Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Beiß mich, Darling!"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

19. 1. 2009 - 11:21

Beiß mich, Darling!

Vom romantischen Pubertätsphänomen 'Twilight' bis zu den sleazy Blutsaugern in 'True Blood': Über den aktuellen Trend zum Vampirismus in Film und Fernsehen.

Nichts wäre leichter, als über diesen Film unbarmherzig herzufallen. Ich kann mir vorstellen, dass manche Kritikerkollegen spätestens nach dem ersten Drittel der Laufzeit Begriffe wie "Teenieschmonzette" in ihr Notizbüchlein schrieben. Und wahlweise lachten oder gequält stöhnten.

Ich mochte 'Twilight'. Und mir gefällt auch das ganze dazugehörige, gigantische Phänomen, das Millionen Mädchen in aller Welt in den Bann zieht.

Dabei wusste ich bis vor einigen Wochen noch gar nichts von der Hysterie, die die Romansaga der amerikanischen Autorin Stephenie Meyer schon lange in Jugendzimmern auslöst. Erst als etliche der Magazine und Blogs, die ich regelmäßig goutiere, vom Megaerfolg der Bücher und des dazugehörigen Films berichteten, weckte das meine Aufmerksamkeit.

Constantin

'Twilight', bei uns mit dem malerischen Subtitel 'Bis(s) zum Morgengrauen' versehen, verpackt grundsätzliche Schlüsselthemen des Erwachsenwerdens in eine klassische Genregeschichte. Es geht um die fragile Bella, eine gleichermaßen intelligente wie schüchterne 17-Jährige, die sich unsterblich in einen geheimnisvollen Burschen in ihrer High School verliebt. Recht schnell entpuppt sich dieser Edward als Sprössling einer Vampirdynastie, die in der tristen Kleinstadt ein verstecktes Dasein führt.

Der Punkt ist: Die beiden dürfen sich nie wirklich ernsthaft nahe kommen, weil der Bursche seine Angebetete sonst aussaugen müsste. Und das möchte Edward, der freundliche Untote, um jeden Preis vermeiden.

Es geht also um jene verzehrende Sehnsucht von pubertierenden Mädchen, die auch hinter sämtlichen Boyband-Fanatismen steckt. Der Vampirismus steht bei Stephenie Meyer als Platzhalter für Liebe bis zur Selbstaufgabe, aber ohne Sex, er symbolisiert das unerfüllte Begehren, diesen Dauerbrenner der Poesiealben und Tagebücher.

Constantin

Derartig übersteigerte Romantik schreit natürlich nach einer Hollywood-Umsetzung, die die Emotionen der Zielgruppe ähnlich ausbeutet wie der Manager von Tokio Hotel seine Klientel.

Tatsächlich bedient 'Twilight' in den Liebesszenen alle erdenklichen schwärmerischen Fantasien. 12- bis 15-jährige Emogirls werden sich sicher leichter tun, hineinzukippen als abgeklärte Buben sämtlicher Altersstufen. Aber ich fand 'Twilight' hochsympathisch, weil bei allem Kitsch in den Alltagsmomenten eine menschliche Aufrichtigkeit drinnen ist, die ich mir nicht erwartet hätte.

So wie die grandiose Kristen Stewart, die schon in 'Panic Room' und 'Into The Wild' mit ihrem subtilen Spiel brillierte, das Gegenteil der Lindsay Lohans und Miley Cyrus' dieser Welt verkörpert, so weit ist 'Twilight' in den besten Momenten weg von der Zahnschmerz verursachenden Süßlichkeit üblicher Teeniestreifen.

Der Film, das merkt man(n) ihm an, ist übrigens beinahe komplett von Frauen gemacht, von der Vorlage, dem Drehbuch, der Regie über den Schnitt bis hin zur Musikauswahl. Und er scheint allen blassen, scheuen, klugen AußenseiterInnen an den Schulen dieses Planeten gewidmet zu sein - und die haben immer Recht.

Constantin

Von der zarten juvenilen Sehnsucht zum offenen Austausch diverser Körperflüssigkeiten: Das Vampir-Fieber schlägt in Amerika auch auf dem Bildschirm zu.

Alan Ball, Erfinder des zurecht mit Lob überhäuften Serien-Geniestreichs 'Six Feet Under', begibt sich mit seiner neuen Show True Blood ebenfalls ins Blutsauger-Milieu. Ich habe sämtliche Folgen an einem Wochenende verschlungen.

Bereits die Ausgangsposition für die bislang 12 Episoden ist großartig: Nachdem es Forschern gelingt, ein Blut-Surrogat zu entwickeln und dieses als Energydrink verpackt in den Handel kommt, outen sich Vampire allerorten. Auch in dem kleinen Südstaatenkaff, in dem die Geschichte von 'True Blood' ihren Lauf nimmt, versuchen die Untoten mit den Lebenden friedlich zu koexistieren.

Das klappt aber nicht so einfach, wie es sich politisch korrekte Menschen und Mainstreamer genannte Vampire erträumen. Und die Hauptfigur Sookie Stackhouse (Anna Paquin), eine Kellnerin in einem typischen Deep-South-Diner, droht immer wieder an ihrer Romanze mit dem blutsaugenden Bill (Stephen Moyer) zu scheitern.

'True Blood' ist, wie schon 'Six Feet Under' und die besten US-Serien, extrem vielschichtig. Der exzentrische Mikrokosmos rund um die Diner-Angestellten bietet genug Unterhaltungswert, daneben spielt sich Alan Ball unentwegt mit dem Vampirismus als Metapher für alles Verbotene in unseren immer keimfreieren Existenzen.

Während die armen Menschlein zum Rauchen vor die Tür gehen müssen, mit Drogen den Bereich der Illegalität betreten, sich vor ungeschütztem Sex fürchten und übermäßiger Alkoholkonsum auch seine Gefahren birgt, leben bestimmte Vampire im Untergrund anarchisch ihre Lüste aus. Das Blut darf ausgiebig spritzen, die Nacktheit ist für TV-Verhältnisse ungewohnt explizit.

HBO

True Blood

Sarkastisch teilt Mr. Ball Seitenhiebe gegen den gesellschaftlichen Hang zur Sauberkeit aus und delektiert sich an exzessiven Ausbrüchen seiner Protagonisten. 'True Blood' greift die reaktionären Fraktionen in god's own country aber auch ganz offensiv an, macht Afroamerikaner und Schwule zu den lässigsten Figuren (mein Lieblingscharakter, der charmante Koch Lafayette ist beides, prostituiert sich und verschachert auch noch Drogen) und forciert Minoritäten jeglicher Art.

Das Geheimnis von 'True Blood', wie auch insgesamt des aktuellen Vampirtrends, liegt in eben dieser Verknüpfung von spannenden, witzigen, tragischen Storys mit einem Subtext, der mal tiefe persönliche Ebenen berührt, dann wieder deutlich politisch daherkommt.

Alan Ball schuf aus diesen Ingredienzien die erfolgreichste HBO-Serie nach den 'Sopranos' und 'Sex & The City'. 'Twilight', zugegeben erheblich angepasster, eroberte die Spitze der US-Kinocharts.

Noch künstlerischer und spezieller ist ein europäischer Film, der im Frühsommer hoffentlich auch die heimischen Kinos erreichen und heuer wohl etliche Cineasten-Bestenlisten anführen wird. Von dem schwedischen Meisterwerk 'Låt den rätte komma in' ist die Rede, über das ich anlässlich seiner Viennale-Aufführung schon ausführlich hier schwärmte, 'So finster die Nacht' lautet der deutsche Verleihtitel.

Mit dem Grafen Dracula hat auch dieser Streifen, der wie 'Twilight' und 'True Blood' eine eigene Mythologie abseits von Kruzifixen und Weihwasser kreiert, nur am Rande zu tun. Der neue Vampirismus erzählt, wie die besten Rock'n'Roll-Songs, vom Gefühl der Entfremdung, das viele seit ihrer Kindheit spüren, und er dreht sich auch um lustvolle Freiheiten und ihren Preis. Beiß mich, Darling!