des Publikums in ihre menschliche Gestalt und belasten einem nicht mit dem "Twilight"-Dilemma, warum diese Werwölfe nach der Menschwerdung zwar einen nackten Oberkörper haben, aber Shorts und Sneaker tragen. Valerie (Amanda Seyfried) also, die neckt stets den Waldarbeiter Peter, mit dem sie schon als Kind beseelt in der Blumenwiese lag und kleinen Hasen die Kehle durchgeschnitten hat. Sowas verbindet natürlich und die beiden lieben sich immer noch, nur Valeries Mutter - Virginia Madsen mit Dauerwelle, die so aussieht, als würde sie nebenbei noch in einer Rockerbar an der Route 66 kellnern - will Besseres für ihre Tochter. Schmied Henry soll Valerie ehelichen.

Mann mit Fackel, Szenenbild aus "Red Riding Hood"

Warner Bros

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Nun bleibt aber für derartige Herzensfragen in der fahrigen Inszenierung keine Zeit, weil eben der Werwolf sein Unwesen treibt und alles tötet, was nicht bei drei auf "heiligem Boden" ist. Als wäre dieses kleine Dorf voller Ehebruch, Eifersüchteleien und Angst nicht eh schon am Rande des Nervenzusammenbruchs, taucht eines Tages auch noch Father Salomon auf. Gary Oldman spielt diesen Mann zwischen Pimp und Straßenprediger. Oldman reist mit metallenem Elefanten (fragt nicht) einher und hat einen Heidenspaß daran, die Selbstlaute theatralisch zu dehnen und in violettem Samtgewande und silbernen, spitz zugefeilten Fingernägeln so etwas wie camp in die filmische Sprödheit zu bringen. In diesen Gaga-Momenten, wenn das Dorf an Oldmans Lippen hängt, wie er seine Begegnung mit dem Werwolf schildert und als Beweis die Hand seiner toten Frau in einer Holzkiste präsentiert, kann man "Red Riding Hood" kurz was abgewinnen. Diese Momente sind kurz und kostbar. Die Dialoge hingegen sind lang und wertlos und so hölzern, dass, wenn man genau hinhört, sich Schiefer einzieht. Auch visuell zieht einen hier nichts in den Bann, die besten Entscheidungen das Bildliche betreffend sind Großaufnahmen von Amanda Seyfrieds ungewöhnlichem und schönem Gesicht. Oh warum nur Amanda, hast du so schöne Augen? Auch das rote Cape, das die Hippieoma (Julie Christie) für ihre Enkelin genäht hat, sorgt inmitten der üblichen Mittelalter-Klamotten zwischen matschbraun und steingrau für zumindest kleines Auf- und Hinsehen.

Gary Oldman als "Father Salomon" in "Red Riding Hood"

Warner Bros

Einen Film in der Vergangenheit spielen zu lassen Sprache und Verhaltensweisen der Figuren aber eher aktuell zeitgeistig zu gestalten, ist ein schwieriges Unterfangen . Da braucht man ein gutes Skript und gute Regie; eine Vision. Sofia Coppola gelang das mit "Marie Antoinette". Dass Hardwicke Ähnliches vorhatte, wird in den Szenen klar, in denen das Dorf feiert, neben Rumgehopse und Gesaufe - wie mittelalterliches Feiern in Filmen immer ausschaut - gibt es plötzlich Eifersüchteleien und Tanzerei wie in einem Teenie-Film, während Fever Rays entrückte Stimme ertönt. Converse und New Order in Versailles um 1790, das kann nicht jeder. Coppola kann das, Hardwicke scheitert in diesem Bestreben. Dabei gelang ihr in "Twilight" das kleine Wunder das Phantastische in eine reale Umgebung einzubetten, so dass man auch einen Vampir, der in der Sonne glitzert, gelassen hinnahm. Für Fantasy hat sie ein Inszenierungshändchen, für den Horror aber noch nichtmal einen kleinen Finger.

szenenbild aus "red riding hood"

Warner bros

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In Geschichten rumzupfuschen, die jeder kennt, ist ohnehin keine einfache Aufgabe, ein Märchen aber mit weiteren allseits bekannten Geschichten zu vermengen und zu verformen führt hier zu einem unausgegorenen Wischiwaschi. Hexenjagd, Liebes-Dreieck, Familiendrama, Werwolf. Kein Wunder, dass es Valerie danach drängt, Peter im Heustadl zu verführen, bei all dem Krampf. Doch Sex gibt es auch - wie anfangs für Bella - für Rotkäppchen keinen, da kann der Werwolf, der bekanntermaßen unter anderem die unterdrückte Triebhaftigkeit symbolisiert, noch so oft durchs Bild hoppsen. So richtig daneben wird der Film dann, wenn er sich doch noch auf das besinnt, was im Titel steht und sich Rotkäpppchen auf den Weg zur Großmutter in den Wald macht.

Da schwebten im ganzen Kinosaal kleine "WTF"-Denkblasen über den Köpfen; da wurde der Quargel, der "Red Riding Hood" bis dahin war, endgültig zum Topfen. Rotkäppchen war aber erst der Anfang. Mit "Tangled" schickte Disney Rapunzel auf die Leinwand, Hailee Steinfeld soll Dornröschen spielen, gleich zwei "Schneewittchen"-Filme sind in Planung und noch läuft der "Schöne und das Biest"-inspierierte "Beastly" in den Kinos. Jeremy Renner und Gemma Arterton werden in "Hänsel und Gretel" eben jenes Geschwisterpaar spielen, die Jahre nach der Gefangenschaft im Lebkuchenhaus zu Hexenjägern werden. Und ich befürchte, auch Rotkäppchen werden wir wiedersehen.

Szenenbild aus "Red Riding Hood"

Warner Bros

Denn einen gruseligen Moment gibt es dann plötzlich doch: Das Ende von "Red Riding Hood" beschwört sowas wie die Möglichkeit einer Fortsetzung herauf. Vielleicht war ich bei der Geburt eines Franchise-Monsters dabei.