Erstellt am: 15. 3. 2011 - 17:12 Uhr
Vom Verschwinden der Jugend
Unsere Jugend wird dahin sein, wie der Rauch aus dem Schornstein!
(Bilderbuch - "Ein Boot Für Uns")
Mit diesem, im Chor geschrieenen Statement eröffnen die Oberösterreicher Bilderbuch ihr zweites Album und machen damit schon klar, worum es ihnen geht: Das Erwachsenwerden. Im Fall der auf ihrem Debüt noch mit wütendenden Parolen hantierenden, rotzfrechen Klosterschulrockern bedeutet das vor allem, gegen die Frustration anzukämpfen, die sich mit vermehrter Verantwortung, zwangsweise erhöhter Kompromissbereitschaft und unfreiwilligem Sorgenwälzen im Kopf oftmals einstellt.
Das Bilderbuch´sche Rezept dagegen scheint zu sein:
Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Christian Pitschl
Sei auf der Hut, von den Bäumen tropft Blut
Was zunächst im ersten entstandenen Song "Jesolo" als witzige Idee begann, weitete sich schnell als Konzept für das ganze Album aus. Denn "Die Pest im Piemont" ist nicht nur schöne Alliteration, sondern zirkelt um die Jugenderinnerungen des stereotypen Italienurlaubs. Ein Klischeebild, das perfekt für die Zerrissenheit steht, mit denen Maurice Ernst, Andreas Födinger, Peter Horazdovsky und Michael Krammer zurück blicken. Zwischen wehmütiger Nostalgie und wütender Rebellion gegen eingeimpfte Lebenskonzepte enthüllen die neuen Songs nach und nach ihre düsterne Fratze.
Und deine ach so erfahrenen Eltern
kennen Wien und Jesolo.
Sie träufeln ihre Stimme wie Gift,
wie Gift in deine Ohren.
(Bilderbuch - "Jesolo")
Musikalisch wird das coming of age Trauma mit dem Hummelflug verzerrter Gitarren, rumpelnden Bassläufen und schnellen, aufblitzenden Rhythmen umgesetzt. Wobei diesmal weitgehend auf die klassische Songstruktur verzichtet wird. Auch wenn die vier Jungs vor der Aufnahme in unzähligen Gesprächen einen Plan geschmiedet hatten, kam alles anders. "Die Pest im Piemont" ein forderndes, unkonventionelles Album. Das sehr eigenwillige Stück "Pflaumenwein" zum Beispiel erzeugt mit seinem tranceartigen Beat, den zerstückelten Vocals und einer unheimlich jaulenden Gitarrenline eine unterschwellige Spannung, die perfekt zu einem Vampirthriller passen würde. Auch "La Voce Della Luna" schwingt sich mit seinem unorthodoxen Stop-and-Go-Spiel zwischen Rock-Musical und kunstvollem Indiepop ein. Improvisation stand hierbei wohl auf dem Programm, so wie hier Tempi wechseln, Stimmakrobatik betrieben und verquere Melodien sich in hohe Frequenzbänder hinaufschrauben.
Christian Pitschl
Im Rhythmus der Lüge leben wir
Ein seltsames Quietschen ist zu hören, bevor Maurice in das Gesicht einer Frau blickt und sich in ihren Augen wie in einem Venizianischen Spiegel selbst sieht. Ähnliche wie bei den meisten Songs von "Die Pest im Piemont" geht auch die Nummer über den Einwegspiegel, der dich nicht in die Seele des anderen Blicken lässt, sondern dir dein eigenes Verhalten vor Augen führt, an die Substanz. Hier werden grundsätzliche Muster hinterfragt, nach denen man in der Kindheit und Jugend noch unbeschwerter lebt, die sich als hilfreich und einzige Möglichkeit ins Unbewusste eingebrannt haben.
Bilderbuch
Kein Album ohne die Liebe, aber ohne Liebeslieder. Das neuen Bilderbuch Werk thematisiert neben all der inneren Zerissenheit zwischen jugendlichem Leichtsinn und erwachsener Abgeklärtheit auch die dunklen Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen. Hier werden zu den dröhnenden Riffs von "Die Kirschen Waren Toll" deftige Schläge mit dem Stock verteilt, während bei einlullendem Chorgesang und aufwühlenden Staccato-Akkorden von "Vogel Gegen Glas" die Seelenverbindung zweier Liebenden wie ein Hauch von Parfum verfliegt. Und wenn beim begehrten Gegenüber trunken von idealisierten Fantasiebildern um Hilfe gerufen wird, dann wandelt sich in "Karibische Träume" das unschuldige Verlangen zum existenzbedrohenden Rauschgift für das Herz.
"Die Pest im Piemont" ist ein wahghalsiges und mutiges Album, mit dem Bilderbuch ihren Disco-Sneaker und mit Joghurt bekleckerten T-Shirts endgültig entwachsen sind. Und auch wenn dieser Prozess für die Band einen bitteren Geschmack von Blut und Piemont-Kirsche im Mund zurück lässt, so hat er doch dazu beigetragen, dass dieses Quartett sich mit großen Schritten weiterentwickelt hat. Hin zu einer Band, die sich traut, geisterhaft von einer musikalischen Welt in die nächste zu wechseln und bei dieser genretranszendierenden Bewegung einen kleinen, kühlen Windhauch verursacht, der einem die Gänsehaut aufzieht.
Tipp
Bilderbuch werden Mittwoch 16. März ihr neues Album "Die Pest im Piemont" im Wiener Flex live vorstellen.
Weitere Konzerttermine:
- Sa., 19.03.2011 Freiraum, St. Pölten,
- Do., 24.03.2011 PPC, Graz
- Fr., 25.03.2011 im Rahmen der "Kontaktlinse / Kontaktna Leca" im Stereo Club, Klagenfurt
- Sa., 26.03.2011 Shagadelic Festival, Sinabelkirchen
- Mi., 6.04.2011 Weekender Club, Innsbruck